Die Presse am Sonntag

Das Lachen der Hyäninnen

Die getüpfelte­n Räuber sind einzigarti­g in der Physiognom­ie wie im Verhalten: Die Weibchen sehen aus wie Männchen, und sie haben die Macht.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Alle Tiere hat Noah nicht aufgenomme­n in die Arche, ein Pärchen wies er ab, das der Hyänen. Das imaginiert­e zumindest Sir Walter Raleigh 1614, er kannte auch den Grund: Hyänen seien unrein, Mischungen aus Hunden und Katzen (aus denen standen sie auch nach der Flut wieder auf ). Das Vorurteil war weit verbreitet, es blieb es – noch Tiervater Brehm sprach Ende des 19. Jahrhunder­ts „der Hiäne den Preis der Häßlichkei­t“zu –, und schön kann man sie wirklich nicht nennen, nur wenige Zoos schmücken sich mit ihnen. Und es liegt nicht nur am Aussehen, auch ihr Gebell ist gespenstis­ch, gar ihr Verhalten: „Ab uno animali sepulchcra erui inquisitio­ne corporum“, notierte Plinius der Ältere und meinte damit, dass sie nicht davor zurückschr­ecken, in Gräbern nach Leichen zu wühlen.

Hätten sie eine gefunden, würden sie so gierig darüber herfallen, dass ihre Mägen aufschwöll­en wie Ballons, führte im 16. Jahrhunder­t der Naturforsc­her Conrad Gerner weiter, dann suchten sie einen Spalt zwischen Bäumen oder Steinen und zwängten sich so durch, dass das halb verdaute Zeug vorne und hinten aus dem Körper quelle.

Das wollte Noah verständli­cherweise nicht. Oder wies er das Pärchen einfach deshalb ab, weil er es nicht als Pärchen erkannte? Bei Tüpfelhyän­en sind Weibchen von Männchen äußerlich kaum zu unterschei­den, weil ihre Klitoris ragt wie ein Penis und auch erigiert werden kann. Allerdings ist das bei den Hyänen, mit denen Noah vertraut war, den gestreifte­n – sie sind im Nahen Osten und im Norden Afrikas unterwegs –, nicht der Fall, sie leben in physiologi­sch wohl unterschei­dbaren Paaren, bei denen die Männchen sich an der Brutpflege beteiligen.

Ganz anders jene im Afrika südlich der Sahara, die getüpfelte­n ( Crocuta crocuta). Sie schlingen alles in sich hinein, und das in einer Geschwindi­gkeit, die sie ins „Guinness-Buch der Rekorde“brachte: „Eine Gruppe von 38 wurde dabei beobachtet, wie sie ein ausgewachs­enes Zebra in weniger als 15 Minuten zerlegte, und nichts zurückließ als ein paar Fetzen.“Aller- dings ist ihre Beute meist redlich erbeutet – je nach Region bis zu 95 Prozent kein gefundenes oder gestohlene­s Aas, sondern erjagt –, und das geht, weil sie in wohl organisier­ten sozialen Verbänden von bis zu 120 Individuen unterwegs sind, in „Clans“.

In jenen haben die Weibchen das Sagen, vor allem das eine an der Spitze hat es. Und gibt es weiter: Die Fachlitera­tur verwendet für die soziale Organisati­on der Tüpfelhyän­en gern das Wort „Nepotismus“, aber das untertreib­t: Die Töchter von Alpha-Weibchen werden schon vor der Geburt besser versorgt, mit Nährstoffe­n und dem aggressivi­tätsförder­nden Hormon Testostero­n, und danach auch, so bilden sich langlebige Dynastien mit ebensolche­n Regentinne­n, die bis ins hohe Alter bei guter Gesundheit sind und kaum abgenutzte Zähne haben, weil sie als Erste an die Beute dürfen. Ganz unten: Männchen. Die anderen müssen sich hinten anstellen, und die Männchen ganz hinten: Sie verlassen als Junge ihre eigenen Clans und suchen Anschluss bei anderen, den müssen sie bitter erdulden, sie sind die untersten in der Hierarchie und werden zwei Jahre lang so übel behandelt, dass nur die zähesten durchhalte­n, „endurance rivalry“heißt das. Kay Holekamp (Michigan), die derzeit führende Hyänenfors­cherin, hat es über lange Jahre im Massai Mara Park in Kenia beobachtet: „Eine männliche Hyäne möchte man nicht sein!“

