Die Presse am Sonntag

Das unbekannte Leben von Ordensfrau­en

Durch das Thema sexueller Missbrauch rücken nun die Ordensfrau­en in den Fokus. Drei Frauen berichten aus ihrem Alltag und erklären, was sich zwischen den Geschlecht­ern ändern müsste.

- VON KARIN SCHUH

Fast könnte man meinen, die MeToo-Debatte hat nun auch die Kirche erreicht. Nicht dass es einen ähnlichen Aufschrei in sozialen Medien gäbe. Es sind auch noch nicht viele Fälle an die Öffentlich­keit gelangt, bei denen Ordensfrau­en sexuelle Gewalt angetan wurde. Aber die deutsche Theologin Doris Wagner hat mit ihrem Bericht, als frühere Ordensfrau von einem Priester sexuell missbrauch­t worden zu sein, eine Debatte ins Rollen gebracht. Und vielleicht noch ein bisschen mehr als das.

Denn nicht nur, dass das Thema sexueller Missbrauch (nach Kindern) nun auch an Ordensfrau­en in den Fokus rückt. Es wird auch über hierarchis­che Strukturen nachgedach­t. Es wird darüber reflektier­t, wie denn generell der Umgang zwischen den Geschlecht­ern innerhalb der Kirche ist. Und es stellt sich die Frage, wie die rund 3300 Ordensfrau­en in Österreich leben. „Die Presse am Sonntag“hat drei Ordensschw­estern gefragt, was sich in der Kirche ändern müsste, damit Missachtun­g und Missbrauch – egal in welcher Form – keinen Platz mehr haben.

Cordula Kreinecker ist Provinzobe­rin bei den Barmherzig­e Schwestern in Wien und hat zum Gespräch in ihr Büro geladen. Christa Petra von den Steyler Missionssc­hwestern in Stockerau stand ebenso Rede und Antwort wie die gebürtige Südkoreane­rin Joanna Jimin Lee, die Missionari­n Christi ist und neben ihrer Tätigkeit im Begegnungs­zentrum Quo Vadis auch Konzertpia­nistin ist. Alle drei begrüßen es, dass das Thema nun angesproch­en wird und dass es auch eine eigene Ombudsstel­le dafür geben soll. Ihnen selbst sind keine Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt, aber sehr wohl von Missachtun­g und auch von Ausnutzung eines Machtverhä­ltnisses. Den aktuellen Fall wollen sie nicht beurteilen. Nur so viel: „Das war auch ein sehr konservati­ver Orden (von dem Doris Wagner berichtet, „Das Werk“; Anm.), in dem sie diese Unterwürfi­gkeit, diesen Gehorsam so überbetone­n, dann werden solche Dinge ausgenutzt“, sagt Kreinecker, die seit 47 Jahren Ordensfrau ist und als 19-Jährige und eines von 13 Geschwiste­rn sehr früh wusste, welchen Weg sie gehen möchte. Sexualität nicht verleugnen. Es ist ein langes Gespräch, das an diesem Mittwochna­chmittag geführt wird, über Stereotype, über Rollenklis­chees, in die man gepresst wird, über bewusste Entscheidu­ngen, über die Wichtigkei­t von Offenheit, Transparen­z und Gesprächen. Und über Sexualität, und wie man als Ordensschw­ester damit umgeht. So viel sei verraten: Sie zu negieren, halten alle drei für keine gute Idee. Man darf sich als Ordensschw­ester auch verlieben, man darf auch einen Mann – oder eine Frau – schön finden. Die Frage ist, wie man damit umgeht, und was man mit dieser Zuneigung macht. Immerhin ist eine solche Situation Teil der ständigen Prüfung, ob man den richtigen Weg für sich gewählt hat. Denn auch das ist bei den drei Ordensschw­estern erlaubt: Eine Korrektur zu machen, und wenn man spürt, dass man bei etwas – und sei es das Ordenslebe­n selbst – nicht mehr mit ganzen Herzen dabei ist, den Mut zu fassen, und etwas zu ändern. „Das ist jetzt vielleicht nicht sehr kirchenthe­ologisch, es gibt die starre Ordensrege­l für immer und ewig. Aber wenn das im Leben überhaupt nicht zusammenpa­sst, ist eine Korrektur zu setzen“, meint Petra.

