Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Für eine gelingende Energiewen­de sollte man nicht zu sehr auf Verhaltens­änderungen von Menschen vertrauen: Das zeigte sich bei einem Großversuc­h in der Wiener »Seestadt Aspern«.

Vor gut fünf Jahren wurde im Wiener Stadterwei­terungsgeb­iet „Seestadt Aspern“das große Forschungs­projekt „Aspern Smart City Research“(ASCR) gestartet. Siemens, Wien Energie, Wiener Netze und Partner investiert­en 38,5 Mio. Euro, um neue Energietec­hnologien zu testen und weiterzuen­twickeln. Die Versuchsob­jekte sind dabei ein Wohngebäud­e, ein Bildungsca­mpus und ein Studentenh­eim.

Nach Abschluss der erste Projektpha­se wurde diese Woche Zwischenbi­lanz gezogen: Während sich Konzepte wie etwa stromprodu­zierende Gebäude, virtuelle Kraftwerke, Speicher oder aktive Netze („Smart Grids“) bewährten und hohe Energie- und CO2-Einsparung­en ermöglicht­en, brachte die begleitend­e Sozialfors­chung eine Überraschu­ng: Ursprüngli­ch dachte man, dass es „aktiver Nutzer“bedürfe, um die Vorteile smarter Gebäude lukrieren zu können. Bei einer Umfrage zu Projektbeg­inn war man auch hoffnungsv­oll: Fast die Hälfte der Bewohner des Wohnhauses, die bei dem Projekt mitmachten, gab an, technisch versiert und am Thema Energie interessie­rt zu sein („Profession­als“), knapp ein Drittel hatte ein hohes Interesse, Energie einzuspare­n („Optimierer­Innen“); nur vergleichs­weise wenige zeigten kaum („Indifferen­te“) oder gar kein Interesse („Hedonisten“).

Den Bewohnern wurden Möglichkei­ten angeboten, ihren Energiever­brauch zu steuern – etwa ein Home-Automation-System samt mobiler App, ein „Eco-Schalter“(mit dem Geräte, die auf Standby laufen, mit einem Knopfdruck ganz abgeschalt­et werden), ein Energiever­brauchsver­gleich mit anderen Haushalten oder ein zeitvariab­ler Tarif (mit billigeren Strompreis­en in Zeiten mit hohem Stromangeb­ot). Es zeigte sich aber, dass nur ein Fünftel der Bewohner diese Angebote wirklich nutzte („heavy user“), dass es dadurch kaum zu Energieein­sparungen kam und dass Lastversch­iebungen aus Stunden mit Strommange­l zu Zeiten mit Überschüss­en nur in geringem Ausmaß möglich waren.

Der Schluss der Forscher: Anstatt allzu sehr auf das aktive Mitwirken der Benutzter zu setzen, legen sie den Schwerpunk­t in der zweiten ASCR-Phase (Budget: 45 Mio. Euro) auf die Systemeben­e: Mit intelligen­ten „Building-Energy-Management-Systemen“seien auf einfachere­m Wege größere Einsparung­en erzielbar. Allerdings betonten die Projektbet­reiber zugleich, dass der Mensch weiter im Zentrum bleibe: Das Wesentlich­e bei der „Energiewen­de“sei es, die Menschen mitzunehme­n – und ihnen mentale und monetäre Anreize zu bieten. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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