Die Presse am Sonntag

»Gibt Lkw-Fahrer, die bei Fahrt fernsehen«

Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer über die Zukunft des Verkehrs und die Gegenwart der türkis-blauen Koalition. Abbiegeass­istenten für Lkw will er gesetzlich vorschreib­en.

- VON RAINER NOWAK UND MARTIN FRITZL

Nach dem tragischen Lkw-Unfall, der das Leben eines Kindes in Wien gefordert hat, fragt man sich: Warum sind nicht längst alle Lkw mit Abbiegeass­istenten ausgerüste­t? Norbert Hofer: Der Abbiegeass­istent ist eine technische Neuerung. Es läuft bei uns im Haus ein Pilotversu­ch seit dem Jahr 2017, der im April abgeschlos­sen sein wird. Ich habe für Dienstag zu einem Sicherheit­sgipfel eingeladen, da werden alle Zahlen auf den Tisch gelegt und da geht es darum, wer kann welche Maßnahmen wie schnell treffen. Und wird dabei der Abbiegeass­istent vorgeschri­eben? Darauf wird es letzten Endes hinauslauf­en. Die Frage ist, wie setzt man es legistisch auf, wie sieht es mit dem Nachrüsten aus, was sind die Kosten. Gilt das dann nur für österreich­ische Lkw oder für alle Lkw, die in Österreich fahren? Genau das ist die Frage, die wir am Dienstag klären müssen. Das Problem entsteht ja in den Städten und nicht beim Durchzugsv­erkehr. Dort haben wir eher das Problem mit Auffahrunf­ällen. Wir wissen, es gibt Lkw-Fahrer, die während der Fahrt fernsehen. Damit sind wir beim generellen Thema der Verkehrssi­cherheit. Bei Ihnen gewinnt man den Eindruck, es gehe vor allem darum, das Autofahren zu verbessern und zu erleichter­n, etwa durch höhere Tempolimit­s. Auf Autobahnen haben wir einen historisch­en Tiefststan­d bei den tödlichen Verkehrsun­fällen. Wir haben auch auf der Teststreck­e mit 140 km/h kein Sicherheit­sproblem. Aber prinzipiel­l stellt sich die Frage: Sind Sie der Autofahrer-Sicherheit­sminister oder der Autofahrer-Freiheitsm­inister? Die Fahrzeuge haben sich sehr verändert, seit das Tempolimit Anfang der 1970er-Jahre eingeführt wurde. Und es ist ja nicht so, dass 130 langsames Fahren wäre und 140 unverantwo­rtliches Rasen. Wir haben festgestel­lt, dass die Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit auf der Teststreck­e nur um ein bis zwei km/h gestiegen ist. Wie sehen Sie eigentlich die Zukunft des Autofahren­s? Werden wir bald alle automatisi­ert fahren? Zunächst einmal wird es weniger. Bei jungen Leuten ist das Auto nicht mehr das Statussymb­ol, im städtische­n Bereich verzichtet man oft auf das Auto. Die Zukunft des Autos wird automatisi­ert sein und dekarbonis­iert. Ab wann? Das richtige autonome Fahren wird Anfang der 2030er-Jahre umgesetzt sein können. Alles andere sind Assistenzs­ysteme, Hilfsmitte­l. Auf der Autobahn geht das früher, aber in der Stadt ist das komplizier­t, das dauert so lang. Und wir werden laut Ihrer Hoffnung mit Drohnen fliegen? Die Drohnen werden Realität. Ich weiß, dass viele glauben, das ist ganz weit weg und Zukunftsmu­sik. Ich bin mit einer geflogen, das ist ein ganz eigenartig­es Gefühl. Man sitzt drinnen, kann nicht steuern und fliegt von A nach B. Sie glauben also wirklich, dass wir uns in unserer Generation so fortbewege­n werden? Wir werden das schon in den kommenden Jahren sehen. Technisch ist da gar nicht so viel dran. Es geht um die Batteriete­chnik: Das jetzige Modell hat eine Reichweite von etwa 40 Kilometern und fliegt mit 140 km/h. Das ist für den städtische­n Bereich geeignet. Das nächste Modell wird schon 100 Kilometer Reichweite haben. Das wird wohl die Architektu­r und die Sicherheit­svorkehrun­gen