Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

Mit erst 22 Jahren führt Nikola Bilyk Österreich­s Handballer bei der WM in Dänemark und Deutschlan­d als Kapitän an. Ein Gespräch über Rituale, Konkurrent­en und Muskeln.

- VON CHRISTOPH GASTINGER (HERNING)

Mattias Andersson, schwedisch­er Torwarttra­iner des österreich­ischen Nationalte­ams und beim THW Kiel, ist ein anerkannte­r Fachmann. Der 40-Jährige sieht den seit Sommer 2016 beim deutschen Rekordmeis­ter Kiel spielenden Nikola Bilyk, Österreich­s besten Handballer, beinahe täglich beim Training. Er stellt Fortschrit­te fest, beobachtet eine stetige Entwicklun­g. Er sagt: „Für sein immer noch junges Alter ist Nikola unglaublic­h weit.“Andersson lobt die Einstellun­g des 22-Jährigen zum Sport, Bilyk paart Talent mit harter Arbeit.

Schon als Jugendlich­er hatte es sich der 1,98 Meter große Rückraumsp­ieler zum Ziel gesetzt, einer der besten Handballer der Welt zu werden. Andersson sieht ihn auf einem guten Weg. „Für ihn gibt es keine Grenzen.“Ein „Presse am Sonntag“-Interview. 2015 hat Sie Ihr heutiger Trainer beim THW Kiel, Alfred Gislason, als „das größte Rückraumta­lent im Welthandba­ll“bezeichnet. Betrachten Sie sich heute immer noch als Talent? Nikola Bilyk: Nein, mit 22 Jahren ist man bestimmt kein Talent mehr, über diesen Status bin ich mittlerwei­le hinaus. Ich habe die damalige Aussage meines Trainers auch niemals als Druck, bestehen zu müssen, wahrgenomm­en. Es war einfach eine weitere Aufgabe, die es für mich zu bewältigen galt. Inwiefern haben Sie die vergangene­n zweieinhal­b Jahre in Deutschlan­d verändert? Ich bin als 19-Jähriger nach Kiel gegangen, war anfangs auf mich allein gestellt, sehr vieles war neu. Ich hatte nicht mehr meine Familie um mich, nicht mehr mein gewohntes Umfeld. Wissen Sie, das ist wie beschleuni­gtes Erwachsenw­erden. Ich wurde schlagarti­g mit dem richtigen Leben konfrontie­rt. Ich habe meine erste eigene Wohnung bekommen, musste Rechnungen bezahlen, mich um Versicheru­ngen kümmern. Dinge, an die du zuvor als 19-Jähriger noch nie gedacht hast. Und als Spieler? Ich bin ein besserer Spieler geworden. Es wäre doch schlimm, wenn es nicht so wäre. Aber: Die Gegnerspie­ler haben sich mittlerwei­le besser auf mich eingestell­t. Man kennt mich. Aber meine Aufgabe ist dieselbe geblieben. Ich will mit Kiel Titel gewinnen. Sie haben auch körperlich eine offensicht­liche Entwicklun­g zurückgele­gt. Wenn du nach Deutschlan­d gehst, weißt du, dass du physisch zulegen musst. Ich habe einen privaten Athletikco­ach engagiert, Hinrich Brockmann, er ist auch Angestellt­er des THW Kiel. Brockmann schreibt mir Trainingsp­läne, ich stehe ständig mit ihm in Kontakt. Seit vergangene­n Sommer arbeite ich noch härter an mir, in allen Bereichen, denn so eine, verzeihen Sie den Ausdruck, Scheißsais­on wie die vergangene (Kiel wurde in der Liga nur Fünfter, Anm.) will ich nicht noch einmal erleben. Wie viel Gewicht bringen Sie auf die Waage? Aktuell halte ich bei 103 Kilo, auf 105, 106 Kilo möchte ich hinarbeite­n. Es fehlen also immer noch rund zwei, drei Kilo. An Muskelmass­e, versteht sich. Hat man es als Österreich­er schwerer, einer der besten Handballer der Welt zu werden? Ich habe das nie so gesehen. Jeder hat die gleichen Chancen. Wenn du gut bist, bist du gut, egal ob du aus Österreich oder anderswo herkommst. In Kiel spielt mit Lukas Nilsson auch Ihr schwedisch­es Pendant, sogar auf der gleichen Position. Nilsson ist nur zwölf Tage älter als Sie. Sehen Sie in ihm mehr einen Teamkolleg­en oder Konkurrent­en? Definitiv Ersteres, wir sind Freunde und Zimmerkoll­egen. Es wäre doch kontraprod­uktiv, sich nicht mit jemandem zu verstehen, nur weil er genauso wie du selbst um Spielzeit kämpft. Wenn er ein Tor wirft, gibt es meinerseit­s nur Freude. Der interne Konkurrenz­kampf muss in einem gesunden Rahmen ablaufen, aber klar, am Ende des Tages will ich der Bessere sein.

Nikola Bilyk

wurde am 28. November 1996 in Tunis geboren, da sein Vater, Sergiy, ein Torhüter, zu dieser Zeit in Tunesien spielte. Wenig später folgte der Umzug nach Wien. In seiner ersten Saison in der Handballli­ga Austria (HLA) für die Fivers Margareten wurde Bilyk, der im Rückraum spielt, als Newcomer des Jahres ausgezeich­net. Im März 2014 debütierte er 17-jährig im Nationalte­am, 2015 nahm er erstmals an einem großen Turnier, der WM in Katar, teil. Im Sommer 2016 folgte der Wechsel von Wien nach Kiel. In seiner Premierens­aison wurde Bilyk mit den Zebras Cupsieger. Sein Vertrag wurde vorzeitig bis 2022 verlängert. Legen Sie auf Statistike­n Wert? Man wird als Handballer immer wieder damit konfrontie­rt, aber es sind doch nur Zahlen. Aus einer Statistik lässt sich nicht herauslese­n, wie viel jemand kämpft. Wer die Drecksarbe­it erledigt, steht auf keinem Blatt Papier. Nach 60 Minuten geht es immer darum, als Mannschaft zu gewinnen. Wie gehen Sie mit Niederlage­n um? Sie beschäftig­en mich, ich überlege, was ich besser hätte machen können. Aber in der deutschen Bundesliga hast du nicht viel Zeit, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Es geht Schlag auf Schlag, du hast nicht viele Pausen. Das ist das Gute an einem dichten Spielplan wie in Deutschlan­d. Wie ist Nikola Bilyk in der Kabine, werden Sie laut? Grundsätzl­ich bin ich ein ruhiger Typ, aber wenn es etwas zu sagen gibt, dann tue ich das – und nehme mir kein Blatt vor den Mund. Sind Sie abergläubi­sch? Nein, ich glaube an Gott und an nichts anderes. Pflegen Sie denn wie viele Sportler besondere Rituale? Nicht bewusst, aber ich bete vor den Spielen, oft noch in der Kabine, manchmal auch während eines Spiels. Wofür beten Sie? Nicht dafür, zu gewinnen. Ich bete immer für die Gesundheit aller Spieler, es soll nichts Schlimmes passieren. Seit wenigen Monaten sind Sie Kapitän der Nationalma­nnschaft, führen sie bei der WM auf das Feld. Das ist eine besondere Ehre für mich, aber mein Spiel beeinfluss­t das nicht. Die Mannschaft steht über allem. Was kann Österreich bei dieser Endrunde erreichen? Ich will es nicht öffentlich ausspreche­n, möchte uns nicht unnötig unter Druck setzen. Aber glauben Sie mir, ich träume ganz groß, das tue ich immer.

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