Traumhafte Schläge in New York
Als erster österreichischer Boxprofi wird Eva Voraberger im Madison Square Garden um einen WM-Titel kämpfen und damit auf den Spuren der ganz Großen ihres Sports wandeln. »Es ist eine Ehre, dort zu boxen.«
Als Eva Voraberger im Dezember das E-Mail erreichte, war ihr die historische Dimension des Inhalts noch gar nicht bewusst. Ein WM-Kampf um den vakanten WBO-Titel, gegen die Puertoricanerin Amanda Serrano, in New York – so lautete die Anfrage an ihren Manager. Das allein genügte, um keine Sekunde mit der Zusage zu zögern. „Sie ist ein großer Name im Frauenboxen, das wollte ich unbedingt machen. Außerdem geht es nicht um meine Gürtel, deshalb habe ich nichts zu verlieren. Ich kann nur dazulernen – oder gewinnen“, sagt die 28-Jährige.
Vier Tage später wurde aus dem Titelkampf im Superfliegengewicht (bis 52,163 kg) eine Sternstunde ihrer Karriere: Da erfuhr die WBC-Weltmeisterin, dass das Duell am 18. Jänner im berühmten Madison Square Garden steigen wird. „Das habe ich zuerst gar nicht so richtig realisiert, das hat erst mit der Zeit langsam angefangen“, erinnert sie sich. „Richtig glauben werde ich es erst, wenn ich drinnen stehe. Noch ist alles wie ein Traum, der in Erfüllung geht.“
Im Madison Square Garden wird Voraberger am Freitagabend (Samstag 3 Uhr, live DAZN) vor 20.000 Zuschauern im Vorprogramm des WBO-Mittelgewichtskampfs zwischen Titelverteidiger Demetrius Andrade (USA) und Artur Akawow (RUS) als erster österreichischer Profi auf derselben Bühne wie die ganz Großen ihres Sports stehen. Denn bevor die Promoter um Don King auf der Suche nach dem großen Geld nach Las Vegas weiterzogen, war die Halle in Manhattan das Mekka der Szene. Das Gebäude zwischen der 7th und 8th Avenue bzw. 31st und 33rd Street hat Muhammad Ali, Joe Frazier, Lennox Lewis, Evander Holyfield, Mike Tyson oder die Klitschko-Brüder gesehen. „Jeder kennt diese Halle, dort hat die Creme` de la Creme` des Boxsports gekämpft“, weiß auch Voraberger, die selbst noch nicht vor Ort gewesen ist. „Dort zu boxen wird das Highlight meiner Karriere. Ich glaube nicht, dass so schnell wieder ein Profi aus Österreich dort kämpfen wird.“
Am heutigen Sonntag besteigt Voraberger mit ihrem Trainerteam das Flugzeug nach New York. „Noch fühlt es sich an wie jeder andere Kampf, aber wenn ich dort bin, wird das anders sein“, ist sie überzeugt. Im Madison Square Garden werden sie Partner Leo, selbst Boxer, und Freunde aus Graz („Die kennen mich, seit ich das erste Mal die Boxhandschuhe angezogen habe.“) anfeuern. Eine Kulisse dieser Größenordnung ist für sie absolutes Neuland, aber definitiv mehr ExtraMotivation als Einschüchterung. „Es ist eine Ehre, dort zu boxen.“
Ali, Tyson oder die Klitschkos – sie alle haben im Madison Square Garden geboxt.
