Die Presse am Sonntag

»Ich wollte es allen zeigen!«

Die Linzerin Mavi Phoenix macht Karriere im internatio­nalen Pop. Mit der »Presse am Sonntag« sprach sie über ihre Erfolge, Feminismus und warum sie sich als Außenseite­rin fühlt.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ihr neuer Song „Yellow“prunkt mit allerlei Stimmverfr­emdungseff­ekten. Mavi Phoenix: Ich mochte anfangs meine Stimme nicht so gern und tat mir schwer, zu akzeptiere­n, dass ich das bin auf dem jeweiligen Song. Ich war ja zunächst nur begeistert­e Musikkonsu­mentin, bevor ich mit 13 Jahren in der Schule begann, Sounds am Computer zu basteln. Diese künstliche Singstimme ist mir geblieben. Mir taugt sie, weil sie mein Innerstes nicht total erfasst. Ich kann mit ihr vielerlei Rollen spielen. Authentisc­h sollen andere sein. Haben Sie mal darüber nachgedach­t, warum Sie so früh in Ihrem Leben die Kunst der Realität vorgezogen haben? Es war wohl meine Art der Rebellion. Kürzlich war ich mal wieder in Linz, wo ich aufgewachs­en bin, und habe mir gedacht, dass das der total verkehrte Ort fürs Musikmache­n ist. In die Musik gestürzt habe ich mich ja davor schon als Hörerin. Ich bin aufgewachs­en mit diesen Disneystar­s wie Miley Cyrus und habe mir eingebilde­t, dass ich, die Marlene, da eines Tages dazugehöre­n könnte. Ich wollte es allen zeigen. Motor für Ihre Kreativitä­t ist offenbar eine Art Fremdheits­gefühl. Woher rührt dieses? Es gibt mehrere Ursachen. Etwa, dass wir oft umgezogen sind und ich so keine festen Freundscha­ften entwickeln konnte. Außerdem sah ich, weil mein Opa aus Syrien ist, anders aus als meine Mitschüler. Aber die größte Sache war die Sexualität. Ich habe ja schon früh gewusst, dass ich mich für Mädchen interessie­re. Aber ich habe das in der Pubertät nicht hinausposa­unt. Ist das in unserer liberalen Gesellscha­ft nicht längst egal? Nur in der Theorie. Wenn ich mit meiner Freundin in Linz unterwegs war, wurden nie öffentlich Zärtlichke­iten ausgetausc­ht. Bei jeder Person, die du kennenlern­st, überlegst du, ob du ein Coming-out machst oder eben nicht. Ihre Lieder veröffentl­ichen Sie bislang zizerlweis­e als Downloads oder als Vinyl-Maxis. Warum kein Album? Ich fühle mich noch nicht groß genug, selbst eines zu machen. Es gibt Kollegen, die von der Reichweite kleiner sind als ich, aber schon das vierte Album am Markt haben. Ich möchte noch ein wenig abwarten. Es soll perfekt werden. Privat höre ich fast ausschließ­lich über Streamingd­ienste. Alben höre ich meist im Shuffle-Modus. Ist das nicht ein Sündenfall? Mit der ShuffleTas­te greift der Hörer in die Autonomie des Kunstwerks ein. Sie macht alle Mühen des Künstlers um Dramaturgi­e zunichte. Das stimmt. Dabei überlege ich mir die Reihenfolg­e selbst ganz penibel, wenn ich EPs (Anm.: steht für „Extended Play“, also Maxis mit vier oder fünf Songs) mache. Die Alben meiner Lieblingsk­ünstler, etwa Kendrick Lamar und Childish Gambino, höre ich mir aber schon komplett an. Sie produziere­n Musikvideo­s, die es nach dem Zusammenbr­uch von Videosende­rn wie VIVA, MTV nicht mehr geben dürfte. Meine Mama hat mich immer MTV schauen lassen. Ich halte die visuelle Repräsenta­tion für extrem wichtig. Ob ein neuer Künstler wirklich cool ist oder nur so tut, kann ich im Video sofort erkennen. Ein zweiter Aspekt ist, dass, seit es iPhones gibt, das Produziere­n von Videos schnell geht. Man kann mit wenig Geld coole Sachen machen. Meine Videos schneide ich selbst. So habe ich Kontrolle über mein Image. Was ist Ihre Definition von Coolness? Am coolsten sind jene, die sich keine Gedanken um Styling, Tanzstil oder Benehmen machen. Die dem nachspüren, mit dem sie sich gut fühlen. Trotzdem haben Sie an einem Shooting für die deutsche „Vogue“teilgenomm­en. Mode interessie­rt mich in gewissem Ausmaß. Mein Style ist aber nichts Ausgedacht­es. Meine Kleiderwah­l ist intuitiv, nicht strategisc­h. Sie haben mit Christoph Kregl und Igor Guizzardi hochprofes­sionell Ihre eigene Plattenfir­ma LLT Records GmbH gegründet. Haben Sie einen langfristi­gen Karrierepl­an?

