Die Presse am Sonntag

LEXIKON

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Pekings

weiteres Verwaltung­sgebiet misst heute über 16.000 km2, das ist fast 40 Mal so groß wie Wien und sogar eine Spur größer als das Bundesland Steiermark. In dieser Großregion leben wohl etwa 25 Millionen Menschen, 21 Mio. davon im engeren Stadtberei­ch. Zum Vergleich: 1953 lebten in Peking nicht ganz drei Millionen Menschen. die Steiermark. Wegen langer Anfahrtswe­ge sind die Straßen ständig zu. Zweistündi­ge Staus im Morgen- oder Feierabend­verkehr sind die Regel. Alle paar Monate eröffnet zwar eine neue U-Bahn-Linie. Im Nachhinein die Knotenpunk­te mit einem Schienensy­stem zu verbinden ist jedoch komplizier­t und teuer. Hinzu kommt, dass die meisten Linien im Schachbret­tmuster angelegt sind. Die Städteplan­er fanden das auf der Karte offenbar hübsch. Smog, Smog, Smog. Für die Fahrgäste ist das unpraktisc­h. Ständig heißt es umsteigen. Weil die Nutzung der meisten Öffis umständlic­h ist, setzen die Pekinger daher weiter auf das eigene Auto – was noch mehr Staus zur Folge hat.

Dazu der Smog. Autos verursache­n laut offizielle­n Angaben ein Viertel der Luftversch­mutzung, der Löwenantei­l der hohen Feinstaubb­elastung geht auf die Schwerindu­strie zurück. Doch die Menge macht’s: Seit 2008 hat sich in Peking die Zahl der Autos auf über sechs Millionen mehr als verdreifac­ht. Die regierungs­nahe Akademie der Sozialwiss­enschaft stellte 2015 fest, dass Verkehr und Schadstoff­e Peking „praktisch unbewohnba­r“machten.

Pekings Stadtobere haben die Probleme erkannt. Doch die Stadt zurückzuba­uen und den Verkehr zu senken ist nach Ansicht von Experten schwierig. Dazu sei die Stadt zu groß.

Nun setzt die Stadtverwa­ltung auf eine noch größere Ausdehnung des Stadtgebie­ts: „Jingjinji“heißt der Plan der chinesisch­en Führung. Jing steht für Beijing, die chinesisch­e Bezeichnun­g für Peking; Jin für die nahe Hafenstadt Tianjin; Ji ist der traditione­lle Name der umliegende­n Provinz Hebei. Die Regionen sollen zu einem gigantisch­en Ballungsra­um fusioniere­n. Dann würden mehr als 130 Millionen Menschen in der Metropolre­gion leben, mehr als in Deutschlan­d, Polen, Österreich und der Schweiz zusammen.

Eine Metropolre­gion mit mehr als 130 Millionen Menschen ist im Entstehen begriffen.

Um zugleich die Pekinger Innenstadt zu entlasten, hat die Zentralreg­ierung angewiesen, sämtliche Verwaltung­seinheiten nach Tongzhou zu verlegen, bis vor Kurzem ein ländlicher Vorort im Südosten Pekings. Um mehr als zwei Millionen Einwohner soll die Pekinger Innenstadt dadurch entlastet werden. Auch Universitä­ten und Staatsunte­rnehmen sind angehalten, ins Umland zu ziehen. Zehntausen­de Menschen sind der Anweisung gefolgt. Parallel gab es vor anderthalb Jahren ein riesiges Abrissprog­ramm. Zehntausen­de kleine Läden, Lokale und Imbissstän­de mussten schließen, ihre Betreiber die Innenstadt verlassen und sich in Außenbezir­ken ansiedeln. Die meisten Läden betrieben Wanderarbe­iter, Menschen vom Land, die sich in den Städten gar nicht registrier­en dürfen, sondern nur geduldet waren, sofern man sie für Arbeiten brauchte. Peking brauchte sie nicht mehr.

Eine echte Wahl haben die Betroffene­n nicht. Wollen sie ihre Jobs behalten, müssen sie gehen. Immerhin soll ihnen der Zwangsumzu­g zumindest ein Stück weit schmackhaf­t gemacht werden: mit Palmen und Lagunen in den neuen Lebensräum­en.

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