Leben in der Tiefe
Auch unter der Oberfläche ist die Erde nicht tot, im Gegenteil: In der Deep Hot Biosphere summieren sich Bakterien zu enormer Biomasse.
Steig hinab in den Krater des Sneffels Yocul, kühner Wanderer, und du wirst zum Mittelpunkt der Erde gelangen.“Das stand, in Runen und verschlüsselt, auf dem Zettel eines Alchemisten aus dem 16. Jahrhundert, ein Mineraloge und sein Neffe dechiffrierten es 1863, es war lateinisch: „Descende, audax viator!“Unerschrocken folgten sie der Weisung, stiegen auf den längst inaktiven Vulkan auf Island und in ihm hinab, erst im Trockenen, dann kam Wasser, immer mehr, schließlich ein Ozean. Als sie den auf einem Floß querten, blieben ihnen die Herzen doch schier stehen: Direkt neben ihrem zerbrechlichen Gefährt verbissen zwei gigantische Meeressaurier sich ineinander!
Diese Geschichte von Jules Verne war auch dem Geologen Tullis Onstott (Princeton) wohl vertraut, als er 2008 in Wasserproben aus 1,5 Kilometer Tiefe in einer Goldmine in Südafrika auf Leben stieß bzw. auf Genome: Es waren die von Bakterien, er nannte sie Desulforides audaxviator (Science 322, S. 275). Sie nähren sich in ihren lichtlosen Tiefen davon, dass sie Sulfate zu Sulfiden reduzieren – daher der Schwefel im Namen –, die nötigen Elektronen liefert Wasserstoff, der radiolytisch gebildet wurde, durch das Aufspalten von Wasser durch zerfallendes Uran.
Diese Bakterien zählen zu den tiefsten in einem Reich des Lebens, das früh erschlossen wurde – vielleicht sogar seine Wiege war –, aber erst spät bemerkt, dem der „Endoterrestrials“(c/o Douglas Fox/The Atlantic). Natürlich wusste man lange schon, dass es in den obersten Zentimetern der Erde von Bakterien wimmelt. Aber weiter unten? Die Idee war 1992 noch so verwegen, dass der Verfasser für ihre Publikation in Pnas – dem Journal der US-Akademie der Wissenschaften – bezahlen musste (und die Arbeit als „advertisment“ausgeschildert wurde: 89, S. 6045). Vielleicht hatte das auch etwas mit seinem Namen zu tun: Thomas Gold.
Der wurde 1920 in Wien geboren und war ein Multitalent, das sich in vielen Wissenschaften einen Namen machte, in der Astrophysik einen gu- ten – er postulierte, dass Pulsare rotierende Neutronensterne sind, er behielt recht –, in der Geologie einen umstrittenen. Da verfocht er, dass Erdgas und Erdöl nicht aus Biomasse entstanden sind, sondern geogen, und dass sie das bis heute tun. Darüber wird auch bis heute gestritten, erbittertst, als Zeugen dienen beiden Parteien Spuren von Bakterien, die sich oft in Erdöl finden: Für die eine Fraktion sind sie die Produzenten, die Biomasse zersetzen, für die andere sind sie Konsumenten, die sich von Erdöl und Erdgas nähren.
