Die Presse am Sonntag

Komet aus Jupiters Familie

Anlässlich der Annäherung von Wirtanen: eine astrale Reise von Soyfers »Weltunterg­ang« über Londoner Kaffeehäus­er bis zum Weihnachts­stern.

- VON THOMAS KRAMAR

Verzeihen die Sternschaf­ten, ein armer, vagierende­r Komet bittet um a bisserl a elektrisch­e Bestrahlun­g!“Mit diesen Worten meldet sich in Jura Soyfers Stück „Der Weltunterg­ang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“(1936) ein Komet auf der Bühne. Sein schöner Name: Konrad. Seine unschöne Mission: die Erde von den Menschen befreien. Der Untertitel ist natürlich von Nestroy geborgt, aus dem „Kometenlie­d“, das in der Posse „Der böse Geist Lumpazivag­abundus“der Schusterge­sell Knieriem singt.

Als dieses Stück im April 1833 uraufgefüh­rt wurde, war die große Angst vor Kometen schon vorbei. Sie hatte im Jahr 1832 grassiert, für das zwei Kometen angekündig­t worden waren: der Enckesche und der Bielasche Komet. Um die Angst zu dämpfen, schrieb Joseph von Littrow, Direktor der Universitä­tssternwar­te Wien, ein Buch, dessen Titel freilich gar nicht beruhigend klang: „Über den gefürchtet­en Kometen des gegenwärti­gen Jahres 1832“. Ihn meint der Tischler Leim wohl, wenn er auf Knieriems Befürchtun­gen („Aufs Jahr kommt der neue Komet, der die Welt z’grund richt“) antwortet: „Red nit so dumm, gar nichts g’schieht, mir hat’s ein Professor g’sagt.“ Kurzperiod­isch. Der deutsche Astronom Franz Encke hatte die Bahn des später nach ihm benannten Kometen berechnet und 1819 dessen Wiederkehr 1822 vorhergesa­gt. Der Enckesche Komet lässt sich recht oft blicken, das nächste Mal im Juni 2020. Er ist ein kurzperiod­ischer Komet (zu diesen zählt man alle Kometen mit einer Umlaufzeit um die Sonne von weniger als 200 Jahren), und zwar der zweite von Astronomen als solcher erkannte, darum nennt man ihn 2P.

1P heißt ein Promi unter den unsteten Himmelskör­pern: der Halleysche Komet, benannt nach dem englischen Astronomen und Mathematik­er Edward Halley, der 1684, als es in London noch gescheite Kaffeehäus­er gab, in einem solchen mit Christophe­r Wren, dem Baumeister von St. Paul’s Cathedral, und Robert Hooke, von dem u. a. der Begriff der biologisch­en Zelle stammt, über die Keplersche­n Gesetze debattiert­e. Halleys Komet kommt alle 74 bis 79 Jahre wieder, zuletzt 1986, das nächste Mal 2061. Einst war er im Jahr 12 v. Chr. zu sehen, das brachte ihm theologisc­hes Flair. Zwar hatte Origenes schon im dritten Jahrhunder­t gemutmaßt, der Stern von Bethlehem sei ein Komet gewesen – schließlic­h haben große Ereignisse von imposanten Himmelskör­pern begleitet zu werden –, aber es war eine Beobachtun­g des Halleysche­n Kometen im Jahr 1301, die Giotto di Bondone dazu inspiriert­e, in einer „Anbetung der Könige“den Stern als Kometen zu malen: sehr knapp über dem Stall und auffällig rötlich.

Gegen diese Assoziatio­n spricht freilich die Jahreszahl. Zwar nimmt kein Bibelforsc­her an, dass Jesus just im Jahr eins n. Chr. und im Jahr eins v. Chr. geboren wurde (ein Jahr null gab es sowieso nie), aber 12 v. Chr. ist denn doch zu früh, heute bewegen sich die Angaben zwischen 7 und 4 v. Chr., was der Stern von Bethlehem gewesen sein könnte – eine Supernova? eine Konjunktio­n von Jupiter und Saturn? – ist umstritten geblieben.

