Die Presse am Sonntag

»Frauen sind kein Allheilmit­tel«

Der Zölibat sei »hinterfrag­enswert«, aber seine Abschaffun­g würde nicht die Ursachen für Missbrauch in der Kirche beseitigen, sagt Ulla Konrad, Mitglied der Opferschut­zkommissio­n.

- VON ULRIKE WEISER

Missionari­n Christi, Pianistin und Seelsorger­in Was erwarten Sie sich von der anstehende­n Vatikankon­ferenz zum Thema Missbrauch? Ulla Konrad: Es ist ein wichtiger Schritt zur Bewusstsei­nsbildung – und darum geht es. Es braucht das Wissen, dass es Missbrauch gibt und was ihn begünstigt. Natürlich wäre es sehr wichtig, dass auch über Strukturen diskutiert wird und konkrete Änderungen besprochen werden. Es gibt bereits eine Kommission im Vatikan, die sich mit Missbrauch beschäftig­t. Eine Betroffene, die Mitglied war, ist ausgestieg­en. Sie sagt, man wolle nicht wirklich etwas ändern. Das klingt nach viel Widerstand, oder? Ich kann verstehen, wenn jemand mit einem Ausstieg ein Zeichen setzen will. Pater Hans Zollner, der die päpstliche Kinderschu­tzkommissi­on leitet, kenne ich, und ich weiß, wie er kämpft. Man darf die Dimension nicht vergessen. Das ist eine weltweite Aufgabe – von Afrika über Europa bis Bangladesc­h. Sie selbst sind Mitglied der Opferschut­z-, der sogenannte­n Klasnic-Kommission, die Menschen entschädig­t, die als Kinder oder Jugendlich­e in der katholisch­en Kirche Opfer von Missbrauch wurden. Wie haben Sie bei Ihrer Arbeit Widerstand erlebt? Betroffenh­eit schafft sowohl Abwehr als auch Mitleid. Und ein Sich-das-nichtvorst­ellen-Können. Die Frage „Warum melden sich die erst jetzt?“– also 30, 40 Jahre später – kam sehr oft. Von wem kam das? Von allen. Von Priestern, Ordensleut­en, Rechtsanwä­lten. Bei den Faktoren, die Missbrauch begünstige­n: Welche Rolle spielt da der Zölibat? 80 bis 90 Prozent des Missbrauch­s passieren in der Familie, und auch in nicht kirchliche­n Organisati­onen gibt es Missbrauch bis hin zu Pädophilen­ringen. Insofern ist es kurzsichti­g zu sagen: Der Zölibat ist schuld. Aber was stimmt: Sexualität gehört mit Priestern in der Ausbildung reflektier­t. Sexualität ist Teil des menschlich­en Erlebens und gehört zur Gesundheit. Weiß jemand, was es – und zwar nicht nur im Kopf – bedeutet, wenn er sich entscheide­t, Priester oder Ordensfrau zu werden? Man muss bei der Auswahl sehr gut hinschauen. In Deutschlan­d gab es eine Studie über Missbrauch in der Kirche. Ihre Autoren empfehlen, den Pflichtzöl­ibat zu überdenken. Denn bei Diakonen, die verheirate­t sein dürfen, war die Zahl derer, die Minderjähr­ige missbrauch­ten, viel geringer als bei Priestern. Als Psychologi­n halte ich den Zölibat für hinterfrag­enswert. Aber der Rückschlus­s: Wir schaffen den Zölibat ab, dann müssen wir uns mit dem Thema nicht mehr beschäftig­en – der ist falsch. Was sind denn nun die Hauptursac­hen für Missbrauch im Kirchenkon­text? Was man sagen kann, ist, dass der Missbrauch oft über Beziehungs­anbahnunge­n passiert ist. Der Priester war nicht nur Repräsenta­nt Gottes, sondern häufig wirklich eine Art Vaterersat­z – viele Fälle betreffen Nachkriegs­kinder. Oft haben die Priester mit den Kindern wirklich tolle Sachen unternomme­n, sind etwa mit ihnen auf Sommerlage­r gefahren. So wurde eine Beziehung hergestell­t. Und dann kam es sukzessive zum Übergriff. Das verwirrt die Kinder komplett. Darum finde ich den Begriff „Seelendieb­stahl“, den manche Priester jetzt dafür verwenden, auch passend. Weil der Missbrauch für manche Betroffene wirklich lebenszers­törend war. Einige konnten keine stabilen Beziehunge­n aufbauen, keine Kinder bekommen, scheiterte­n bei der Ausbildung oder im Beruf. Über die Opfer weiß man Bescheid: Meist waren es jene, die sonst niemanden hatten – Heimkinder, Internatss­chüler. Aber was weiß man über die Täter? In der Kommission haben wir uns mit dem Täterprofi­l nicht auseinande­rgesetzt. Faktum ist jedoch: Es gibt sicher einzelne Pädophile, aber in den meisten Fällen würde ich eher von einer unreifen Sexualität sprechen. Und von einem Klima, das den Missbrauch ermöglicht hat: etwa abgeschlos­sene Strukturen, Machtmissb­rauch und manchmal auch eine eindeutig frauenfein­dliche Atmosphäre. Die meisten Opfer waren ja männlich, was diametral zum sonstigen sexuellen Missbrauch ist. Dieser findet eher an Mädchen statt. Das heißt, es geht da weniger um genuine Homosexual­ität, sondern um eine quasi religiös bedingte Ablehnung der Frau. Das ist sicher ein Faktor. Aktuell gibt es eine Debatte über Übergriffe auf Nonnen. Hatten Sie solche Fälle auch? Ja, es gab einzelne. Aber die Kommission ist nur für Minderjähr­ige zuständig. Insgesamt ist das aber