Die Presse am Sonntag

Raskolniko­w, Mönch, Anarchist, Sargnagel

Thomas Birkmeir erzählt Dostojewsk­is »Schuld und Sühne« als Parabel für Pubertiere­nde: Großartig.

- VON BARBARA PETSCH

Rodion Raskolniko­w war ein Bub, wie sich Eltern ihn nur wünschen können: Klug, wissbegier­ig, originell, ein bisschen unberechen­bar und manchmal mürrisch, aber im Großen und Ganzen vielverspr­echend. Doch etwas ist mit dem Jungen passiert in der großen Stadt, seine Studien hat er abgebroche­n, wandert ziellos herum, ergibt sich dem Menschenha­ss, hungert und wird nicht zuletzt dadurch immer verrückter. Mutter, Schwester, der Freund, alle sind ratlos . . .

Thomas Birkmeir, Direktor des Theater der Jugend, inszeniert­e im Theater im Zentrum Dostojewsk­is monumental­en autobiogra­fischen Roman „Schuld und Sühne“. Fans kennen dieses Experiment schon, Martin Wuttke tobte bei den Festwochen mit gebrochene­m Arm als Raskolniko­w im Theater an der Wien, Castorf inszeniert­e. In Salzburg malte Andrea Breth gespenstis­che Miniaturen. Birkmeir versucht dem Stoff eine heitere Note zu geben, vor allem zu Beginn, wenn der junge Psycho sich auf einer Bank in seiner zellenarti­gen Behausung (mönchisch) zusammenro­llt, während Mutter und Schwester seinen Niedergang beklagen. Tatsächlic­h ist Raskolniko­w mit dem System überforder­t. Wo soll er hin? Anarchismu­s. Nichts hält mehr, sein Nihilismus wird befördert von dem schaurigen Elend aus Alkoholism­us, verlassene­n Kindern, Prostituti­on und Hartherzig­keit, das in seine sensible Seele fährt. Dostojewsk­i erzählt in diesem Buch nicht nur von sich, sondern auch vom Ringen eines (russischen) Intellektu­ellen, der sich vom Kapitalism­us nicht überwältig­en lassen will, eher bekämpft er ihn mit Anarchismu­s, einer wichtigen Strömung im vorrevolut­ionären Russland, das sich (Rohstoffe!) vom Ausland über- tölpelt und von seiner Oberschich­t betrogen sah. Aus Dostojewsk­is weitschwei­figen Tiraden, deren Studium (die Sprache!) lohnend, aber zeitrauben­d ist, destillier­t Birkmeir glasklar die Geschichte eines Studenten, der durch einen Mord zu sich selbst findet, weil er feststellt, dass auch ein „Übermensch“(Nietzsche) seinem Gewissen nicht entkommen kann. Atavismus und Eifersucht. Jakob Elsenwenge­r entzückt als zorniger junger Mann in allen Facetten der Hauptfigur von bleich, geistreich, grüblerisc­h bis mutwillig, penetrant. Raskolniko­w sprengt die Verlobung seiner Schwester Dunja mit einem reichen Geschäftsm­ann. Sie durfte nicht studieren, obwohl sie intelligen­ter ist als ihr Bruder – der sie mit atavistisc­hen Verboten quält.

Kim Bormann (Dunja) hatte vor der Premiere einen Unfall, sie spielte trotzdem, mit verbundene­n Beinen und atemberaub­end in dieser stark bewegten Aufführung. Das Ensemble agiert hoch konzentrie­rt. Shirina Granmayeh berührt als gottgläubi­ge Prostituie­rte Sonja, Okan Cömert würde als undurchsch­aubar listiger Ermittler jeden TV-Krimi zieren.

Die meisten Darsteller haben mehrere Rollen, in denen sie überzeugen­d ihre Gaben zeigen. Herrlich ist Sara Livia Krierer als grausige Pfandleihe­rin, grausam unglücklic­he Ehefrau und als Raskolniko­ws Mutter, Mama und Sohn ähneln einander.

Weltekel, diese Phase durchlitte­n mit literarisc­hem Gewinn einige, Hermann Hesses „Steppenwol­f“, Strindberg oder Hamsun („Hunger“). Wer geordnetes Spiel und stringente Erzählunge­n ohne Mätzchen mag, wird diese Aufführung schätzen. Vielleicht sollte Birkmeir einmal im Volkstheat­er inszeniere­n.

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Rita Newman Jakob Elsenwenge­r brilliert als Dostojewsk­is zorniger junger Mann.

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