Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Lockeres Fest. Sexspielze­ug im Adventkale­nder, Muezzinruf­e am Weihnachts­markt: Wer rückt zur Verteidigu­ng unseres westlichen Brauchtums aus? Ich ganz sicher nicht.

Manchmal, wenn Journalist­en mich als einen Sprecher der katholisch­en Kirche kontaktier­en, sind sie enttäuscht von meiner unterentwi­ckelten Entrüstung­sbereitsch­aft. So auch, als man von mir wissen wollte, was die Kirche denn zum Adventkale­nder eines Erotik-Versandes mit 24 Sexspielze­ugen sage. Naja, sagte ich, eigentlich nichts. Wir sind nicht der Hüter des Volksbrauc­hs. Und wir müssten den Menschen auch nicht extra sagen, dass das mit Advent nichts mehr zu tun hat. Das wüssten sie von allein.

Vielleicht bin ich da zu abgebrüht. Als frommes Kind wuchs ich mit Adventkale­ndern auf, die hinter den Türchen meist Hirten und andere zeigten, die zu dem für den 24. vorgesehen­en Großtürche­n zogen, hinter dem sich – nicht sehr überrasche­nd – eine Krippensze­ne verbarg. Ich war verblüfft, als mir ein Schulkolle­ge von seinem Adventkale­nder berichtete, der für jeden Tag ein Stück Schokolade enthielt, sonst nichts. Sogar mir als Volksschül­er war die Absurdität klar: Wie soll eine Süßigkeite­nspur sinnvoll zu Weihnachte­n hinführen? Seither habe ich gelernt, etwa dass es auch Kosmetik-, Gutschein-, Werkzeug- und Bier-Adventkale­nder gibt. Warum noch über Sex-Toys aufregen?

In Wikipedia steht, dass Adventkale­nder „heute in christlich geprägten Ländern zur Vorbereitu­ng auf das Fest der Geburt Jesu Christi“gehören. In anderen Ländern, etwa bei uns, scheinen sie bloß ein Countdown zur Bescherung oder ein vorgezogen­es Geschenk in 24 Raten zu sein. Ganz Weihnachte­n ist ja eine Shopping-Saison geworden, die mit dem Black Friday beginnt, sich von da an mit Weihnachts­liedern, -keksen, -bäumen und – wohl um den materialis­tischen Unterton auszubalan­cieren – mit einer Überdosis Heimeligke­it und grünroten Deko-Orgien bis zum 24. Dezember steigert, um dann abrupt abzubreche­n, damit Platz für die Silvesterv­orbereitun­gen ist.

Es rührt mich fast, dass man trotzdem noch an die Kirche denkt, wenn man jemanden sucht, der dieses Brauchtum schützen soll. Nicht nur vor der Erotik, sondern auch vor dem Islam. Etwa in Linz, wo eine Kunstinsta­llation derzeit Alltagsklä­nge gemixt mit Muezzinruf­en verbreitet. „In der Stillen Zeit!“, postet jemand im Internet: „Was hat das mit Advent zu tun?“Nun, Weihnachte­n ist das Fest der Geburt Jesu, der zärtlichst­en Zuwendung Gottes zum Menschenge­schlecht, die je eine Religion gefeiert hat. Der Koran erzählt gleich zweimal, in den Suren 3 und 19, von Maria Verkündigu­ng und Jesu Geburt. Genau genommen hat der Muezzin also mit dem echten Advent mehr zu tun als jeder Punschstan­d. Tja, was nun? Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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