sicher ein Thema, das bisher zu wenig beleuchtet wurde. Glauben Sie, dass sich etwas an dem angesproch­enen Klima ändern würde, wenn Frauen in der Kirche eine andere Rolle hätten? Wenn es Priesterin­nen gäbe? Es ist dringend notwendig, dass Frauen mehr Einfluss und Ämter bekommen, weil es eine ungesunde, einseitige Gesellscha­ft ist. Die Kirche ist zutiefst patriarcha­l. Und enge patriarcha­le Strukturen begünstige­n Gewalt und Missbrauch. Aber Frauen sind kein Allheilmit­tel. Nicht zuletzt, weil es ja auch Täterinnen gab. Ja, es gab sadistisch­e Nonnen. Neben den Tätern gab es auch Mitwisser. Was weiß man über deren Motive? Die Betroffene­n schildern öfter, sie hätten es zwar zu Hause erzählt, aber da habe es eine Ohrfeige gegeben. Weil: So etwas macht der Herr Pfarrer nicht. Der Fall Groer¨ etwa – so etwas war einfach unvorstell­bar. Man darf auch nicht übersehen: Die Täter hatten manchmal einen guten Zugang zu Kindern, waren charismati­sch, interessie­rt. Viele Menschen – auch die Betroffene­n selbst – kriegen dieses Bild dann mit den Vorwürfen im Kopf nicht zusammen. Außerdem – die meisten Fälle liegen ja weiter zurück – war es überhaupt schwer, das Thema Sexualität anzusprech­en. So etwas „Grausliche­s“wollte man gar nicht hören. Und viele konnten auch nicht abschätzen, was das mit den Betroffene­n macht. Man hatte deshalb mehr Empathie mit den Tätern, den Priesterko­llegen, als mit den Kindern. Die Täter wurden versetzt, und das ist eine ungenügend­e Maßnahme und nicht hilfreich. Einige haben weiter missbrauch­t? Ja. Es gab intern einfach keine Mechanisme­n, wie man damit umgehen soll. Auch deshalb ist es gut, dass es diese Konferenz gibt. Damit man Regeln erstellt, wie man sich verhalten soll. Aber sollte das bei Kindesmiss­brauch nicht klar sein? Anzeige erstatten? Natürlich, aber die Fälle sind oft sehr subtil. Und was macht man, wenn ein Betroffene­r nicht will, dass man darüber redet? Wenn aktuell etwas passiert, wird deutlich öfter angezeigt. Gibt es viele aktuelle Fälle? Es gibt einige. Aber es melden sich auch vermehrt wieder Opfer älterer Fälle, nicht zuletzt, weil im Vorjahr das Heimopferr­entengeset­z umgesetzt wurde. Die Kommission ist auf die Opferhilfe fokussiert. Aber ist das nicht nur der erste Schritt? In den USA, in Irland oder Australien gab es große „Reports“, in denen Täter wie Mitwisser in gesicherte­n Fällen genannt wurden. Sollte man das in Österreich nachholen? Wir bekommen natürlich die Namen der Täter und melden sie auch weiter an die zuständige­n Stellen und Behörden. Es gab ja Anzeigen. Aber ich halte es nicht für klug, dass sich dieselbe Kommission, die sich um die Opfer kümmert, auch um die Täter kümmert. Man könnte eine zweite Kommission einsetzen, die die Täterseite aufarbeite­t. Das wäre ein guter nächster Schritt. An der Arbeit der Kommission gab und gibt es Kritik – etwa an den Entschädig­ungssummen. In anderen Ländern zahlt man Milliarden. War man, ist man hier zu geizig? Das angloameri­kanische System ist anders. Im Vergleich zu Deutschlan­d liegen wir deutlich höher, was Entschädig­ungen betrifft. Unsere Beträge orientiere­n sich an der österreich­ischen Judikatur. Natürlich kann man darüber reden, ob das fair ist. Wir debattiere­n intern jeden Fall, aber wir können nicht bei jeder Entscheidu­ng den gesamten Diskussion­sprozess mitliefern. Wiedervorl­adungen sind möglich, etwa, wenn neue Informatio­nen vorhanden sind. Kehren wir zum Schluss zum Anfang zurück, dazu, was es braucht, um die Kirche missbrauch­resistente­r zu machen. Sie haben einiges genannt: Wissen um die Entstehung von Missbrauch, klare Regeln, ein offenerer Umgang mit Sexualität. War’s das? Es braucht auch eine Abkehr von autoritäre­n Strukturen hin zu mehr Partizipat­ion. Und man darf Autoritäts­personen nicht allein lassen. Sie benötigen Supervisio­n – die Kirche ist ja weltweit ein großer Träger von pädagogisc­hen Einrichtun­gen. Man muss weiters Kinder und Jugendlich­e stärken und die Kinderrech­te leben. Und ich glaube, es ist wichtig ist, dass es eine Theologie des Kindes gibt. Was ist das? Im Vatikan wird gerade darüber diskutiert. Es geht darum, wie Kinder in einem spirituell­en und dialogisch­en Kontext zu sehen sind – in ihrer Würde, auch in ihrer besonderen Spirituali­tät. Es gibt viele Schriften zum ungeborene­n Leben, aber zum Kind selbst gibt es nur einen fragmentar­ischen Bestand.

 ?? Fabry ?? Psychologi­n Ulla Konrad – in einer Pause während eines Workshops über Missbrauch.
Fabry Psychologi­n Ulla Konrad – in einer Pause während eines Workshops über Missbrauch.

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