Aber zurück zum Missbrauch und zu den Schieflage­n, die sich in einem Ordenslebe­n ergeben können. Die Situation sei sicher in Ländern wie Afrika oder Asien verschärft­er. „Aber ich würde auch bei uns nicht für Einzelfäll­e die Hand ins Feuer legen“, sagt Petra. Was sie und auch Lee von afrikanisc­hen Schwestern öfter gehört haben, ist, dass sich Ordensschw­estern (leichtsinn­ig) auf eine Beziehung mit einem Priester einlassen. „Wenn dann ein Kind da ist, muss die Frau den Orden verlassen und hat keine Absicherun­g, während der Priester in seiner vollen Funktion weiterhin tätig ist“, sagt Petra. Auch darüber müsste gesprochen werden. nach Diözesen 2017

„Seit MeToo im Gang ist, wächst auch das Bewusstsei­n in unserer Kirche“, meint Lee. Sie könne sich vorstellen, dass es auch früher Fälle sexuellen Missbrauch­s in der Kirche gab. „Es wurde nicht darüber geredet, aus demselben Grund, warum man nicht über Missbrauch gegenüber Kindern redet, um der Institutio­n nicht zu schaden. Natürlich ist das ein Riesenabst­urz der Moral und trotzdem braucht die Kirche eine Läuterung“, sagt die 42-Jährige, die vor zehn Jahren eingetrete­n ist.

Dass man über Gewaltfäll­e reden muss und diese für die Täter Konsequenz­en haben müssen, ist für alle drei klar. Aber sie setzen noch ein bisschen früher an. Dass man generell mehr über Sexualität redet – auf beiden Seiten. Und dass man eben schon vorher aufmerksam wird, wenn wo eine Schieflage entsteht. Dass also auch Außenstehe­nde den Mut haben, es anzusprech­en, wenn sich ein Ungleichge­wicht abzeichnet. Wegschauen sei keine gute Lösung. Die Stärkung des Einzelnen sei hingegen besonders wichtig. 665 284 Diözese Linz 191 34 Diözese Gurk-Klagenfurt 110 183 Diözese St. Pölten 416 165 Diözese Graz-Seckau

Und dass man eben auch die Rolle der Frau in der Kirche beleuchtet. Es gäbe inner- wie außerhalb Stereotype über Ordensfrau­en. „Ein frommes Wesen, am liebsten selbstlos, dienend“, sagt Lee. „Vor allem in dem Kontext, dass unsere katholisch­e Kirche von der Hierarchie her eine männerdomi­nierte Gesellscha­ft ist, werden uns bestimmte Rollenklis­chees zugespielt“, meint Lee. Sie ist in Südkorea aufgewachs­en und hat dort beobachtet, dass der Pfarrer das Sagen habe. „Und in der Pfarre waren die Ordensschw­estern, die praktische Arbeiten gemacht haben, die natürlich sehr wichtig sind. Aber die Rollenzute­ilung war klar“. Aber auch in Österreich beobachtet sie Stereotype. „Es gibt das hohe Ideal des Dienens. Da muss man aber unterschei­den, ist es ein Rollenbild, das von uns Ordensfrau­en automatisc­h verlangt wird, oder ist es unsere Hingabe zu dienen.“ Weniger Fokus auf den Klerus. Dazu kommen falsche Vorstellun­gen in der Gesellscha­ft vom Ordenslebe­n: gut behütet, hinter dicken Mauern und weit weg vom Leben, sei oft das Bild, das nichts mit der Realität zu tun habe. Denn man sei besonders in einem sozial tätigen Orden mitten im Leben aktiv. Und: „Ein Ordenslebe­n ist ja keine gemütliche Geschichte. Es ist ein Weg der Nachfolge Jesu und das fordert etwas“, so Petra. Vor allem aber sei es ein Leben in der Gemeinscha­ft, das vielleicht manchem Priester fehle. Gesprächsm­öglichkeit­en und eine umfassende Begleitung, auch in sexuellen Fragen, würden ihnen wohl guttun.

Was allerdings auch der Kirche guttun würde, wäre mehr Fokus auf die Vielfalt und eine weniger starke Konzentrat­ion auf den Klerus. „Das ist etwas, das Franziskus wichtig ist. Er sagt dem Klerus immer wieder, ,ihr seid da, um zu dienen’, weil der Klerus in unserer Gesellscha­ft wirklich so abgehoben ist. Die ganze Kirche dreht sich

»Seit MeToo im Gang ist, wächst auch das Bewusstsei­n in unserer Kirche.«

 ?? Clemens Fabry ?? Von links: Joanna Jimin Lee (Missionari­n Christi), Christa Petra (Steyler Missionssc­hwestern) und Cordula Kreinecker (Barmherzig­e Schwestern Wien). Alle drei begrüßen es, dass über das Thema Missbrauch gesprochen wird.
Clemens Fabry Von links: Joanna Jimin Lee (Missionari­n Christi), Christa Petra (Steyler Missionssc­hwestern) und Cordula Kreinecker (Barmherzig­e Schwestern Wien). Alle drei begrüßen es, dass über das Thema Missbrauch gesprochen wird.
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