Das alles, damit am Ende nichts
Bei den Abgasen soll nicht mehr getrickst werden, die Autos sollen auch auf der Straße, nicht nur im Labor sauber sein. Wir machten uns ein Bild vom Aufwand, den das erfordert.
Man möchte meinen, 700 Seiten Gesetzestext sollten ausreichen, um festzulegen, was bei einem Auto hinten rauskommen darf und was nicht. Jene 700 Seiten, erarbeitet von der für Kraftfahrzeuge zuständigen EUBehörde, reichten immerhin schon aus, um die Autobauer im Vorjahr gehörig ins Schwitzen zu bringen.
Der Gesetzestext regelt im Wesentlichen den Übergang von einer Prüfmethode, Schadstoffwerte, Spritverbrauch (und somit CO2-Emissionen) von Neuwagen zu bestimmen, zu einer anderen. Wobei es so einfach auch wieder nicht ist: Erhoben werden soll nach der neuen Prüfmethode, die Ergebnisse werden aber hochgerechnet auf die alte, jedenfalls für eine Übergangsfrist.
Die Absicht der EU-Behörde ist zweifellos eine gute: Die alte, NEFZ genannte Methode lieferte eine extrem optimistische Daumenpeilung, die mit dem Verbrauchs- und Emissionsgebaren von Autos im Alltag wenig zu tun hatte. Die neue namens WLTP (für Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) geht der Sache schon näher auf den Grund. Sie umfasst Fahrten im Realbetrieb auf der Straße, schließt viele der berüchtigten Schlupflöcher in den Vorgaben (etwa „Thermofenster“, innerhalb derer die Abgasreinigung heruntergefahren wird, in der Realität war das bei jedem nicht südkalifornischen Wetter, und ähnliche Schmähs) und sollte vor allem weltweit angewandt werden – klar, wenn überall die gleichen Autos auf der Straße sind, warum sollte in jedem Land anders getestet werden? Fast weltweite Prozedur. Aus dem „W“in WLTP ist dann nichts geworden, denn Märkte wie die USA, Japan, Australien, Russland und Brasilien kochen weiterhin ihr eigenes Süppchen, auch wenn es bei manchen (Brasilien, China) schon in die WLTP-, sprich europäische Richtung geht.
Aber eine Prozedur ist es geworden. So sehr, dass einzelne Hersteller, namhafte wie Audi und Volkswagen darunter, sie nicht schnell genug bewältigen konnten. Das führte dazu, dass nicht alle Modelle, die die Unternehmen im Sortiment haben, rechtzeitig zugelassen werden konnten: Wartezeiten, Lieferengpässe, Ausfälle; nicht wenige sind ganz rausgeflogen.
Peinlich, aber nicht unbedingt auf Schludrigkeit zurückzuführen. Denn die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus samt einer kurzen Frist zur Einführung erwies sich als Mammutaufgabe, Ein Roboter misst das Gewicht von Partikelmasse – die Filter (l.) stammen von Vorrichtungen, die Ingenieure am Prüfstand (r.) an den Auspuff flanschen. die viel Personal, Zeit – auch aufseiten der Behörden – und Technik erforderte, etwa Labors und freie Prüfstände. Und sie wurde umso gewaltiger, je mehr Modellvarianten ein Hersteller im Portfolio hat. Gerade Audi und VW sind stolz auf ihre Modellvielfalt, auf die vielen Kombinationsmöglichkeiten von Motoren, Getrieben, Achsantrieben, Karosserien. Doch jede einzelne Variante multipliziert den Aufwand beim Zertifizieren. Und das waren erst die 700 Seiten. Es gilt schon jetzt als si- cher, dass Hersteller in Zukunft schlicht weniger Varianten anbieten werden – weil sie damit ein einfacheres Leben haben. Lang zugeschaut. Vielleicht – oder eher: ganz sicher – hat man bei uns zu lang zu wenig genau hingeschaut, was hinten herauskommt. Der Abgasbetrug wurde schließlich quasi per Zufall und ausgerechnet in den USA aufgedeckt, wo Diesel-Pkw nie eine Rolle gespielt haben, und nicht in Europa, wo viele Millionen Dieselautos unterwegs sind. Ebenso braucht man sich keine ehrgeizigen Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasen setzen, wenn nicht auch genau erhoben wird, wie viel Kohlendioxid Autos wirklich freisetzen. Die Umstellung auf eine realitätsnähere und weltweit einheitliche Prüfmethode wurde aber schon 2009 initiiert – lang bevor die Causa Dieselabgase ruchbar war. Doch die Schlagzahl wurde nach ihr deutlich erhöht: Kaum hatten die Hersteller die 700 Seiten verdaut, kamen Ende letzten Jahres 300 neue dazu – die Kommission nennt das den zweiten Akt. Vorhang auf. Nun sind die Hersteller erneut damit beschäftigt, ihre Autos einem verschärften Prüfregime zu unterziehen und so zu zertifizieren. Um sich auf die 300 neuen Seiten Gesetzestext vorzubereiten, habe man nicht mehr als vier Wochen Zeit gehabt, erzählt Harald Behrendt von Daimler, der uns durch das Emissionstestzentrum des Herstellers in Stuttgart-Untertürkheim führt. Mehr als 100 Personen sind bei Daimler mit dem Zertifizierungsprozess beschäftigt, ihr Bereich ist auch intern im Zugang beschränkt, Kollegen von der Entwicklung dürfen beispielsweise nicht hinein. Der Betrieb läuft derzeit in drei Schich-
Je mehr Varianten, desto gewaltiger der Aufwand. Es wird künftig weniger geben.