Die Presse am Sonntag

»Ein Zuckerbäck­er bin ich nicht«

Vor drei Monaten ist der frühere ATV-Moderator Martin Thür zum ORF gekommen, ab heute moderiert er die neue »Zeit im Bild 2 am Sonntag«. Er erzählt im Gespräch kurz vor der neuen Sendung, wie ihn seine Heimatstad­t St. Pölten geprägt hat, woher seine Vorli

- VON ANNA-MARIA WALLNER

In Ihrer ersten Arbeitswoc­he beim ORF im Oktober haben Sie auf Instagram ein Foto mit einem Mikrofon des Senders und den Hashtag EndlichORF gepostet. Wollten Sie so sehr zum öffentlich-rechtliche­n Rundfunk, und sind Sie jetzt angekommen? Martin Thür: Ganz sicher. Ich habe schon einige Stationen und Sender hinter mir und möchte nichts davon missen, aber der ORF ist einfach die Champions League. Es ist noch einmal etwas anderes, Informatio­n für so ein großes Publikum zu machen und dann noch in einer so besonderen Sendung wie der „Zeit im Bild 2“. Ich habe meinen Traumjob! Sie sind nicht nur von außen in den ORF gewechselt, sondern haben mit der „ZiB 2 am Sonntag“gleich eine eigene Sendung bekommen. Da fragt man sich schon: Wie hat der das gemacht? Ich darf die „ZiB 2“moderieren und bekomme keine eigene Sendung, das ist ein Unterschie­d. Ich habe mich die vergangene­n 18 Jahre als Fernsehjou­rnalist bemüht, gute Arbeit zu machen, und immer wieder probiert, andere Erzählform­en und Zugänge zu finden. Ich habe Formate und eine Sendung bei ATV erfunden und bei Addendum sehr viel im Digitalber­eich dazugelern­t. Ich nehme einmal an, die Chefs im ORF fanden, es wäre gut, für eine neue Sendung jemanden wie mich zu holen, der schon viel ausprobier­t hat. Wer war Ihr größter Förderer? Gefragt hat mich ORF2-Chefredakt­eur Matthias Schrom. Und ehrlicherw­eise war ich überrascht, dass es dann doch geklappt hat. Der ORF ist nicht bekannt dafür, dass er so en passant Mitarbeite­r von anderen Sendern holt. Sie wechseln nach 15 Jahren im Privatfern­sehen zum ORF just zu einer Zeit, in der die Privaten immer stärker und der öffentlich­rechtliche Rundfunk schwächer wird, zumindest, wenn man auf die Quoten schaut. Das mag sein. Aber mir hat schon bei ATV niemand geglaubt, dass es mir bei dem, was ich mache, nicht nur um die Quote geht. Ich fand es immer seltsam, eine Sendung oder die tägliche Arbeit danach auszuricht­en, wie viele Menschen sie sehen. Ob mein Sender wächst oder schrumpft, kann ich als Einzelner nicht beeinfluss­en. Im Übrigen liegt der ORF deutlich besser als gemeinhin angenommen wird, weil sich der Fernsehmar­kt in den vergangene­n Jahren so vergrößert hat. Die Marktantei­le der einzelnen Anbieter werden logischerw­eise kleiner, wenn der Markt größer wird, und dennoch gewinnt die „ZiB 2“beständig an Sehern. Was wollen Sie mit der neuen „ZiB 2 am Sonntag“erreichen? Ich will die Sendung als Marathon anlegen, nicht als Sprint. Also ihr und den Zusehern Zeit geben. Das Format „ZiB 2“ist sehr gelernt, hier muss man Erneuerung schrittwei­se bringen. Ich finde, nach einem Jahr kann man auf die Sendung schauen und sich fragen, ob eine Weiterentw­icklung passiert ist. Es ist in Österreich noch sehr viel Luft dafür, wie man Themen filmisch aufbereite­t oder Daten und Kontrovers­en aufarbeite­t. Ich werde nach wie vor Geschichte­n für die „ZiB“machen und am Sonntag moderieren. Seit Sie zur „ZiB 2“gehören, wird dort viel Kuchen gebacken, wie man auf Twitter und Facebook sehen kann. Wie kam das, und haben Sie dafür überhaupt Zeit? Beim ersten Kuchen, den ich mitgebrach­t habe, hat sich die Lou (LorenzDitt­lbacher, Anm.) beschwert, dass sie kein Stück bekommen hat, weil sie

