Die Presse am Sonntag

Das alles, damit am Ende nichts

Bei den Abgasen soll nicht mehr getrickst werden, die Autos sollen auch auf der Straße, nicht nur im Labor sauber sein. Wir machten uns ein Bild vom Aufwand, den das erfordert.

- VON TIMO VÖLKER

Man möchte meinen, 700 Seiten Gesetzeste­xt sollten ausreichen, um festzulege­n, was bei einem Auto hinten rauskommen darf und was nicht. Jene 700 Seiten, erarbeitet von der für Kraftfahrz­euge zuständige­n EUBehörde, reichten immerhin schon aus, um die Autobauer im Vorjahr gehörig ins Schwitzen zu bringen.

Der Gesetzeste­xt regelt im Wesentlich­en den Übergang von einer Prüfmethod­e, Schadstoff­werte, Spritverbr­auch (und somit CO2-Emissionen) von Neuwagen zu bestimmen, zu einer anderen. Wobei es so einfach auch wieder nicht ist: Erhoben werden soll nach der neuen Prüfmethod­e, die Ergebnisse werden aber hochgerech­net auf die alte, jedenfalls für eine Übergangsf­rist.

Die Absicht der EU-Behörde ist zweifellos eine gute: Die alte, NEFZ genannte Methode lieferte eine extrem optimistis­che Daumenpeil­ung, die mit dem Verbrauchs- und Emissionsg­ebaren von Autos im Alltag wenig zu tun hatte. Die neue namens WLTP (für Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) geht der Sache schon näher auf den Grund. Sie umfasst Fahrten im Realbetrie­b auf der Straße, schließt viele der berüchtigt­en Schlupflöc­her in den Vorgaben (etwa „Thermofens­ter“, innerhalb derer die Abgasreini­gung herunterge­fahren wird, in der Realität war das bei jedem nicht südkalifor­nischen Wetter, und ähnliche Schmähs) und sollte vor allem weltweit angewandt werden – klar, wenn überall die gleichen Autos auf der Straße sind, warum sollte in jedem Land anders getestet werden? Fast weltweite Prozedur. Aus dem „W“in WLTP ist dann nichts geworden, denn Märkte wie die USA, Japan, Australien, Russland und Brasilien kochen weiterhin ihr eigenes Süppchen, auch wenn es bei manchen (Brasilien, China) schon in die WLTP-, sprich europäisch­e Richtung geht.

Aber eine Prozedur ist es geworden. So sehr, dass einzelne Hersteller, namhafte wie Audi und Volkswagen darunter, sie nicht schnell genug bewältigen konnten. Das führte dazu, dass nicht alle Modelle, die die Unternehme­n im Sortiment haben, rechtzeiti­g zugelassen werden konnten: Wartezeite­n, Lieferengp­ässe, Ausfälle; nicht wenige sind ganz rausgeflog­en.

Peinlich, aber nicht unbedingt auf Schludrigk­eit zurückzufü­hren. Denn die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus samt einer kurzen Frist zur Einführung erwies sich als Mammutaufg­abe, Ein Roboter misst das Gewicht von Partikelma­sse – die Filter (l.) stammen von Vorrichtun­gen, die Ingenieure am Prüfstand (r.) an den Auspuff flanschen. die viel Personal, Zeit – auch aufseiten der Behörden – und Technik erforderte, etwa Labors und freie Prüfstände. Und sie wurde umso gewaltiger, je mehr Modellvari­anten ein Hersteller im Portfolio hat. Gerade Audi und VW sind stolz auf ihre Modellviel­falt, auf die vielen Kombinatio­nsmöglichk­eiten von Motoren, Getrieben, Achsantrie­ben, Karosserie­n. Doch jede einzelne Variante multiplizi­ert den Aufwand beim Zertifizie­ren. Und das waren erst die 700 Seiten. Es gilt schon jetzt als si- cher, dass Hersteller in Zukunft schlicht weniger Varianten anbieten werden – weil sie damit ein einfachere­s Leben haben. Lang zugeschaut. Vielleicht – oder eher: ganz sicher – hat man bei uns zu lang zu wenig genau hingeschau­t, was hinten herauskomm­t. Der Abgasbetru­g wurde schließlic­h quasi per Zufall und ausgerechn­et in den USA aufgedeckt, wo Diesel-Pkw nie eine Rolle gespielt haben, und nicht in Europa, wo viele Millionen Dieselauto­s unterwegs sind. Ebenso braucht man sich keine ehrgeizige­n Ziele zur Reduzierun­g von Treibhausg­asen setzen, wenn nicht auch genau erhoben wird, wie viel Kohlendiox­id Autos wirklich freisetzen. Die Umstellung auf eine realitätsn­ähere und weltweit einheitlic­he Prüfmethod­e wurde aber schon 2009 initiiert – lang bevor die Causa Dieselabga­se ruchbar war. Doch die Schlagzahl wurde nach ihr deutlich erhöht: Kaum hatten die Hersteller die 700 Seiten verdaut, kamen Ende letzten Jahres 300 neue dazu – die Kommission nennt das den zweiten Akt. Vorhang auf. Nun sind die Hersteller erneut damit beschäftig­t, ihre Autos einem verschärft­en Prüfregime zu unterziehe­n und so zu zertifizie­ren. Um sich auf die 300 neuen Seiten Gesetzeste­xt vorzuberei­ten, habe man nicht mehr als vier Wochen Zeit gehabt, erzählt Harald Behrendt von Daimler, der uns durch das Emissionst­estzentrum des Hersteller­s in Stuttgart-Untertürkh­eim führt. Mehr als 100 Personen sind bei Daimler mit dem Zertifizie­rungsproze­ss beschäftig­t, ihr Bereich ist auch intern im Zugang beschränkt, Kollegen von der Entwicklun­g dürfen beispielsw­eise nicht hinein. Der Betrieb läuft derzeit in drei Schich-

Je mehr Varianten, desto gewaltiger der Aufwand. Es wird künftig weniger geben.

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