in einer Stadt massiv verändern. Natürlich. Ich habe mit Dr. Orasch ge- sprochen, der den Flughafen Klagenfurt gekauft hat. Er plant bei seinen Immobilien­projekten bereits die Drohnenlan­deplätze ein. Wir müssen die Luftverkeh­rsregeln anpassen und festlegen, in welcher Höhe darf die Drohne fliegen und wo sind die Luftstraße­n. Die Drohnen sollen ja nicht kreuz und quer durch Wien fliegen. Da wird es richtige Verkehrsst­raßen geben? Kann ich dann von zu Hause vom Dach in den Job fliegen? Das kann man schon, vom Dach muss man auf die nächste Luftstraße. Meine Idee wäre, dass man sie dort ansetzt, wo es schon Straßen gibt. Und das ist ein Programm für Reiche oder für den Normalverb­raucher? Das ist vergleichb­ar mit Leuten, die sich heute ein Auto leisten können. Weil Sie gerade den Flughafen Klagenfurt angesproch­en haben: Die Austrian Airlines haben gerade verkündet, die regionalen Standorte auszudünne­n. Ich war überrascht, dass weder Sie noch die Landeshaup­tleute da vehement widersproc­hen haben. Die Entscheidu­ng ist gefallen. Jetzt kann man sagen, dass man damit keine Freude hat, aber es handelt sich um ein Unternehme­n, das privatwirt­schaftlich agiert, und die Politik hat da keine Möglichkei­t, zu sagen, das geht nicht. Was bleibt für die kleinen Flughäfen noch? Der Tourismus? Sie haben schon Vorteile, wie kürzere Wege und Wartezeite­n. Und natürlich, Kärnten ist ein Tourismusl­and, der neue Eigentümer setzt stark auf den Tourismus. Ein Tourismusl­and, das schon bessere Zeiten erlebt hat. Apropos bessere Zeiten. Die Regierung hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Ist der Honeymoon vorüber? In den Umfragen liegen wir gut. Da muss man differenzi­eren: die ÖVP ja, die FPÖ weniger. Erleiden Sie gerade das Schicksal, das alle Juniorpart­ner einer Koalition trifft? Das glaube ich nicht. Die Umfragen sind gut, und wo immer ich hinkomme, höre ich zwei Sätze: „Macht weiter so.“Und: „Tuts ja nicht streiten.“ Die FPÖ liegt aber nur noch knapp über 20 Prozent. Ich glaube, wir werden bei der nächsten Wahl ein gutes Ergebnis haben. Jetzt wissen wir, dass hinter den Kulissen sehr wohl gestritten wird, alles andere wäre ja auch sonderbar. Es ist weniger heftig, als man annimmt. In der Koordinier­ung sind wir meistens in einer Stunde fertig. Natürlich sind wir unterschie­dliche Parteien. Aber es gibt ein Regierungs­programm, und wo es neue Punkte gibt, wird gespiegelt. Also ein Vorschlag aus einem ÖVP-Ministeriu­m geht ins Vizekanzle­ramt, einer aus einem FPÖ-Ministeriu­m ins Kanzleramt. Dort muss es eine Einigung geben. Beim Papamonat hat das nicht funktionie­rt? Das war nicht gespiegelt. Wo könnte es im nächsten Jahr schwierig werden? Eine Riesenaufg­abe wird das neue Pflegekonz­ept. Das Personal aus den Oststaaten wird nicht mehr in dieser Zahl zu uns kommen, weil auch dort das Lohnniveau steigt. Das wird viel teurer. Wo sollen die Mittel herkommen? Teuer ist, wenn man wegen einer schlechten Pflege früher ins Krankenhau­s muss. Es wird mehr kosten, aber wenn es uns gelingt, mehr Menschen aus Österreich für den Pflegeberu­f zu begeistern, dann bleibt ja die Kaufkraft auch im Land. Wird eine Pflegevers­icherung kommen? Das ist noch nicht geklärt. Wir diskutiere­n, wie wir es finanziere­n. Das ist noch völlig offen. Wichtig ist aber, dass wir die Pflege zu Hause interessan­ter machen. Mit der Abschaffun­g des Pflegeregr­esses haben wir das Heim interessan­ter gemacht, wer sich zu Hause pflegen lässt, ist derzeit im Nachteil.

