Der Scheich der Finsternis
Die Herrschaft eines der mächtigsten Strippenzieher des Sports scheint gebrochen: Scheich Ahmad al-Fahad al-Sabah. Die US-Justiz ermittelt, in der Schweiz wartet ein Prozess.
Es ist ein Krimi mit ungeahnten Zuspitzungen, einer bizarren Besetzungsliste und immer neuen Enthüllungen. Es geht um Bestechung, Geldwäsche, Betrug, Stimmenkauf, Datendiebstahl. Es geht um Geld und Macht, Irreführung der Justiz und ehemalige Interpol-Bedienstete, die in Hotelsuiten einbrechen – alles unter dem Deckmantel des Guten, der olympischen Ringe.
Die Herrschaft eines der mächtigsten Strippenziehers des Sports scheint nun aber gebrochen. Scheich Ahmad al-Fahad al-Sabah aus Kuwait beherrscht seit Jahren Weltverbände, etwa die der Schwimmer (Fina) und Handballer (IHF), er hat wichtige Wahlen im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) beeinflusst – und er war in all der Zeit in Skandale und Affären verstrickt. Im kommenden Frühjahr wartet auf ihn in der Schweiz ein Strafprozess wegen Fälschung von Dokumenten, die einen Umsturzversuch in Kuwait belegen sollten. Dazu wird in seiner Heimat weiter wegen groß angelegter Geldwäsche ermittelt – und in den USA wird er in einem der FifaStrafprozesse als Mitverschwörer und Schmiergeldzahler geführt.
Der Scheich und seine Leute haben eigentlich nur gemacht, was sie immer machen: gemauschelt, beeinflusst, Geschäfte eingefädelt. Scheich Ahmad ist ein Gejagter, der versucht, sein Imperium zu retten. Er hat es nicht mehr in der Hand. Seine Mitgliedschaft im IOC muss er genauso pausieren lassen wie die Präsidentschaft im Weltverband aller 206 Nationalen Olympischen Komitees, Anoc genannt. Dieser Kongress in Tokio war, als seine Vasallen aus einem Dutzend meist kleiner Nationen – wie Südsudan, Jordanien, Tunesien, Syrien, Peru, Sri Lanka und Ägypten – ihn trotzdem wiederwählen wollten, eine fürwahr irrwitzige Veranstaltung. Ein Panoptikum.
Der Scheich, der bis dahin den mit einer halben Milliarde Dollar gefüllten Entwicklungshilfetopf des IOC kontrollierte, wurde als Visionär und Friedensstifter gefeiert. Wobei die Delegierten der großen, demokratischen Nationen schwiegen. Kein Amerikaner, Franzose, Deutscher oder Engländer ergriff das Wort, um gegen Korruption anzureden und Zeichen zu setzen. Auch nicht ÖOC-Präsident und IOCMitglied Karl Stoss. Nur einer begehrte Antworten. Nur einer der mehr als 1000 Delegierten aus 206 Nationen verlangte nach Fakten und interessierte sich für juristische Dokumente: Alfred Emmanuel von der Karibikinsel St. Lucia. Er hatte schon beim Anoc-Kongress 2017 in Prag als Einziger verlangt, informiert zu werden. Damals verabschiedete die Vollversammlung eine Resolution für den Scheich, ohne dass je diskutiert worden wäre, was in einer US-Anklageschrift steht, die ihn als Schmiergeldzahler führt. Das Geld wurde übrigens von Olympiakonten überwiesen.
„Ich verstehe das nicht“, sagt Alfred Emmanuel in Tokio. „Es ist eine Schande für die olympische Familie. Die Leute wollen es offenbar nicht genauer wissen.“Die beiden derzeitigen Anoc-Führungskräfte, Gunilla Lindberg (Schweden) und Robin Mitchell (Fidschi), Generalsekretärin und Interimspräsident, mussten eingestehen, weder die US-Anklageschrift aus dem Jahr 2017 noch die jüngste Anklageschrift des Strafgerichts in Genf gelesen zu haben. Auch der Chinese Jizhong Wei, Anoc-Ehrenpräsident und – vom Scheich persönlich eingesetzter – Chef der asiatischen Olympia-Ethikkommission, hat die juristischen Unterlagen nicht studiert. Warum? Der Scheich habe ihm erklärt, da sei nichts dran, sagte Wei – also sprach ihn die Ethikkommission von allen Vorwürfen frei.
