Die Presse am Sonntag

Wenn sich alles dreht: Das Tanzfieber von 1518

Was hatten diese Menschen? Vor 500 Jahren tobte in Straßburg ein unerklärli­ches Tanzfieber. War es eine Epidemie, eine Massenhyst­erie, eine Vergiftung? Hatte der Heilige Veit Schuld? Auf den Spuren eines mittelalte­rlichen Phänomens.

- VON GÜNTHER HALLER

Mehr als zwei Monate lang dauerte der Irrsinn, und er verstörte die Bürger der Stadt Straßburg. Dabei begann alles harmlos: Am 15. Juli 1518 sah man erstmals eine Frau auf den Straßen der Stadt, die ekstatisch zu tanzen begann. Man ging kopfschütt­elnd vorbei, auch als sie gar nicht mehr aufhören wollte, aber das Unheimlich­e war: Immer mehr schlossen sich an, Ende August waren es schon mehr als vierhunder­t „Dantzer“, die stampften, sich drehten, sprangen, Tage und Nächte hindurch, so lang, bis sie vor Erschöpfun­g zusammenbr­achen.

Die Stadtväter, die Priester, die Ärzte zeigten sich ratlos über den bösen Geist, der diese Menschen, unabhängig von Stand und Alter, vor allem aber Frauen, befallen hatte. Welcher Heilige, welche Medizin konnte hier hilfreich einspringe­n? Verbote nützten jedenfalls nichts.

Nun, wir wissen heute, dass die Epidemie nach zwei Monaten wieder vorbeiging, doch die Aufregung damals war groß, das bezeugen die Chroniken und Annalen der Stadt. Stadtschre­iber war damals der berühmte Humanist Sebastian Brant, er bezeichnet­e die „schwäre erschreckl­iche krankheit“als Veitstanz, ein Phänomen, das die Stadtväter wegen seiner Unerklärba­rkeit aufrüttelt­e.

Flaniert man heute durch die schöne Straßburge­r Altstadt, begegnet man den wilden Tänzern wieder, nicht leibhaftig, sondern auf vielen Plakaten, die hinweisen auf die Ausstellun­g „1518, das Tanzfieber“im Musee´ de l’Oeuvre Notre-Dame unmittelba­r neben der Kathedrale. 500 Jahre danach werden hier die Ereignisse, wie sie von den Originalqu­ellen geschilder­t werden, dar- gestellt, neu beleuchtet und in den Kontext mit ähnlichen Fällen im Mittelalte­r gestellt. Denn einmalig war der Straßburge­r Ausbruch von Tanzwut nicht, vom 14. bis zum 16. Jahrhunder­t gab es ähnliche Fälle von derlei ansteckend­em, exzessivem Massentanz, vor allem im Jahr 1374. Sie ereigneten sich fast ausschließ­lich innerhalb der Rhein-Main-Region und Belgiens, also im Grenzgebie­t zwischen germanisch­er und romanische­r Kulturwelt. „Tanzteuffe­l.“Um es gleich vorwegzune­hmen: Auch fünfhunder­t Jahre danach bleiben die Ursachen des kollektive­n Tanzfieber­s im Dunkeln. Es gelingt aber, manche Fehlinterp­retationen zu widerlegen, die zu einer falschen Sicht des Mittelalte­rs als einer simplen, von irrational­en Trieben geleiteten, krisengesc­hüttelten Welt beigetrage­n haben. Der Wissenssta­nd der Mediziner damals in Straßburg war hoch, sie bemühten sich um wissenscha­ftliche Beobachtun­g und Analyse, freilich mit ständigem Bezug auf die Religion.

Kurz vor Ausbruch der Tanzwut war der Arzt und Alchemist Paracelsus in Straßburg, auch er versuchte, das Phänomen als natürliche Krankheit einzustufe­n. Später sprach man von „Fallsucht“, Epilepsie, Enzephalit­is, also einer Gehirnentz­ündung. Doch diese Diagnosen können das massenhaft­e Auftreten nicht erklären.

Ambivalent das Urteil der Kirche. Einerseits wurden ekstatisch­e Zustände als Instrument der Kommunikat­ion mit Gott und damit als Weg zur Erlösung gedeutet, anderersei­ts galten sie auch als Werkzeug des Teufels, das zu Kontrollve­rlust und jeglicher Art von psychische­r Störung führen konnte. So wird die Angst verständli­ch, die durch die Tanzepidem­ien ausgelöst wurde. Sie zeugten wohl doch von Unzucht und Lasterhaft­igkeit, wie sie sich in Karnevalsz­eiten austobten, in Sebastian Brants „Narrenschi­ff“taucht auch ein „Tanzteuffe­l“auf.

Denkbar ist daher natürlich, dass manche Straßburge­r die „Krankheit“als Gelegenhei­t eines Tanzvergnü­gens sahen und sich als Simulanten beteiligte­n, um der Geistlichk­eit, die die Tänze nicht gern sah, eins auszuwisch­en. Eine hysterisch­e Reaktion von Verarmten ist im Fall der Tänzer auszuschli­eßen, es gibt keine Hinweise auf eine soziale Motivation. Auch Bürger waren betroffen. Alle Quellen sprechen daher von Erkrankung­en.

Paradox erscheint die erste Gegenmaßna­hme, die man in Straßburg ergriff: Man stellte in der Stadt Gerüste auf, bezahlte Musiker und Menschen, die mittanzen sollten. Eine Art Heiltanz also, durchaus eine therapeuti­sche Maßnahme. Ohne Erfolg, man ging wieder davon ab, da sich viele zu Tode tanzten. So verbot man Musik und Tanzen überhaupt in der ganzen Stadt, erlaubt war nur heimliches Saitenspie­l in den Häusern. Abergläubi­sche Praktiken lehnte die Verwaltung ab, man sollte die Krankheit so gut es ging verheimlic­hen. Letztendli­ch verfiel man doch auf die Maßnahmen der Kirche. Die Veitstänze­r. So brachte man die Tanzwütige­n zum Heiligtum von St. Vitus in die Stadt Zabern am Fuß der Vo-

Sie sprangen und stampften, bis sie vor Erschöpfun­g zusammenbr­achen.

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Gemeinfrei Epilepsie? Tanzwut? In einem Gemälde von Pieter Brueghel dem Jüngeren sieht man erkrankte Frauen bei einer Wallfahrt nach Molenbeek 1564.
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