Der Ehrgeiz des »Golden Baby«. Vier Wochen lang liefen die Verhandlungen im Vorfeld, tauschten sich Management und Anwälte der beiden Boxerinnen über jedes Detail aus. Über die Gage wurde Stillschweigen vereinbart. „Das alles war schon sehr speziell“, berichtet Voraberger. Üblicherweise ist ihre Vorbereitung auf einen Kampf auf zwölf Wochen ausgelegt, diesmal hatte sie vier Wochen Zeit. Zum Vorteil gereicht der gebürtigen Steirerin, dass sie erst im Oktober in Deutschlandsberg ihren WBC-Titel erfolgreich verteidigt hat. „Körperlich habe ich noch sehr viel vom letzten Kampf, aber natürlich ist es sehr anstrengend.“Zwei bis drei Einheiten stehen täglich auf dem Trainingsprogramm – auch zu Weihnachten und zu Silvester. „Feiertage gibt es im Boxen nicht“, betont Voraberger und ist bemüht, mit Klischees aufzuräumen. „Zwei Kämpfe pro Jahr bedeutet nicht, dass ich zweimal 20 Minuten kämpfe und sonst Urlaub habe.“Auch die Ernährung sei ein wesentlicher Aspekt – viel Eiweiß, wenig Kohlenhydrate in der letzten Phase – und über die Feiertage eine besondere Herausforderung gewesen; noch dazu, weil die 1,61 m große Sportlerin diesmal in der im Vergleich zum letzten Kampf um 1,4 kg niedrigeren Gewichtsklasse antritt. „Da muss ich schon mehr tun, um kurzfristig runterzukommen.“
Den Weg in den Ring hat Voraberger als Teenager gefunden. Unruhig und unausgeglichen sei sie damals gewesen. Thaiboxen habe einen Ausgleich geboten und sie Disziplin gelehrt. Die Ausbildung zur Bürokauffrau schloss sie noch ab, die wahre Leidenschaft aber hatte sie schon entdeckt. Im Fernsehen verfolgte sie die Boxkämpfe der Deutschen Regina Halmich. „Das wollte ich ausprobieren. Und dann ist von Kampf zu Kampf der Ehrgeiz gewachsen“, erzählt sie. Ihren ersten Wettkampf bestritt sie mit 17 in Graz, gegen die deutlich erfahrenere Gegnerin ging sie gleich in der ersten Runde zu Boden. „Ein K.-o. kann immer passieren, aber ich werde sicher nie einen Kampf aufgeben“, lautet ihr Credo bis heute. Aus der Anfangszeit rührt auch ihr Spitzname „Golden Baby“, ein ungarischer Trainer hat ihr diesen verpasst. „Irgendwann hat mein Manager gesagt, der bleibt. Und es passt auch, weil Oscar de la Hoya, der Golden Boy, mein Lieblingsboxer gewesen ist.“
2008 gab Voraberger ihr Profi-Debüt, ein Jahr später übersiedelte sie von Graz nach Wien zum Boxteam Vienna. Im Juni 2014 gewann sie als erste österreichische Boxerin einen WM-Titel – den ersten von sechs insgesamt –, nun schreibt sie also in New York das nächste Stück Sportgeschichte. Gegnerin Serrano, 30, ist eine große Nummer, hat bereits Titel in sechs verschiedenen Gewichtsklassen und 35 ihrer 37 Kämpfe gewonnen, 26 davon durch K.-o. Voraberger (24 Siege in 29 Kämpfen) geht daher als krasse Außenseiterin in das Duell mit der Rechtsauslegerin aus Puerto Rico. Sie spricht von einer Riesenchance: „Es wird sicher meine bis- 2009 übersiedelte Eva Voraberger aus Graz nach Wien zum Boxteam Vienna. Volltreffer oder ein K.-o. fürchtet die 28-Jährige nicht. „Durch das Adrenalin spürt man es nicht wirklich.“
Im Gegensatz zu anderen Sportkolleginnen, die sich auf ihren jeweiligen Bühnen perfekt gestylt präsentieren, legt Voraberger im Ring wenig Wert auf Äußerlichkeiten. An mögliche Verletzungen denkt sie ebenso wenig wie an die Verwendung von Make-up. „Wenn die Schminke im Gesicht herunterrinnt, würde das sowieso nicht gut ausschauen und nur in den Augen brennen“, sagt sie. Jede Sportlerin müsse das allerdings für sich selbst entscheiden, privat sei es auch für sie eine ganz andere Geschichte. „Da entspreche ich allen gängigen Klischees. Aber beim Boxen hat das für mich nichts zu suchen, da geht es mir nur darum, zu zeigen, was ich kann.“
Das ist auch für den kommenden Freitag im Madison Square Garden das große Ziel. Mit gesunder Anspannung, aber (noch) ohne Nervosität blickt Voraberger dem Highlight entgegen. Angesichts des besonderen Rahmens überlegt sie, diesmal zu Falcos „Vienna Calling“in die Halle einzuziehen. „Ich will Österreich vertreten und der Welt zeigen, dass wir ganz vorne dabei sind.“An ihrem Glücksbringer, dem Kreuz, und dem Ritual, sich vor Betreten des Ringes zu bekreuzigen, wird sich indes nichts ändern. Vielleicht wird eine Erinnerung an diesen Abend einmal als Tätowierung auf ihrem Körper Verewigung finden, die Boxhandschuhe dieses historischen Auftritts werden jedenfalls „die ersten sein, die bei mir zu Hause ein schönes Plätzchen bekommen“.
Nach dem Kampf hat Voraberger keine Zeit, um den „Big Apple“zu genießen. Es zieht sie zurück nach Wien. Dort warten nicht nur Familie und Freunde, sondern auch die Eröffnung des neuen Trainingszentrums in Floridsdorf: „Die haben wir extra verschoben. Es gibt noch viel zu tun.“