Verbale Schlagkraft gegen Krebs
»Bist du wirklich krank?« Unbedachte Äußerungen kränken, verunsichern, machen sprachlos. Ein Onlinekurs soll Krebskranke zu »kecken Kontern« inspirieren und vor dem sozialen Rückzug schützen. Auch Bewegung stärkt die Abwehrkraft.
Du siehst gar nicht aus, als hättest du Krebs.“Ein Satz, der sitzt. Er schnürt den Angesprochenen die Kehle zu, macht sich in der Magengrube breit. Vor allem aber drängt er sich immer wieder in die Gedanken. „Bist du wirklich krank?“Ist es ein Vorwurf? Ein Kompliment? Eine schlichte Unüberlegtheit? Wie soll ein Krebskranker aussehen? Darf er nicht auch einmal lächeln, sich bunt anziehen, auf Konzerten im Publikum stehen und laut mitsingen? Muss er zu Hause sitzen, im Dunkeln? „Fragen über Fragen schießen einem durch den Kopf, wenn man solche Aussagen hört“, sagt Claudia Altmann-Pospischek. „Das Schlimmste daran: In den meisten Fällen lassen sie die Patienten sprachlos zurück.“
Ein Umstand, den die Bloggerin ändern möchte. Gemeinsam mit dem Selbsthilfekurs-Start-up Selpers (siehe Infokasten) hat sie einen siebenteiligen „Schlagfertigkeitskurs“entwickelt, der ohne Registrierung und kostenlos auf der Website des Unternehmens abrufbar ist. Gelehrt werden dort Strategien, um in heiklen Situationen verbal souverän zu reagieren. Von „Klartext“bis „Notfall“. In Form von kurzen Unterhaltungen werden Alltagssituationen dargestellt. „Es handelt sich um Dialoge – die eine Figur macht eine unpassende Aussage, dann kann zwischen drei Antworten gewählt werden“, schildert Altmann-Pospischek. Die Optionen: „selbstbewusst“, „direkt“und „keck“.
„Den einen, perfekten Konter gibt es freilich nicht“, räumt die Wiener Neustädterin ein. Hänge dieser doch stark von der jeweiligen Situation und dem Gesprächspartner ab. Dennoch lassen sich ähnliche Sprachmuster finden – und damit auch Wege, diese zu handhaben. „Es geht darum, die Betroffenen zu inspirieren, um selbst nach der individuell passenden Antwort zu suchen.“Eine Hilfestellung dorthin liegt in der Gegenfrage. „Man sieht sofort, dass du eine Perücke trägst“, musste sich eine Patientin einst von Freunden sagen lassen. Ihr fehlten die Worte. Im Onlinekurs wird als Reaktion vorgeschlagen, in die Offensive zu gehen: „Warum sagst du das jetzt?“
Ein weiterer Satz, den Betroffene oft zu hören bekommen: „Mit ein wenig positivem Denken wird das schon wieder.“Auch hier könnte nachgefragt werden, um einer unangenehmen Stille zu entgehen und dem Gegenüber gleichsam seine Unbedachtheit aufzuzeigen: „Was verstehst Du unter ,positivem Denken‘?“
„Wer nicht gegenfragen möchte, kann auch überraschende Zustimmung geben“, nennt Selpers-Gründerin Iris Herscovici eine Alternative. Auf der Website findet sich unter diesem Punkt unter anderem die Beispielfrage: „Sterben nicht viele Leute an Krebs?“Dieser ließe sich begegnen mit der Bestätigung: „Ja, aber auch an anderen Erkrankungen.“„Oft fehlt den Fragenden das Wissen über die Erkrankung, fast immer sind sie mit der Situation überfordert“, sagt die 54-jährige Medizinerin.
