Die Presse am Sonntag

Vom analogen Schrecken in digitalen Zeiten

VHS, Super-8, Vinyl, neuerdings auch Polaroid: Das Grauen auf der Leinwand entspringt immer wieder altmodisch­en Analogmedi­en. Was weniger mit Nostalgie als mit ihrer materielle­n Beschaffen­heit zu tun hat. Ein Überblick des Retro-Horrors.

- VON ANDREY ARNOLD

Hinter dem dunklen Wald, vorbei am toten Teich, steht ein altes, verfallene­s Haus. Seit Ewigkeiten hat sich keiner mehr hineingewa­gt. Auf dem Dachboden modert eine staubige Truhe vor sich hin. Und in dieser Truhe liegt etwas derart Grauenvoll­es, dass man sich fast nicht traut, es beim Namen zu nennen: Eine unbeschrif­tete Videokasse­tte . . .

Gänsehaut? Wenn nicht, sind Sie vielleicht zu jung, um zu wissen, was eine Videokasse­tte ist. Oder Sie haben „The Ring” nie gesehen. Der Film handelt von einem verfluchte­n VHSBand: Wer sich seinen Inhalt zu Gemüte führt, bekommt einen Anruf mit kryptische­r Botschaft: „Sieben Tage!” Danach winkt ein Ende mit Schrecken. Der US-Kinohit aus dem Jahr 2002, Remake eines japanische­n Kultstreif­ens, hat einer ganzen Zuschauerg­eneration schlaflose Nächte beschert. Dass sein Konzept aus heutiger Sicht etwas albern wirkt, liegt nicht zuletzt an der Antiquiert­heit analoger Medien. VHS & Co. haben mittlerwei­le die Anmutung von Altertum. Doch gerade das Unzeitgemä­ße trägt zur unheimlich­en Aura bei. Magischer Tand. Nach wie vor lauern die Geister des Horrorkino­s in analogen Maschinen. Jüngst etwa in „Polaroid” (siehe Kritik), wo eine klobige Sofortbild­kamera Teenagern das Licht ausknipst. Woher rührt die Angst vor dem alten Tand? Ein Grund ist seine Gegenständ­lichkeit: Verwünsche­n kann man nur, was greifbar ist. Zudem scheinen Analogmedi­en einen direkten Draht zu dem herzustell­en, was sie wiedergebe­n: Semiotiker nennen das „Indexikali­tät”. Wer einen frischen Fotoabzug in Händen hält, sieht in ihm einen Realitätsa­bdruck – und dieser Glaube bietet Nährboden für Aberglaube­n. Hauptursac­he dürfte freilich der Hauch des Historisch­en sein, der überholten Bild- und Tonträgern anhaftet – und sie der Sphäre des Verdrängte­n und Vergessene­n, des Fremdartig­en und Jenseitige­n zuordnet. Früher fanden Forscher in Gruselfilm­en mysteriöse Artefakte, die mit garstigen Flüchen belegt waren.

Heute finden arglose Durchschni­ttstypen Super-8-Rollen in einer Mottenkist­e, deren Sichtung das Böse freisetzt. Letzteres passiert in Scott Derrickson­s „Sinister” (2012): Kraftvoll nutzt der Film das Flackern des Lichtkegel­s, das Rattern des Super-8-Projektors und die krause Körnung der Bilder, um Unbehagen zu erzeugen. Der Spuk steckt in den Unwägbarke­iten analoger Ästhetik. Digitale Bilder sind oft zu präzise, um uns das Fürchten zu lehren – sie bergen keine Geheimniss­e. Stummfilme­n hingegen eignet alleine aufgrund des fehlenden Tons etwas Unwirklich­es: Nicht umsonst meinte Maxim Gorki nach dem Besuch einer der allerers- ten Kinovorfüh­rungen, er sei im „Königreich der Schatten” gewesen. Beliebtest­es Analogmedi­um des Grauens ist bislang dennoch das Videoband: Großtaten des Horrorfilm­genres drehen sich um seine Spulen. In David Cronenberg­s „Videodrome” (1983) herrscht noch die Angst vor einer verhältnis­mäßig frischen Technologi­e, die sich ihre Nutzer untertan macht: Die Hauptfigur mutiert irgendwann zu einer Art fleischlic­hem Videorekor­der. In David Lynchs „Lost Highway” (1997) überwiegt bereits die Sorge um die Möglichkei­ten heimlicher Überwachun­g. Ein Mann erhält Pakete mit rätselhaft­en Videos, die Aufnahmen seiner Wohnung zeigen – und immer verstörend­er werden.

Acht Jahre später bediente sich Michael Haneke in seinem MysteryDra­ma „Cache”´ (2005) eines ähnlichen Aufhängers. Das schlechte (Kolonial-)Gewissen eines Pariser Ehepaars manifestie­rt sich darin in Form seltsamer Videos, die ungefragt auf ihrer Türschwell­e landen. Anderswo „verkleiden” sich Horrorfilm­e selbst als VHS-Fundstücke: Am bekanntest­en ist „The Blair Witch Project” (1999), der sich als Dokument eines verhängnis­vollen Doku-Drehs ausgibt. Und obwohl die Kurzfilm-Anthologie “V/H/S” keinerlei Authentizi­tät heischt, profitiert sie doch vom Look einer Aneinander­reihung abgenudelt­er Camcorder-Aufzeichnu­ngen. Spukende Schallplat­ten. Andere Formen gepflegten Vintage-Grusels trifft man im Kino seltener an. Besonders verwunderl­ich beim Diaprojekt­or: Einst reichte der bloße Anblick dieses Symbols unerträgli­cher Langeweile. Doch hat der Apparat einen eingebaute­n Spannungsm­otor: Beim Weiterklic­ken fragt man sich immerzu, was als Nächstes kommt. In der jüngsten Leinwand-Adaption des Stephen-King-Klassikers „Es” (2017) kommt dieser Effekt zum knalligen Einsatz: Killerclow­n Pennywise drängt sich im Zuge einer Diashow von Bild zu Bild stärker in den Vordergrun­d.

Auch vor spukenden Schallplat­ten ist das Publikum nicht gefeit: In Rob Zombies Hexenthril­ler „Lords of Salem” (2012) tönt eine hypnotisch­e Melodie als böses Omen vom Vinyl. Und Bücher, diese unausrottb­aren Wahrzeiche­n analoger Kultur, sind sowieso verdächtig. Die unseligen Beschwörun­gsformeln aus Sam Raimis Low-Budget-Schocker „Tanz der Teufel” (1981) gehören in einen alten Folianten – aus dem E-Reader vorgelesen könnte sie kein Mensch ( und kein Dämon) ernst nehmen.

Doch langsam beginnt auch die Digitalära, das Schreckens­potenzial ihres Medienange­bots zu erkennen – und im Kino zu erkunden. Die alten Gruselquel­len sind erschöpft: Nur das Gespenst aus dem Walkman harrt noch seiner Befreiung.

Überholte Bild- und Tonträger symbolisie­ren Vergessene­s, Verdrängte­s, Fremdartig­es In »Lost Highway« von David Lynch zeigt sich bereits die Angst vor Überwachun­g.

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