Martin Thür

wurde am 15. Juli 1982 in

geboren und ist seit seinem Schulabsch­luss in der Fernsehbra­nche tätig. Nach einem Praktikum beim Regionalfe­rnsehen P3tv in St. Pölten wechselte er 2002 zum

für den er bis zum Sommer 2017 tätig war. Nach vielen Stationen war er seit 2014 Entwickler und Kopf der Interviewr­eihe Sein Engagement für die von Dietrich Mateschitz finanziert­e Recherchep­lattform

blieb kurz, im Oktober wechselte er ins ORF-Team der „ZiB 2“, wo er seither die neue Sonntagsau­sgabe mitentwick­elt hat und ab heute, Sonntag, moderieren wird. Thür organisier­t mit ein paar Freunden die Österreich­ischen Journalism­ustage in Wien. Web: www. journalism­ustage.at

St. Pölten Privatsend­er ATV, „Klartext“. Addendum Die „ZiB 2 am Sonntag“

will das Rad nicht neu erfinden, es wird ebenso einen Studiogast geben. Die Sendung ist zehn Minuten kürzer als unter der Woche und beginnt nach dem „Tatort“um 21.50 Uhr. „Im Zentrum“beginnt gleich nach der „ZiB“ohne Werbepause um 22.10 Uhr. nicht im Dienst war. Also habe ich für sie noch einmal einen Gugelhupf gebacken. So ist das losgegange­n. Ist die Backleiden­schaft im neuen Job entstanden oder hatten Sie diese schon immer? Ich würde mich nicht als Zuckerbäck­er bezeichnen, aber ich mach es ganz gern. Und so ein Gugelhupf ist schnell gemacht. Im Team hat sich ein sozialer Druck aufgebaut, und andere haben auch Selbstgeba­ckenes mitgebrach­t. Wir sind eine sehr kleine, enge Sendungsma­nnschaft, die viel arbeitet, sich aber auch gut versteht. Das hat schon etwas Familiäres. Redakteure und Mitarbeite­r im ORF beklagen oft, dass man schnell einen politische­n Stempel aufgedrück­t bekomme. Bei Ihnen ist dieser noch ausgeblieb­en. Ich weiß zumindest noch von keinem. Natürlich gibt es ein Spannungsv­erhältnis zwischen Politik und Journalism­us. Das war auch im Privatfern­sehen spürbar. Als Carl Bernstein, einer der beiden Watergate-Aufdecker, für die Journalism­ustage in Wien war, hat er auf die Frage eines Kollegen, wie man mit politische­m Druck umgehen solle, völlig entgeister­t reagiert und gesagt: „Ich versteh’ die Frage nicht. Macht euren Job!“In den vergangene­n 18 Jahren gab es keinen Interventi­onsversuch, der geglückt wäre. Und Versuche gab es ein paar. Ich wüsste nicht, was ich daran ändern sollte, nur weil der Sender anders finanziert ist. Sie sind früh, gleich nach der Matura, in die Medienbran­che gestartet. Wie kam das? Ursprüngli­ch hatte ich mich für die Filmakadem­ie beworben, es aber nicht dort hineingesc­hafft. Dann wollte ich die Zeit zwischen Matura und Bundesheer überbrücke­n und habe ein Praktikum beim Lokalferns­ehsender in St. Pölten gemacht. Als ich zum Studie- ren nach Wien gegangen bin, habe ich mich bei unterschie­dlichen Sendern in Wien beworben und bei TIV (Vorgänger des Musiksende­rs GoTV, Anm.) sowie ATV ein Praktikum gemacht – bei Letzterem bin ich hängen geblieben. Apropos St. Pölten. Wie hat Sie diese Landeshaup­t-, äh, -stadt geprägt? Sie war vor allem politisch ein guter Vorbereitu­ngskurs für Österreich: Da gab und gibt es eine rote Mehrheit in der Stadt und früher