Schneekönigin auf zwei Hochzeiten
Dass sie den Slalom zwischen Alpin- und Snowboardrennen beherrscht, hat Ester Ledeck´a mit Olympiagold in beiden Sparten bewiesen. Im Herbst jedoch lief sie Gefahr, böse einzufädeln: beim Sponsorpoker mit dem tschechischen Verband.
Du kannst nicht zwei Pferde mit einem Hintern reiten.“Klingt plausibel. Für Woody Allen, der den Spruch ja geprägt hat, und alle, die nicht Ester Ledecka´ heißen. Die 23-Jährige aber tut genau das: Ski fahren, snowboarden, Ski fahren, snowboarden, winterein, winteraus. Schon als Fünfjährige in Sˇpindleru˚v Mly´n (Spindlermühle), wo sich ihr Vater, Janek Ledecky,´ ein gefeierter Kuschelrocksänger, Weihnachtslieder- und Musicalkomponist, ein Chalet mit Tonstudio eingerichtet hat. Die Unfähigkeit, sich für eine Sportart zu entscheiden, würde zugegebenermaßen noch nicht als Alleinstellungsmerkmal reichen. Das Niveau, auf dem sie ihre drei Brettln reitet, aber allemal.
Im heurigen Februar wurde sie dafür mit zweimal Olympiagold dekoriert, was zugleich 100 Prozent der tschechischen Ausbeute entsprach: für die Bestzeit im alpinen Super-G und vier gewonnene Duelle im Parallelriesentorlauf der Snowboarderinnen. Gold in zwei Sportarten bei ein und denselben Spielen? Damit können nur sieben weitere Olympioniken aufwarten. Allesamt Männer, allesamt nicht mehr unter den Lebenden. Johan Grottumsbraten, ein Langläufer und nordischer Kombinierer, hieß Ledeckas´ Vorgänger. Vor exakt 90 Jahren.
Ski- oder Snowboard-WM? Warum oder? Sie suchte um Vorverlegung der Rennen an.
Zwei Weltmeisterschaften. Eine Wiederholung des Coups in diesem Winter scheint ausgeschlossen. Weil die für sie relevanten Medaillenentscheidungen bei der Snowboard-WM in Park City (USA) für 4. und 5. bzw. jene für die alpinen Speedbewerbe in A˚re, Schweden, inklusive Trainingsläufen für 4. bis 10. Februar anberaumt wurden. Ohne Zeitmaschine ein Ding der Unmöglichkeit. Ganz hat Ledecka´ die Hoffnung trotzdem noch nicht begraben. USSnowboardcoach Justin Reiter suchte bei der FIS um Vorverlegung der Parallelbewerbe an. Sollte der Vorstoß vergebens sein – wovon auszugehen ist –, würde die Pragerin zu einem Start bei der Ski-WM tendieren. Respektable Zubringerergebnisse vorausgesetzt.
Auf ihrer Lieblingsstrecke in Lake Louise, wo sie im Vorjahr Trainingsbestzeit markierte, lief es in der ersten Abfahrt am Freitag mit Platz 21 noch nicht ganz nach Wunsch. Ausrüster Atomic hatte sich im Vorfeld aber mit einer Ladung neuer Latten eingestellt. „Es war die Qual der Wahl. Ich kenne gerade die Unterschiede zwischen Ski- ern und einem Snowboard. Und selbst da weiß ich nicht, was besser ist“, feixte das Energiebündel. Auch Olympia-Surferin? Mitte Oktober schienen für sie Titelkämpfe in weite Ferne gerückt. Ledeckas´ Vermarktungsagentur Sport Invest und der tschechische Skiverband zankten sich über die Verteilung des Sponsorkuchens. Reizwörter wie „Startverbot“und „Natio- nenwechsel“wurden ins Spiel gebracht. Über die Einigung drangen nur Fragmente nach außen. Ledecka´ verzichtete auf eine Zusatzförderung von 30.000 Euro, darf sich ihre Partner dafür aber auch abseits des Helmsponsors (Coca-Cola) weiter selbst aussuchen. Wenn es stimmt, ein guter Deal.
Die wirtschaftlichen Turbulenzen ließen sich nicht umschiffen, die politischen schon. Als Präsident Milosˇ Zeman zur Verleihung des Verdienst- ordens rief, beraumte die Wintersportikone kurzerhand ein Trainingscamp an. Ledecka´ kann weder dem Populismus des Staatsoberhaupts noch der Regierungspolitik etwas abgewinnen. „Sie schädigen den Ruf Tschechiens in der Welt. So, wie es derzeit läuft, muss man Sorge haben, eines Tages in einer Diktatur aufzuwachen.“
Über das KP-Regime hat ihr der Großvater viel berichtet. Jan Klapa´cˇ brachte es als Eishockeynationalspieler auf zwei Olympia- und acht WM-Medaillen, war Teil der WM-Mannschaft von 1972 und an zwei Endrundensiegen über die Sowjetunion (2:0, 4:3) beteiligt, die in der Heimat Massendemonstrationen auslösten – 1969, nur ein Jahr nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings.
Klapa´cˇ zeichnet, auch als mittlerweile 77-Jähriger, für das Konditionsprogramm der Enkelin verantwortlich. Den größten Teil davon spult sie im „Sommerurlaub“ab – zwei Monate Vassiliki an der Südspitze der griechischen Insel Lefkada. „Wir fuhren dort schon hin, als ich noch ein kleines Mädchen war. Nirgends genieße ich meinen Alltag so wie dort.“Dieser sieht fünf Stunden täglich, sieben Mal pro Woche Windsurfen vor. Noch so eine Sportart, in der sich Ledecka´ gern olympisch in Szene setzen würde. „Leider bin ich dahintergekommen, dass der Slalom, wie ich ihn praktiziere, mit der olympischen RS:X-Klasse nur am Rande zu tun hat. Ich hoffe aber auf eine Programmänderung für 2024.“ Die Unermüdliche. Bleibt vorerst wenigstens mehr Zeit für das Skitraining. Für Alpincoach Toma´sˇ Bank, Bruder des langjährigen Weltcupläufers Ondˇrej, klingt das wie eine Drohung. Im Snowboarden stelle Übertraining für sie kein Problem dar – da gewinnt sie auch hundemüde. In Speeddisziplinen hingegen könne das gefährlich werden.
Im Olympiawinter brachte es Ledecka´ auf 27 Rennen, sieben offizielle Trainings auf Skiern und elf Wettkämpfe auf dem Brett, bestehend aus zumeist acht K.-o.-Läufen und Qualifikation. „Eindeutig zu wenig“, findet die Unermüdliche, die sich grün und blau geärgert hat, dass selbst in der Schweiz die Lifte zugesperrt sind, obwohl mancherorts noch ein Schneeband zum Carven einlädt. Da war es Ende April.
Ihr Großvater, ein ehemaliger Eishockey-Crack, sorgt für das Konditionsprogramm.