Vom analogen Schrecken in digitalen Zeiten
VHS, Super-8, Vinyl, neuerdings auch Polaroid: Das Grauen auf der Leinwand entspringt immer wieder altmodischen Analogmedien. Was weniger mit Nostalgie als mit ihrer materiellen Beschaffenheit zu tun hat. Ein Überblick des Retro-Horrors.
Hinter dem dunklen Wald, vorbei am toten Teich, steht ein altes, verfallenes Haus. Seit Ewigkeiten hat sich keiner mehr hineingewagt. Auf dem Dachboden modert eine staubige Truhe vor sich hin. Und in dieser Truhe liegt etwas derart Grauenvolles, dass man sich fast nicht traut, es beim Namen zu nennen: Eine unbeschriftete Videokassette . . .
Gänsehaut? Wenn nicht, sind Sie vielleicht zu jung, um zu wissen, was eine Videokassette ist. Oder Sie haben „The Ring” nie gesehen. Der Film handelt von einem verfluchten VHSBand: Wer sich seinen Inhalt zu Gemüte führt, bekommt einen Anruf mit kryptischer Botschaft: „Sieben Tage!” Danach winkt ein Ende mit Schrecken. Der US-Kinohit aus dem Jahr 2002, Remake eines japanischen Kultstreifens, hat einer ganzen Zuschauergeneration schlaflose Nächte beschert. Dass sein Konzept aus heutiger Sicht etwas albern wirkt, liegt nicht zuletzt an der Antiquiertheit analoger Medien. VHS & Co. haben mittlerweile die Anmutung von Altertum. Doch gerade das Unzeitgemäße trägt zur unheimlichen Aura bei. Magischer Tand. Nach wie vor lauern die Geister des Horrorkinos in analogen Maschinen. Jüngst etwa in „Polaroid” (siehe Kritik), wo eine klobige Sofortbildkamera Teenagern das Licht ausknipst. Woher rührt die Angst vor dem alten Tand? Ein Grund ist seine Gegenständlichkeit: Verwünschen kann man nur, was greifbar ist. Zudem scheinen Analogmedien einen direkten Draht zu dem herzustellen, was sie wiedergeben: Semiotiker nennen das „Indexikalität”. Wer einen frischen Fotoabzug in Händen hält, sieht in ihm einen Realitätsabdruck – und dieser Glaube bietet Nährboden für Aberglauben. Hauptursache dürfte freilich der Hauch des Historischen sein, der überholten Bild- und Tonträgern anhaftet – und sie der Sphäre des Verdrängten und Vergessenen, des Fremdartigen und Jenseitigen zuordnet. Früher fanden Forscher in Gruselfilmen mysteriöse Artefakte, die mit garstigen Flüchen belegt waren.
Heute finden arglose Durchschnittstypen Super-8-Rollen in einer Mottenkiste, deren Sichtung das Böse freisetzt. Letzteres passiert in Scott Derricksons „Sinister” (2012): Kraftvoll nutzt der Film das Flackern des Lichtkegels, das Rattern des Super-8-Projektors und die krause Körnung der Bilder, um Unbehagen zu erzeugen. Der Spuk steckt in den Unwägbarkeiten analoger Ästhetik. Digitale Bilder sind oft zu präzise, um uns das Fürchten zu lehren – sie bergen keine Geheimnisse. Stummfilmen hingegen eignet alleine aufgrund des fehlenden Tons etwas Unwirkliches: Nicht umsonst meinte Maxim Gorki nach dem Besuch einer der allerers- ten Kinovorführungen, er sei im „Königreich der Schatten” gewesen. Beliebtestes Analogmedium des Grauens ist bislang dennoch das Videoband: Großtaten des Horrorfilmgenres drehen sich um seine Spulen. In David Cronenbergs „Videodrome” (1983) herrscht noch die Angst vor einer verhältnismäßig frischen Technologie, die sich ihre Nutzer untertan macht: Die Hauptfigur mutiert irgendwann zu einer Art fleischlichem Videorekorder. In David Lynchs „Lost Highway” (1997) überwiegt bereits die Sorge um die Möglichkeiten heimlicher Überwachung. Ein Mann erhält Pakete mit rätselhaften Videos, die Aufnahmen seiner Wohnung zeigen – und immer verstörender werden.
Acht Jahre später bediente sich Michael Haneke in seinem MysteryDrama „Cache”´ (2005) eines ähnlichen Aufhängers. Das schlechte (Kolonial-)Gewissen eines Pariser Ehepaars manifestiert sich darin in Form seltsamer Videos, die ungefragt auf ihrer Türschwelle landen. Anderswo „verkleiden” sich Horrorfilme selbst als VHS-Fundstücke: Am bekanntesten ist „The Blair Witch Project” (1999), der sich als Dokument eines verhängnisvollen Doku-Drehs ausgibt. Und obwohl die Kurzfilm-Anthologie “V/H/S” keinerlei Authentizität heischt, profitiert sie doch vom Look einer Aneinanderreihung abgenudelter Camcorder-Aufzeichnungen. Spukende Schallplatten. Andere Formen gepflegten Vintage-Grusels trifft man im Kino seltener an. Besonders verwunderlich beim Diaprojektor: Einst reichte der bloße Anblick dieses Symbols unerträglicher Langeweile. Doch hat der Apparat einen eingebauten Spannungsmotor: Beim Weiterklicken fragt man sich immerzu, was als Nächstes kommt. In der jüngsten Leinwand-Adaption des Stephen-King-Klassikers „Es” (2017) kommt dieser Effekt zum knalligen Einsatz: Killerclown Pennywise drängt sich im Zuge einer Diashow von Bild zu Bild stärker in den Vordergrund.
Auch vor spukenden Schallplatten ist das Publikum nicht gefeit: In Rob Zombies Hexenthriller „Lords of Salem” (2012) tönt eine hypnotische Melodie als böses Omen vom Vinyl. Und Bücher, diese unausrottbaren Wahrzeichen analoger Kultur, sind sowieso verdächtig. Die unseligen Beschwörungsformeln aus Sam Raimis Low-Budget-Schocker „Tanz der Teufel” (1981) gehören in einen alten Folianten – aus dem E-Reader vorgelesen könnte sie kein Mensch ( und kein Dämon) ernst nehmen.
Doch langsam beginnt auch die Digitalära, das Schreckenspotenzial ihres Medienangebots zu erkennen – und im Kino zu erkunden. Die alten Gruselquellen sind erschöpft: Nur das Gespenst aus dem Walkman harrt noch seiner Befreiung.
Überholte Bild- und Tonträger symbolisieren Vergessenes, Verdrängtes, Fremdartiges In »Lost Highway« von David Lynch zeigt sich bereits die Angst vor Überwachung.