»Einer allein sieht zu wenig«
Allein in Salzburg arbeiten mehr als 700 Menschen in den örtlichen Lawinenwarnkommissionen.
Ausrüstung, Fahrzeuge, Stützpunkte oder Ausbildungen. Diese Ausbildungen sind vielleicht ein Lohn für den Einsatz – wie die Kameradschaft: Gurdet spricht von einem „riesigen Vertrauen. Wir legen uns unsere Leben mehrmals gegenseitig in die Hände“, sagt er. Dieser Geist, plus das Gefühl, wie es ist, jemanden retten zu können, sei es, was die Gruppen motiviert.
Und die Motivation, mitzumachen, ist offenbar groß: Die Zahl der Mitglieder ist konstant bis leicht steigend – im Ausmaß, wie die Zahl der Einsätze steigt, wächst sie aber nicht (siehe Zahlen links). Schwieriger als Einsatzkräfte zu finden ist es, diese für ehrenamtliche Führungsfunktionen zu begeistern. Schließlich haben die Bergretter mit Faktoren zu tun, wie man sie auch von freiwilligen Feuerwehren oder anderen Freiwilligen-Organisationen kennt: Menschen werden mobiler, pendeln, ziehen in Städte, oder haben Arbeitgeber und Verpflichtungen, die es im Fall eines Notrufs nicht leichter machen, sofort aufzuspringen und in ein paar Minuten in der Einsatzzentrale zu sein.
Trotzdem, von den Ortsstellen der Bergretter aus ist jeder Ort Österreichs erreichbar – wie lang das dauert, ist von Fall zu Fall verschieden. Wird der Bergrettungs-Notruf 140 gewählt wird, informiert die Einsatzzentrale via SMS den Einsatzleiter der Ortsstelle, der gibt die Warnung via Handy-Alarmierung an seine Kollegen weiter. Erfahrungsgemäß, sagt Gurdet, wissen die Einsatzleiter, mit wem wann in etwa zu rechnen ist. Wie läuft ein Einsatz ab? Sollten einmal nicht genug Bergretter verfügbar sein, helfen Nachbar-Ortsstellen aus. Bei Unfällen wird auch die Alpinpolizei verständigt, ob ein Alpinpolizist mitkommt, um ein (Fremd-)Verschulden zu klären, wird je nach Einsatz ent- Eine Lawine ist ein komplexes Phänomen: Ob sie entsteht, hängt nicht nur von der Menge des Schnees ab. Wind, Temperatur, Gelände, Exposition, Schwachschichten – ob Gefahr besteht, hängt von vielen Faktoren ab. „Deshalb braucht es ganz viele Menschen im Land, die vor Ort die Situation beobachten und berichten“, beschreibt Bernd Niedermoser, der Leiter der Lawinenwarnzentrale Salzburg, wie die Gefahreneinschätzung entsteht: „Der Lagebericht entsteht nicht am Schreibtisch eines Einzelnen. Es braucht 1000 Augen im ganzen Land.“
Einer, der seine Augen offen hält, ist Alois Fellner. Der Abtenauer Unternehmer leitet die örtliche Lawinenwarnkommission und macht für den Lawinenwarndienst Geländebeobachtungen. Eine große Aufgabe: Die örtliche Lawinenwarnkommission, in Abtenau besteht sie aus fünf Personen, beurteilt, ob auf Straßen, Pisten oder Gebäude Lawinen abgehen könnten. Auf Basis ihrer Einschätzung wird gesperrt oder evakuiert. Fellner begegnet Lawinen mit großem Respekt. Als 16-Jähriger war er mit einem Freund mit den Ski- ern im Gelände unterwegs, als ein Schneebrett abging. Warnungen hatten die beiden nicht ernst genommen. Fellner konnte seinen Freund mit Müh und Not ausgraben, er blieb unverletzt.
Als der Abtenauer später selbst zwei Lawinenabgänge überlebte, stand für ihn fest: „Ich muss mich bilden.“Er kaufte Bücher über Lawinenkunde, sprach mit erfahrenen Bergführern, ging zur Bergrettung, machte Ausbildungen. „Es ist ein dauernder Lernprozess“, sagt er über die Gefahreneinschätzung. Seit er in der Lawinenwarnkommission ist, hat er sich ein Netzwerk aufgebaut. Einer allein sieht zu wenig. Wenn es schneit, bricht er noch in der Dämmerung zu seinen Kontrollfahrten auf. Er achtet auf Abrisse, Einwehungen oder die Scheebeschaffenheit. Dann telefoniert er mit anderen, die in der Natur unterwegs sind, mit Jägern oder den Milchfahrern, die von Hof zu Hof fahren und viele Veränderungen wahrnehmen – und so Puzzlesteine für das große Bild liefern.
„Ich musste lernen, dass bei der Beurteilung Emotionen völlig draußen bleiben müssen“, erzählt Fellner. Zur Leiter der Salzburger Lawinenwarnzentrale Einschätzung werden Schneeprofile gegraben, um Aussagen über den Aufbau der Schneedecke treffen zu können. Daraus entsteht dann ein Gesamtbild, mit dem die Kommission arbeiten kann. Von deren Empfehlungen hängt viel ab, es geht um Menschenleben. „Für uns gibt es nur ein Ja oder ein Nein, eine Zwischenlösung ist ausgeschlossen.“
Wie geht man damit um, sich wegen Leichtsinns Fremder in Gefahr zu begeben?
Arbeit einer „Lawinenfamilie“. Im Land Salzburg arbeiten rund 700 Experten für die 90 Kommissionen – alle ehrenamtlich. „Für die Mitglieder der Kommissionen hat die Lawine einen Namen“, erzählt Niedermoser. Sie kennen Lawinenstriche, wissen um exponierte Stellen. Für die Lawinenwarnzentrale sind ihre Meldungen von unschätzbarem Wert. „Wir sind wie ein riesiger Datenstaubsauger“, beschreibt Niedermoser seinen Part. Die Meldungen sind neben technischen Messdaten, Erkundungsflügen oder dem Wetterbericht ein Baustein, aus dem der Lagebericht entsteht. Ein Produkt, für das „eine riesige Lawinenfamilie“in Salzburg zusammenarbeitet.