Weitere Optionen: die „maßlose“Übertreibung, das „Klartext“-Sprechen und die „Notfall“-Variante. „Mit Letzterer wollen wir den Patienten bewusst machen, dass es auch Situationen gibt, die es nicht wert sind, sich mit ihnen tiefgehend auseinanderzusetzen“, sagt Herscovici. Mit einem „Soso“, „Ach was“sei Genüge getan. Ein Szenario? „Eine Bekannte hat mir erzählt, dass sie fassungslos war, als man zu ihr sagte: ,Du hast Krebs? Dann kannst du dir ja gleich einen Sarg bestellen‘“, erzählt Altmann-Pospischek. „Sie brachte keinen Ton heraus – heute pariert sie mit einem ,Was du nicht sagst!‘ – und schon ist der andere wieder am kommunikativen Zug.“ Eine Frage der Tonalität. Unabhängig von der gewählten „Wortkraft“spielt auch die Tonalität eine gewichtige Rolle: „Wichtig ist, dass selbstbewusst gekontert wird – ohne bösartig zu sein.“Der Kurs solle schließlich keine Konflikte auslösen, sondern unpassendes Verhalten aufzeigen. „Sprachlosigkeit macht unsicher, und Unsicherheit kann zu einem sozialen Rückzug der Betroffenen führen“, warnt Herscovici. „Und wer vereinsamt, wird oft traurig, verliert den Kampfgeist – und wird kränker.“
Eine Beobachtung, die auch Internist Günther Neumayr gemacht hat: „Wer Ziele hat, bleibt aktiv. Immer mehr Studien belegen, dass ein aktiver Lebensstil nicht nur das Sterberisiko senken, sondern auch die Verträglichkeit von Krebstherapien verbessern kann.“Täglich in gemütlichem Tempo eine Stunde lang spazieren zu gehen, „hat nachweislich positive Effekte auf einen Tumor, wie etwa bei der Brustund Dickdarm-Malignomerkrankung gezeigt werden konnte“. Ein Befund, den die American Cancer Society schon vor 15 Jahren stellte und der im Mai 2016 Bestätigung erfuhr. Damals wurde eine Meta-Analyse, die zwölf große Studien mit 1,44 Millionen Erwachsenen zusammenfasste, publiziert. Das Ergebnis: „13 der 26 Krebsarten – darunter waren Tumore der Niere, Leber, Gallenund Harnblase, verschiedene Lymphome und Leukämien – erfuhren eine deutliche Inzidenzreduktion (Inzidenz ist die Häufigkeit, mit der eine Tumorerkrankung auftritt, Anm.), wenn die Patienten sich während der Therapie bewegten“, so der Mediziner. Selbst bei Krebs in fortgeschrittenem Stadium „kann Bewegung den Tod zwar nicht verhindern, aber die Lebensqualität für die verbleibende Zeit steigern“. Wer sich nicht nur bewege, sondern ein Ausdauertraining – laufen, schwimmen, Rad fahren – absolviere, könne sein Wohlbefinden noch schneller verbessern, sagt Neumayr: „Wir sprechen von einer Bewegung mit höherer Intensität – auf Tirolerisch, man muss ins Schnaufen und Schwitzen kommen.“
Auch auf die Verträglichkeit der Therapie – allen voran der Chemotherapie – wirkt sich Bewegung positiv aus: „Regelmäßige körperliche Bewegung ist eine Prophylaxe, ein Präventions-, ein Therapie- und ein palliatives Mittel.“Aktive Krebspatienten seien leistungsfähiger und verfügten über mehr Muskelkraft, zugleich würden sie seltener an Depressionen, Müdigkeit und Infektionen leiden. Auch ist ihr Bedarf an Antibiotika geringer, die Spitalsaufenthalte fallen meist kürzer aus.
Unbedachtheit kränkt: »Du hast Krebs? Dann kannst du dir ja einen Sarg bestellen!« Auch ein Kurs gegen Sprechfallen für Ärzte und »Nichtkranke« ist geplant.
Zudem kann regelmäßige Bewegung präventiv wirken: „Den ultimativen Abwehrschild gegen Krebs haben wir zwar noch nicht gefunden, aber immer mehr Untersuchungen zeigen, dass, wer körperlich aktiv ist, seltener an Krebs erkrankt als körperlich inaktive Personen“, betont Neumayr. Nicht zu vernachlässigen auch der psychologische Effekt: „Der Schock der Diagnose, die Widrigkeiten der Behandlung, lassen sich im Gespräch besser verarbeiten – und Zuversicht schöpfen.“
„Mut“lautet auch das Motto von Bloggerin Altmann-Pospischek. Das Leben der heute 43-Jährigen erfuhr im Juli 2013 eine Zäsur: „Ich bekam die Diagnose Brustkrebs mit Leber- und Knochenmetastasen – und war starr vor Angst.“Denn nach derzeitigem medizinischen Wissensstand besteht keine Möglichkeit auf Heilung. Auch