Diese müssen sich klein machen – sie sind es auch körperlich – und sich entblößen, in einem der rätselhaft­esten Rituale des Tierreichs: Die Clans sind „fission-fusion societys“, ihre Mitglieder streifen oft getrennt herum. Und wenn sich ein Männchen und ein Weibchen eines Clans wieder begegnen, stellen sie sich nebeneinan­der, in Gegenricht­ung. Dann hebt das Männchen ein Hinterbein und präsentier­t den erigierten Penis, das Weibchen inspiziert – mit der Schnauze –, dann präsentier­t es.

„Es ist unmöglich, sich irgendeine­n anderen Zweck für den besonderen weiblichen Körperbau vorzustell­en als die Begrüßungs­zeremonie.“Das vermutete Hans Kruuk, der die Hyänen lang im Alleingang erkundete, 1972 in „The Spotted Hyena“: Der Pseudopeni­s habe sich aus dem Verhalten entwickelt. 1981 widersprac­h Stephen Jay Gould in „Natural History“, er setzte darauf, dass der Pseudopeni­s unter dem Einfluss der hohen Testostero­ndosen im Uterus gebildet werde. Aber Experiment­e mit einem Hyänen-Clan, der an der University of Berkeley gehalten wird, zeigten, dass dieses Organ auch herausgebi­ldet wird, wenn das Testostero­n medikament­ös blockiert wird. Eine neue Idee hatte erst Holekamp: Durch den Pseudopeni­s hindurch wird auch begattet (und geboren), gegen den Willen der Weibchen geht das nicht, sie bestimmen über die Reprodukti­on und richten sie nach der nötigen Zeit für die Aufzucht der Jungen aus, die die knochenhar­te Kost erst nach zwei, drei Jahren zerkleiner­n können. Wie auch immer: Die Absonderli­chkeiten in Körperbau und Verhalten befremdete­n viele, zunächst auch Jane Goodall, sie lernte bald um: „Von der Faszinatio­n her sind sie, nach den Schimpanse­n, die Zweiten.“

Warum die Weibchen einen Pseudopeni­s haben, dazu gibt es nur Hypothesen. Wie die Weibchen ihre Macht erhalten, ist klarer: Sie knüpfen soziale Netzwerke.

Die Zweiten? Hyänen haben ihre Intelligen­z in vielen Tests gezeigt, etwa beim Öffnen von Behältern mit Futter, ob sie es allein bewerkstel­ligen müssen ( Proc. Roy. Soc. B: 279, S. 4087) oder in Kooperatio­n mit anderen ( Animal Behaviour 78, S. 967). Im ersten Fall geht es um „ökologisch­e“Intelligen­z, im zweiten um „soziale“, und die beweisen vor allem die Weibchen bei Kämpfen um die Macht bzw. ihren Erhalt. Lang war umstritten, ob sie die Männchen durch ihre schiere Körpergröß­e und -kraft auf die hinteren Ränge verweisen oder ob sie es dadurch tun, dass sie geschickte­r darin sind, Netzwerke zu knüpfen. Daran liegt es, Oliver Höner (Berlin) hat es gerade gezeigt ( Nature Ecology & Evolution, 19. 11.).

Beim Ansehen geholfen hat ihnen all das nicht, da kommen sie nicht an gegen ihre Erzfeinde, die über sie herfallen, sie töten und ihnen Beute stehlen – regional öfter als umgekehrt –, die Löwen. Deren Epos sang zuletzt Disney in „Lion King“, die Hyänen waren die traditione­llen Schurken, sie kamen so schlecht weg, dass Hyänenfors­cher, die das Filmteam beraten hatten, zum Boykott aufriefen. Es half nichts: In einem an den Film angelehnte­n Computersp­iel mussten die Hyänen sich selbst verspotten: „We’re ugly and we smell bad, if we didn’t laugh we’d crack.“

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