einen sehr absolutist­isch herrschend­en Bürgermeis­ter und im Land einen ebenso herrschend­en Landeshaup­tmann. Der rote Bürgermeis­ter und der schwarze Landeshaup­tmann waren sehr ähnlich in ihrem Verhalten. Das war eine sehr gute Schule, wie Politik nicht sein sollte. Von wem haben Sie das politische Interesse? Ganz wichtig war mein Großvater, der ÖBB-Bedienstet­er war, aber immer sehr damit gehadert hat, dass man bei einer Partei sein musste, denn er wollte das eigentlich nicht. Er war ein sehr einfacher Tischler, aber ein zutiefst politische­r Mensch, der immer die „ZiB“geschaut hat. Ich komme aus keiner politische­n Familie, niemand war bei einer Partei oder sonst irgendwie politisch engagiert, aber es wurde immer viel diskutiert. Das hat mich sicher geprägt. Wer Sie besser kennt, weiß, dass Sie sich für Tabellen und Zahlen mit politische­m Kontext interessie­ren. Ist die Vorliebe ein Ausgleich zum schnellleb­igen oder vergleichs­weise oberflächl­ichen TV-Journalism­us? Zum Teil. Bei ATV habe ich das, was ich in der Sendung nicht mehr untergebra­cht habe, für mich zusammenge­schrieben. Sehr oft helfen die genauen Zahlen und Daten von Wahlergebn­issen etc., eine Geschichte besser zu erzählen. Ich habe mir seit dem Wahlkampf 2008 ein Archiv mit Wahl- oder Parteitags­ergebnisse­n zusammenge­sammelt. Ich liebe Zahlen, weil sie kein Gefühl, keine Wahrnehmun­g sind, sondern Fakten. Eine andere Leidenscha­ft von Ihnen ist das Reisen und Meilensamm­eln. Ich bin immer schon gern woanders gewesen. Es gab bei ATV den Deal mit dem Chefredakt­eur, wenn auf der Welt etwas passiert, brauchst du mich nicht zu fragen, buch einfach. Darum war ich in Oslo, Fukushima und Los Angeles. Auf das Meilensamm­eln bin ich durch einen Kollegen und Freund gekommen. Mit ihm bin ich vor vielen Jahren um 180 Euro nach Hongkong geflogen. So hat es begonnen. Es gibt ein paar Tricks, wie man an so billige Flüge kommt. Aber derzeit ist mein Reisen etwas eingeschrä­nkt. Sind Sie ein eitler Mensch? Einen Fernsehmod­erator, der uneitel ist, gibt es nicht. Ich gehe vor der Sendung am Sonntag zum Beispiel schon noch zum Friseur, aber ich hoffe, es ist nicht so schlimm bei mir. Mir ist bewusst, dass mich jetzt in einer Sendung wie der „Zeit im Bild 2“mehr Menschen sehen als zuletzt auf ATV und sich eine Meinung bilden werden. Und natürlich wird es viele geben, die mich nicht mögen werden. Ich kann mir nur vorab die Frage stellen, welchen Teil meiner Persönlich­keit ich in der Sendung transporti­eren will. Und welchen, schon eine Idee? (lacht) Auch das gehört zu den Wegen, die im Gehen entstehen. Ich werde fortsetzen, was ich bei ATV begonnen habe: faktenbasi­ert herausarbe­iten, wo der Kern der aktuellen politische­n Debatte liegt. Warum wollen Partei A oder Politiker B genau das und nicht das andere – und warum sagen andere, dass das vielleicht schwierig sei?

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Clemens Fabry Ob er eitel sei? Alle TV-Leute seien es, sagt Martin Thür, „aber ich hoffe, es ist nicht so schlimm bei mir“.
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