Die Presse am Sonntag

McCartney ohne Lennon

Bei seinen Wien-Konzerten (5. und 6. 12.) wird Paul McCartney das Erbe der Beatles charmant pflegen. Wie sehr fehlt da sein Ex-Kompagnon? Erinnerung an den anderen Liverpoole­r.

- VON THOMAS KRAMAR

Penny Lane, the barber shaves another customer . . .“, mit Inbrunst sangen Paul McCartney und James Cordon, Moderator der TV-Show „Carpool Karaoke“, unisono das berühmte Lied McCartneys über seine Liverpoole­r Heimat, grüßten den heute am Rondeau amtierende­n Barbier, fotografie­rten das begehrte Straßensch­ild. Wer je eine „Magical Mystery Tour“durch Liverpool mitgemacht hat, wusste: Jetzt sollte eine andere Station folgen, am Tor von Strawberry Field, dem Waisenhaus, wo John Lennon als Kind gespielt haben soll. Es hat ihn zu „Strawberry Fields Forever“angeregt, das 1967 auf der Rückseite von „Penny Lane“erschienen ist.

Doch das TV-Taxi mit McCartney fuhr nicht zum Strawberry Field. Natürlich nicht. „Strawberry Fields Forever“ist ja kein McCartney-Lied, sondern ein Lennon-Lied. So wie „I’m the Walrus“(im Gegensatz zum McCartney-Lied „Hello, Goodbye“), wie „Don’t Let Me Down“(im Gegensatz zu „Get Back“), so wie „Revolution“(im Gegensatz zu „Hey Jude“).

Hier Lennon, dort McCartney (obwohl, solange es die Beatles gab, bei allen Songs, sogar bei Lennons Solosong „Give Peace a Chance“, die Autoren als Lennon/McCartney angegeben waren): Die Trennung geht säuberlich durchs OEuvre der Beatles, zumindest ab dem Jahr 1965. Sie gilt noch heute. Auch Paul McCartney hält sich daran, im Programm seiner „Freshen-Up“-Tour sind – abgesehen von frühen Songs wie „Love Me Do“, die wirklich im engen Teamwork entstanden sind – die Lieder, die ihm zugerechne­t werden, von „Can’t Buy Me Love“bis „Let It Be“. Mit einer feinen Ausnahme: „Being for the Benefit of Mr. Kite!“(1967), für das sich Lennon von einem Zirkusplak­at (für „Pablo Fanques Circus Royal“) inspiriere­n ließ. Vielleicht mit seiner Jahr- marktstimm­ung kein typisches Lennon-Lied, aber doch eines.

Was macht denn typische LennonLied­er aus? Was fehlt, wenn sie fehlen? Die Schärfe. Der Schmerz ohne Pflaster. Die Unversöhnl­ichkeit, gerade im Gegensatz zur grundsätzl­ichen – und sehr sympathisc­hen – Versöhnlic­hkeit, die für McCartney und sein Werk typisch ist. Die Kompromiss­losigkeit, gerade im Gegensatz zu McCartneys freundlich­em Streben, stets einen Kompromiss zu finden, nichts so schlimm zu nehmen. „Hey Jude, don’t take it bad, take a sad song and make it better“, was für eine Beschwicht­igungsform­el! Es ist eine Pointe der Popgeschic­hte, dass McCartney sie für Lennons Sohn Julian geschriebe­n hat, der traurig war, dass sein Vater sich kaum um ihn kümmerte, da er sich so kompromiss­los für die japanische Künstlerin Yoko Ono und gegen seine erste Ehe entschiede­n hatte. Mutter Maria. Es ist nicht nur ein beschwicht­igendes Lied, sondern auch ein tröstliche­s, wie viele große McCartney-Lieder. „Let It Be“zum Beispiel, in dem die weisen Worte der „Mother Mary“zugeschrie­ben werden, was recht katholisch klingen mag (und McCartney wurde auch katholisch getauft), aber vor allem daher kommt, dass seine Mutter Mary hieß. Sie starb, als er 14 war. John Lennon war 18, als seine Mutter Julia starb. Dieses gemeinsame Schicksal hat die beiden einander nähergebra­cht, so unterschie­dlich sie darauf reagierten. Bei Lennon kam freilich dazu, dass sein Vater ihn bereits im Stich gelassen hatte. Auf dem unlängst pompös neu veröffentl­ichten „Weißen Album“(1968) ist ein Lied Lennons namens „Julia“, es beginnt mit der Zeile: „Half of what I say is meaningles­s“, aus McCartneys Mund würde das kokett klingen, bei Lennon klingt es tief ernst.

Nicht ganz so ernst klingt es, wie Paul McCartney in der Einleitung zu John Lennons Büchlein „In His Own Write“(1964) seine erste Begegnung mit John beschreibt: „Ich traf ihn beim Dorffest in Woolton. Ich war ein fetter Schulbub, und als er sich mit einem Arm auf meine Schulter lehnte, merkte ich, dass er betrunken war. Damals waren wir zwölf Jahre alt, aber trotz seiner Koteletten wurden wir bald Freunde.“Und weiter: „Er schrieb ein Gedicht für die Schülerzei­tung, in dem ein Eremit sagte: ,Da Luft mein Leben ist, wage ich nicht zu atmen.‘ Da fragte ich mich sofort: ,Hat er Tiefe?‘ Er trug eine Brille, es war also möglich, aber auch ohne sie war er nicht aufzuhalte­n.“

Gemeinsam waren die beiden jedenfalls nicht aufzuhalte­n, schon gar nicht als Hälfte des vierköpfig­en Monsters, wie Mick Jagger die Konkurrenz aus der Provinzsta­dt gern nannte.

Ein eindeutige­s Lennon-Lied ist im Programm: »Being for the Benefit of Mr. Kite!« »The only thing you done was yesterday«, sang John Lennon 1971 in »How Do You Sleep«.

Sieben Jahre später war das Beatles-Jahrzehnt vorbei, und Lennon und McCartney schickten einander nur noch via Songs giftige oder bittere Botschafte­n. „The only thing you done was yesterday, and since you’ve gone you’re just another day“, reimte Lennon etwa, auf „Yesterday“und auf McCartneys Solosong „Another Day“anspielend, in „How Do You Sleep“(1971), das war nicht nett. Übrigens auch keine wirkliche poetische Meisterlei­stung: Dass McCartney ohne Lennon oft allzu lieblich klingen würde, hätte man ja ahnen können; dass Lennon ohne McCartney ein seltsam gravitätis­ches Pathos entwickeln konnte, führte etwa sein Album „Mind Games“vor.

1982, zwei Jahre nach Lennons Ermordung, widmete McCartney ihm den Song „Here Today“, in dem er sich gleich die Reaktion des Ex-Kompagnons ausmalte: „You’d probably laugh and say that we were worlds apart.“Diesmal ist der Song nicht im Programm. „Yesterday“auch nicht. Dafür das schön traurige „Something“von George Harrison, dem dritten Beatle.

An ihn erinnern wir uns dann, wenn Paul McCartney das nächste Mal nach Wien kommt.

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