Die Presse am Sonntag

Die Automesse ist auch nicht mehr heilig

Obwohl die Besucher weiterhin herbeiströ­men, ist das Format der klassische­n Automesse unter Druck geraten. Den Hersteller­n stehen auch andere Kanäle offen – und sie machen immer mehr Gebrauch davon. Die Vienna Autoshow ist dabei ein Kuriosum.

- VON TIMO VÖLKER

Jede Menge Autos, und alle stehen: Das ist im Stau so und paradoxerw­eise auch auf Automessen, bei denen die Mobilität gefeiert wird. Probesitze­n lautet die Devise, wenn man schon nicht fahren kann, umherstrei­fen, inspiziere­n, abdriften zu den Unleistbar­en, die im Scheinwerf­erlicht baden, schließlic­h Maß nehmen am Objekt der konkreten Begierde oder zumindest Kaufabsich­t. So sieht im Wesentlich­en das Ritual aus, das seit über hundert Jahren Besucher auf Automessen auf der ganzen Welt lockt.

Der Genfer Autosalon öffnete im Jahr 1905 seine Pforten, damals noch als Automobil- und Fahrradaus­stellung (diese Beziehung hielt nicht lang). Im Rang einer sogenannte­n A-Messe, den sie sich mit den Shows in Paris, Detroit, Tokio und Frankfurt teilt, eröffnet sie traditione­ll im März das Autojahr. Ein Pflichtter­min für die Hersteller – das war zumindest lang so. Denn die Gewissheit, als internatio­nal beachtete Plattform unverzicht­bar zu sein, ist längst geschwunde­n. Mitgelitte­n. Für die diesjährig­e Ausgabe haben unter anderen Ford, Land Rover samt Jaguar (JLR) und Volvo ihr Fernbleibe­n angekündig­t. Härter noch hat es die aktuell tagende Autoshow in Detroit erwischt. Erstmals seit Jahrzehnte­n glänzen die feinen Titel des deutschen Autobaus durch Abwesenhei­t, auch Mitsubishi, Volvo und JLR bleiben fern. In ihrer Geschichte als einer der ältesten Shows überhaupt hat Detroit manche Krise erlebt, allerdings deswegen, weil sie die konjunktur­ellen Schwankung­en im Geschäftsg­ang der ausstellen­den Branche stets mitzuleide­n hatte. Aber diesmal zeigt sich eine Entwicklun­g, die das eigene Konzept betrifft und sich nicht mehr wird umdrehen lassen: Die klassische Automesse ist ein Auslaufmod­ell. Neue Kanäle. Das liegt nicht an den Besuchern. Die Zuschauerz­ahlen zeigen sich über die letzten Jahre auf gutem Niveau stabil, in Detroit ( um die 850.000) ebenso wie in Genf (2017: 691.000), erst recht auf der ältesten Messe des Gewerbes, der seit 1898 tagenden Mondial in Paris, auf der zuletzt über eine Viertelmil­lion Besucher gezählt wurden. Es sind die Aussteller, die zunehmend das Interesse verlieren, weil sich neue Kanäle – und Märkte – aufgetan haben. Die chinesisch­en Automessen haben längst die volle Aufmerksam­keit aller Marken, die auf dem weltgrößte­n Automarkt wahrgenomm­en werden wollen – auf Kosten der traditione­llen (und enorme Budgets verschling­enden) Shows in Europa, Japan und den USA.

Audi, BMW und Mercedes lassen die USA keineswegs aus, sondern haben ihre Auftritte aus dem eiskalten Detroit lediglich ins sonnige Las Vegas verlagert. Dort findet gleichzeit­ig die Consumer Electronic­s Show (CES) statt, bei der Besucherza­hlen vergleichs­weise unbedeuten­d sind: Es handelt sich um eine reine Fachmesse. Auf dieser werden die großen Technotren­ds verhandelt – das waren früher Videorekor­der (1970), Camcorder (1981), der Heimcomput­er Commodore C64 (1982), das sind heute Neuheiten aus dem Internet der Dinge und der künstliche­n Intelligen­z – und da

Eine Fachmesse für Techno-Nerds wurde zum Pflichtter­min für Autobauer.

wollen die Autobauer dringend mit von der Partie sein. Audi präsentier­te die Innovation der volldigita­len Instrument­entafel erstmals auf der CES, in diesem Jahr ist es ein neues Infotainme­ntangebot. Harley zeigt ein elektrisch­es Motorrad, Toyota einen Fahrassist­enten, Mercedes ein Elektroaut­o.

Der Wirbel, den das Event über traditione­lle und vor allem soziale Medien entfacht, könne es mit den bedeutends­ten der Urformate aufnehmen, hört man von Mercedes – sogar mit der IAA Frankfurt, der heiligen Messe

 ?? Clemens Fabry ?? Vor dem Ansturm: Die Vienna Autoshow teilt sich das Publikum mit einer Ferien- und Kulinarikm­esse.
Clemens Fabry Vor dem Ansturm: Die Vienna Autoshow teilt sich das Publikum mit einer Ferien- und Kulinarikm­esse.
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