Der »Enteigner« von Berlin
In Berlin steigen die Mieten rasant. Rouzbeh Taheri, ein linker Volkswirt mit Faible für Wien, will nun die Besitzer von 200.000 Wohnungen enteignen. Einer Mehrheit gefällt das.
Die Straße in Berlin-Charlottenburg, in der diese Geschichte beginnt, ist in höchstem Maße gewöhnlich. Zu sehen sind schmucklose Wohnhäuser und ein Imbissstand: Es gibt ein halbes „Hähnchen“um 3,49 Euro. Wenn sich der Berliner Rouzbeh Taheri jedoch hier umblickt, dann sieht er mehr. Er sieht einen Teil seines radikalen Plans. Er sieht einige der rund 200.000 Wohnungen im Besitz der „großen Miethaie“. Und diese „Spekulanten“will er enteignen, also ganz konkret alle gewinnorientierten Vermieter, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen. Ein Volksbegehren soll den Weg ebnen.
Die Pointe: Einer Mehrheit der Berliner gefällt die Idee. Das legt eine Forsa-Umfrage nahe. Es ist daher keineswegs ausgeschlossen, dass bei dem Volksbegehren genug Unterschriften zusammenkommen, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Und das alles in Berlin, einst Hauptstadt des „Arbeiter- und Bauernstaats“: Ist das nicht etwas geschichtsvergessen?
„Ach, immer wird auf uns mit der DDR-Keule draufgehauen“, sagt Taheri von der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Zu seinen Vorbildern zähle nicht Ostberlin, sondern Österreich: „Wir haben Wien von vorn bis hinten 50-mal studiert.“Er schwärmt vom hohen Anteil an nicht renditeorientierten Wohnungsgebern. Das beste Beispiel sei aber das alte Westberlin. Als er in den Achtzigern aus dem Iran hierherkam, habe es noch einen Mietpreisdeckel gegeben. Und jede Menge öffentliche Wohnungen. Ein Teil wurde 2004 privatisiert und zwar – Ironie der Geschichte – unter Beteiligung der PDS, Nachfolgerin der DDREinheitspartei SED. Die Macht des Faktischen. Berlin war vielleicht sexy, aber ganz sicher arm. Die Stadt brauchte Geld. Taheri trat damals aus Protest gegen die Verkäufe aus der PDS aus.
Taheri ist Volkswirt, Betreiber eines Versandhandels und „Sozialist“, wie er sagt. Er ist aber auch eine unauffällige Erscheinung. Würde man den Inhalt des Gesagten ausblenden, nur auf Gestik und Mimik achten, man käme nicht auf die Idee, dass dieser freundliche 45-Jährige an einer Säule der Marktwirtschaft rüttelt, Immobilienriesen „vertreiben“will und Sätze sagt wie: „Eine radikale Lebenswirklichkeit verlangt nach radikalen Lösungen.“ Gentrifizierung. Nun treibt die Wohnungsnot die Berliner tatsächlich um, zumal hier 85 Prozent der Bevölkerung Mieter sind, die Preise teils explodieren und die Gentrifizierung voranschreitet. Im Szeneviertel Prenzlauer Berg sind ostdeutsche Rentner schon lang aus dem Stadtbild verschwunden. Inzwischen grassiert die Angst um die Wohnung jedoch auch in der Mittelschicht. Taheri: „Die Vertreiber von einst werden zu Vertriebenen. Das stärkt uns.“Also die Kampagne.
Ein Feindbild hilft gleichfalls und immer. Mit Deutsche Wohnen gebe es einen „symbolischen Gegner“, der Aktienkonzern sei „so verhasst wie kein zweites Unternehmen in Berlin“. Damit spielt Taheri. Er sagt zwar, Deutsche Wohnen sei nicht der schlimmste Vermieter, aber mit 110.000 Wohnungen „der größte unter den Schlimmen“.
Ganz prinzipiell und nicht nur links der Mitte gibt es in Berlin die Klage, dass Spekulanten immer wieder versuchen würden, Mieter aus den Wohnungen zu drängen. Zum Beispiel über den Umweg teurer Sanierungen. Ein Teil der Kosten kann dann auf die Miete aufgeschlagen werden. Eine mögliche Folge: Auszug, teure Neuvermietung. „Herausmodernisieren“nennt diese Praxis selbst die Bundesregierung.
Taheri hatte auch so ein Erlebnis: Nach einer „thermischen Sanierung“sollte er 90 Euro mehr Miete zahlen. Er würde aber zugleich 90 Euro Heizkosten sparen. Sagte man ihm. „Ich hatte davor aber nur 60 Euro Heizkosten.“Er wehrte sich. Er setzte sich durch. Also klappt es doch. Wieso dann enteignen? „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“, sagt er. Die Kampagne ziele auf die fünf größten Vermieter ab. Das werde die anderen „abschrecken“. Und wenn nicht? Wo hört das auf? Kleine Vermieter zu enteignen, das sei nicht sein Plan, sagt er. Wobei: Wenn eine Mehrheit das wolle, dann sei das auch in Ordnung.
Nun haben Bürgerproteste in Berlin oft Erfolg. Taheri half schon Unterschriften für den Rückkauf der Wasserwerke zu sammeln. In Berlin Kreuzberg wurde jüngst ein Google Campus verhindert. Und die Mieterbewegung ist eng vernetzt. Ein breites Bündnis trägt diese Enteignungsinitiative, dazu zählt die vom Verfassungsschutz beobachtete Interventionistische Linke genauso wie die in Berlin mitregierende Linkspartei. Die Grünen hegen, wie Teile der Lokalpresse, ebenfalls Sympathien. Nur der größte Koalitionspartner, die SPD, zögert: Bürgermeister Michael Müller sagt, er wolle Enteignungen „erst als vierten, fünften Schritt“. Wenn sonst nichts helfe. Die Stadt hat aber begonnen, Wohnungen zurückzukaufen, auch in der Karl-Marx-Allee, dem berühmtesten Boulevard der DDR.
Natürlich gibt es Zweifel, ob Enteignungen rechtens wären. Der Schutz des Eigentums wiegt schwer. Taheri setzt auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der „Vergesellschaftungen“ermöglicht. Angewandt wurde der Artikel noch nie. Formuliert wurde er in einer Zeit, in der die SPD noch marxistisch war.
Zumindest jedoch würde eine Entschädigung fällig. Das weiß auch Taheri. Er rechnet mit einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag. Es könnte aber auch viel mehr sein. Nun ist Berlin aber immer noch arm. Die Stadt hat 58 Milliarden Euro Schulden. Ganz abgesehen davon, dass durch die Vergesellschaftung keine einzige neue Wohnung entstünde. Dabei zählt das knappe Angebot zu den großen Preistreibern. Hunderttausende Wohnungen fehlen in Berlin. Da helfe nur bauen, bauen, bauen. heißt es.
Am Abend redet Taheri bei einer Veranstaltung der Linkspartei. Er ist nun ruppiger. Ginge es nach ihm, sagt er, sollten die Spekulanten nur einen „feuchten Händedruck“bekommen. Blick ins Publikum: Viele klatschen.
Die »DDR-Keule« nervt den Volkswirt. Sein Vorbild sei doch das Wiener Modell.