Wie auch immer: Lange ging man davon aus, dass alles Leben, das auf der Erde und das in den Meeren, seine Energie aus der Sonne zieht und mit ihr Wasser und CO2 verarbeitet. Aber in den 1980er-Jahren fanden sich in finstersten und entlegensten Winkeln der Erde, an Tiefseevulkanen, Bakterien, die von Chemikalien leben. Gold zog daraus den Schluss, dass es solches Leben überall in der Erdkruste gibt, bis zu zehn Kilometern hinab – dann wird es mit 150 Grad Celsius zu heiß –, er schätzte die Biomasse der Deep Hot Biosphere auf die gleiche Größenordnung wie die überirdische. Spuren allerorten. Spuren fanden sich bald überall, im gleichen Jahr 1992 die von bakterienzerfressenem Gestein in Norwegen, später die von Bakterien selbst in vielen kilometertiefen Bergwerken – in einem in Südafrika leben sogar Nematoden –, später bohrten auch Forscher und wurden etwa in Kohlelagern 2,5 Kilometer unter dem Meeresboden vor Japan fündig (Science 349, S. 420) oder in aufgestiegenem Gestein am Persischen Golf, wo Alexis Templeton (University of Colorado) im Rahmen des Oman Drilling Projects auf Bakterien stieß, die wieder von Schwefel und Wasserstoff leben, diese aber aus einer anderen Quelle beziehen, aus Serpentinisierung, das ist die Umwandlung eines Minerals in ein anderes – Olivin in Serpentin – unter Anwesenheit von Wasser: Das wird gespalten, der Wasserstoff wird frei ( Geochimica et Cosmochimica Acta 222. S. 704-728).
Leben zeigt sich, wo auch immer gebohrt wird, die jüngste Schätzung von Sean McMahon (Edinburgh) sieht in der tiefen Biosphäre zwar nicht mehr so viel wie einst Gold, aber doch „ein Zehntel bis ein Drittel“der gesamten Biomasse der Erde (bzw. des in ihr gebundenen Kohlenstoffs), der Löwen- anteil ist heute in den Pflanzen (Journal of the Geological Society 2018-016).
Aber bevor diese kamen, vor 400 Millionen Jahren, übertraf das Leben unten das oben um eine Größenordnung. Und dass das Leben oben kommen konnte, verdankt es möglicherweise dem unten. Denn ein Oben gab es lange überhaupt nicht. Aus den Ozeanen ragten allenfalls einige Vulkane, aber nichts, in dem Pflanzen wurzeln konnten, dazu mussten erst Kontinente aufsteigen. Und das konnte erst geschehen, als dichter Basalt in leichteren Granit umgewandelt war.
Das kann wieder mit Kräften der Geologie geschehen – und vielleicht auch mit denen der Biologie, durch den Stoffwechsel von Bakterien. Für möglich hält das Robert Hazen (Carnegie Institution), einer der rührigsten und ideenreichsten Geologen – er leitet auch das Deep Carbon Laboratory, das dem Leben in der Tiefe nachgeht –, allerdings ist das so ungesichert, dass die Publikation als „Hypothesis“ausgewiesen wurde ( Astrobiology 2015.1302).
„Endoterrestrials“finden sich, wo auch immer man sucht, bis zu zehn Kilometern hinab. Sie nähren viele Hypothesen: Haben sie die Kontinente mitgebaut, lösen sie Beben aus?
Von Hypothesen wimmelt es in dieser Forschung fast so wie von Bakterien in der Tiefe, Onstott etwa geht dem Zusammenhang von Endoterrestrials und Erdbeben nach, wieder in einem Goldbergwerk in Südafrika. Dort reißen schwache Beben immer wieder Spalten ins Gestein, sie bieten Bakterien Habitate. Aber geht es auch umgekehrt, können die Bakterien die Spalten so erweitern, dass neue Beben ausgelöst werden? Onstott klärt es gerade (Science, 356, S. 891).
Am Ende bleibt noch eine Spekulation, auf die schon Gold verfallen war: Wenn es Leben tief in der Erde gibt, warum dann nicht tief im Mars? Dessen Oberfläche ist extrem lebensfeindlich – eiskalt, ohne flüssiges Wasser, dafür voll tödlicher UV-Strahlung der Sonne –, aber weit unten könnten Bakterien gedeihen, und natürlich nicht nur im Mars. Man wird es nur nie wissen, kilometertief bohren kann man auf dem Nachbarn nicht, und einen hilfreichen Vulkan, durch den man zum Mittelpunkt des Mars reisen könnte, gibt es auch nicht.