Die Ethikkommission des IOC aber empfahl ihm immerhin, seine Funktionen ruhen zu lassen. In Lausanne beobachtet man die Entwicklungen mit Sorge. IOC-Präsident Thomas Bach ist intern längst von seinem einstigen Wahlhelfer und Verbündeten abgerückt, auch wenn er damit selbst in Gefahr gerät, sollte sich Ahmad mit dem Ausplaudern von Herrschaftswissen rächen wollen.
Ohne Boxen?
Das Internationale Olympische Komitee gibt keine Garantie für Boxbewerbe bei den Spielen in Tokio 2020. Grund ist der umstrittene Amateurboxweltverband Aiba. Die IOC-Exekutive hat eine Untersuchungskommission eingesetzt. Ein Kritikpunkt ist, dass der Boxverband angeblich an seinem Standort in der Schweiz kein Bankkonto unterhalten oder eröffnen kann.
Menschenrechte
Eine Kommission soll installiert werden, die das IOC – tatsächlich – im Umgang mit Menschenrechtsfragen beraten soll. Geleitet wird sie vom früheren UNO-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein, einem Mitglied der jordanischen Königsfamilie.
Seit Mitte 2017 weiß man, dass mindestens ein ehemaliger Mitarbeiter des Scheichs Daten gestohlen hat. Auf verschlungenen Wegen dürften diese Unterlagen den Weg nach New York gefunden haben, wo FBI und die Steuerbehörde IRS unter Koordination des Justizministeriums die gigantische FifaKriminalität aufarbeiten. Gut möglich, dass dort bald auch gegen andere Weltverbände ermittelt wird. Im Sinne der Aufklärung wäre eine bessere Koordination mit olympischen Strafermittlungen in Brasilien und Frankreich nötig. Da gab es vor einem Jahr erste Kontakte, mehr nicht.
Seit einer Woche weiß man von einem weiteren Datenleck. Gemäß Football-Leaks-Enthüllungen wurden dem Scheich und seinem engsten Mitarbeiter, Husain al-Musallam, im April 2015 aus dem Hotelzimmer in Lausanne die Laptops gestohlen. Mit Tausend E-Mails und Dokumenten. Nach erstklassiger Aktenlage sollen es drei ehemalige Interpol-Beamte im Auftrag des International Center for Sport Security (ICSS) durchgezogen haben.
Das ICSS mit Sitz in Doha hat sich mit gigantischen Investitionen als globales Kompetenzzentrum für Good
Der von ihm bestimmte Chef einer Ethikkommission sprach ihn von allen Vorwürfen frei. Bestechung, Geldwäsche, Betrug, Stimmenkauf – es geht um Geld und Macht.
Governance und Integrität im Weltsport positioniert. ICSS ist ein Propagandainstrument der Sportpolitik des Emirs von Katar. Der Emir Tamim Bin Hamad al-Thani ist ebenfalls IOC-Mitglied und galt bislang eigentlich als Freund und Unterstützer von Scheich Ahmad. Gemäß Football-Leaks hat ICSS aber über Jahre die verdeckte Spionageoperation „Hawk“durchgeführt, um den Kuwait-Scheich aus seinen Funktionen zu drängen und mit katarischen Funktionären zu ersetzen. ICSS bestreitet dies vehement.
Scheich Ahmad verkündete in Tokio demonstrativ relaxt, er werde alle Vorwürfe und Verleumdungen aufklären, vor Gericht siegen und stärker denn je zurückkehren. Bis zur nächsten Enthüllung.