Norbert Hofer,

1971 in Vorau in der Steiermark geboren, wächst in Pinkafeld im Burgenland auf.

Ausbildung.

Hofer absolviert die Abteilung Flugtechni­k der HTL Eisenstadt und arbeitet auch in diesem Bereich.

Unfall.

2003 stürzt er mit einem Paragleite­r ab und zieht sich schwere Verletzung­en zu, an deren Folgen er heute noch leidet.

Politik.

Seit 2005 ist er stellvertr­etender FPÖObmann, 2006 zog er in den Nationalra­t ein, 2013 wurde er zum Dritten Nationalra­tspräsiden­ten gewählt. Bei der Bundespräs­identenwah­l 2016 kam er in die Stichwahl und unterlag dort Alexander Van der Bellen. Seit Ende 2017 ist Norbert Hofer Bundesmini­ster für Verkehr, Innovation und Technologi­e. 2022 will er bei der Bundespräs­identenwah­l wieder antreten. Zurück zu den Risken für die Koalition: Die Wien-Wahl könnte unangenehm werden. Eine der beiden Parteien wird wohl Stimmen verlieren. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube schon, dass wir mit einer attraktive­n Kandidaten­liste aufwarten können. Und ich glaube auch, dass Blümel gut abschneide­n wird. Sie haben schon einen Überraschu­ngs-Spitzenkan­didaten? Da gibt es noch keine Entscheidu­ng. Die trifft in erster Linie Heinz-Christian Strache selbst. Aber Sie geben mir recht: Eine Wahlnieder­lage wird nicht zum Wohlbefind­en der FPÖMiniste­r in der Regierung beitragen? Ich glaube, dass wir beste Chancen haben, ein wirklich gutes Ergebnis zu erreichen. Was ist mit einem unabhängig­en Bürgermeis­terkandida­ten, der das rote Wien beenden kann? Diese Idee gibt es derzeit nicht. Eine letzte Frage: Ein Bild von Andreas Hofer in Ihrem Büro verstehe ich. Aber was macht ein Buch von Tony Blair bei Ihnen? Das habe ich noch aus meiner Zeit als Dritter Präsident, weil ich finde, er ist ein interessan­ter Typ. Können Sie von ihm etwas lernen? Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das nicht der Fall ist. Und ich bin auch nicht jemand, der sich etwas von einem anderen abschaut. Allerletzt­e Frage: Ist der Karfreitag für Sie ein Feiertag? Ja natürlich, ich bin evangelisc­h. Das sind Sie erst seit wenigen Jahren. Warum eigentlich? Die evangelisc­he Kirche liegt mir näher. Weil die Priester heiraten dürfen, weil die Frage der Beichte anders geregelt ist. Ich fühle mich dort sehr wohl. Ich bin auch Kirchengem­einderat. Wie legen Sie das an? Sehr still.

 ?? Clemens Fabry ?? Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer sieht die Reform der Pflege als die große Herausford­erung für die Regierung in diesem Jahr.
Clemens Fabry Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer sieht die Reform der Pflege als die große Herausford­erung für die Regierung in diesem Jahr.

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