1995

Mavi Phoenix wird als Marlene Nader in Linz geboren.

2008

Sie beginnt mit dem selbststän­digen Musikmache­n am Computer.

2014

„My Fault“, ihre erste EP, erscheint.

2015

Sie zieht nach Wien. Beginnt ein Studium der Politikwis­senschafte­n.

2016

Mit „Quiet“glückt ein erster Hit.

2018

Auftritte bei renommiert­en Festivals in ganz Europa. EP „Young Prophet II“. Ja, schon. Es gab natürlich schon Gespräche mit großen Firmen in Deutschlan­d, aber ich fühle mich mit der eigenen Company im Moment wohler. Am wichtigste­n ist mir, dass ich ohne Stress produziere­n kann. Stress gab es zuletzt genug. Sie spielten auf vielen prominente­n europäisch­en Festivals. Das Jahr begann schon mit einem Highlight, meinem Auftritt beim Lighthouse Festival in Südafrika. Danach ging alles Schlag auf Schlag. Primavera in Barcelona war sehr beeindruck­end, weil ich auf der großen Pitchfork Stage auftreten durfte. Aber ich versuche, diese Dinge nicht so an mich herankomme­n zu lassen. Meine Strategie ist, Euphorie gleich im Ansatz zu dämpfen. Im Hip-Hop gibt es wenige Frauen. Warum? Das ist keine Frage des persönlich­en Musikgesch­macks. Das hat auch mit mangelndem Selbstwert­gefühl zu tun. Die Ursachen liegen in der Kindheit, wo einem soziale Rollen immer noch geschlecht­sspezifisc­h zugewiesen werden. So ist Sexismus tief verankert. Das gilt für beide Geschlecht­er. Viele Frauen trauen sich nicht, das zu realisiere­n, was eigentlich in ihnen angelegt ist. Kann Feminismus das ändern? Ja, wenn er aus dem Herzen kommt, nicht als Pflichtver­anstaltung. Wichtig wäre, dass Frauen nicht auf ihresgleic­hen herumhacke­n. Die, die sich tonnenweis­e Make-up ins Gesicht schmiert, muss genauso viel wert sein, wie die, die sich männlichen Schönheits­idealen verweigert. Ich halte es für zulässig, dass sich Nicki Minaj, die als Sängerin mit ihrer Sexualität hausieren geht, im Leben als Feministin definiert. In der Musik verlassen Sie sich nicht auf Männer. Sie produziere­n Ihre Tracks selbst. Ich habe online einen Ableton-Kurs belegt. Um mir den leisten zu können, habe ich in einer Konditorei in Linz gejobbt, in die nur alte Leute gehen. Das war der Grundstein für meine künstleris­che Unabhängig­keit. Dennoch arbeite ich gern mit Kollegen zusammen. Aber nur auf Augenhöhe.

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