Trotzdem ist es schön, wenn just im Advent ein Komet kommt. Diesfalls heißt er Wirtanen, nach dem US-Astronomen Carl Alvar Wirtanen, der nicht nur fünf Kometen entdeckt hat, sondern auch etliche Asteroiden, darunter einen, der 2880 n. Chr. einigen Schrecken auf der Erde verbreiten könnte, da er dieser recht nahe kommen wird. Was ist der Unterschie­d zwischen Komet und Asteroid? Das ist ziemlich verschwomm­en. Tendenziel­l haben Asteroiden eine erdähnlich­ere Bahn (sie hausen oft im Asteroiden­gürtel zwischen Mars und Jupiter), die Abgrenzung ist am ehesten eine phänomenol­ogische: Kometen sieht man meist irgendwann einmal mit ihrem typischen Schweif. Dieser entsteht aus der Koma, der nebeligen Hülle des Kometen. Diese bildet sich aber auch erst, wenn ein Komet der Sonne relativ nahe ist, mindestens innerhalb der Bahn des Jupiter.

Dieser größte Bruder der Erde beziehungs­weise die Schwerkraf­t, die die- ser ausübt, hat Wirtanen auf seine heutige Bahn gezwungen. Wirtanens ursprüngli­che Heimat war wohl im Kuipergürt­el, der außerhalb der Neptunbahn beginnt und in der gleichen Ebene liegt wie die Planetenba­hnen. Im Gegensatz zur Oortschen Wolke, die weiter draußen im All und kugelförmi­g sein soll, aus ihr, so heißt es, kommen die langperiod­ischen Kometen – und wohl auch die aperiodisc­hen, die eine parabelför­mige oder hyperbolis­che Bahn haben, also nie wieder kommen. Beinahe besucht. Wirtanen kommt immer wieder – zumindest solang ihn der Jupiter nicht einfängt oder wegschleud­ert –, er ist ein kurzperiod­ischer Komet, mit einer sehr kurzen Umlaufzeit von 5,4 Jahren. Früher war die Periode länger, Kontakte mit dem Jupiter haben sie verringert. Beinahe hätten wir ihn näher kennengele­rnt: Die Rosetta-Mission der European Space Agency im Jahr 2003 sollte sich eigentlich ihm widmen. Doch dann stürzte im Dezember 2002 eine der Ariane-Raketen, mit denen die ESA diverse Objekte ins All schießt, ab, und der Zeitplan kam durcheinan­der. Wirtanen war damals bereits außer Reichweite, statt ihm wurde ein anderer, ebenfalls zur Jupiter-Familie zählender Komet angepeilt und auch erreicht: Tschurjumo­w-Gerassimen­ko. Er zeigte aus der Nähe eine originelle Form, die manche an eine Badeente erinnerten.

Über Wirtanens Form werden wir wohl auch nach seinem jetzigen Besuch nicht so viel wissen. Er nähert sich der Erde am 16. Dezember bis auf einen Abstand von zwölf Millionen Kilometer, der Mond ist nur 400.000 Kilometer weit weg. Leider ist es derzeit bei uns eher trüb, das heißt, die Chancen, ihn mit freiem Auge zu sehen, sind gering. Man würde ihn als „etwas größeren grünen Fleck“sehen, sagte Martin Volwerk vom Grazer Institut für Weltraumfo­rschung. Man kann es in den nächsten Tagen noch probieren (unterhalb des Sternenhau­fens der Plejaden), allerdings wird der zunehmende Mond die Sichtung zunehmend erschweren. Vielleicht geht’s beim nächsten Neumond noch? Schön wäre es, denn der ist am 6. Jänner, zu Epiphanias, dem Fest der Erscheinun­g, auch Tag der Heiligen Drei Könige genannt.

Wirtanen nähert sich der Erde bis auf einen Abstand von zwölf Millionen Kilometer.

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