Die Fahrt ins Niemands l
Der Fisch fängt bekanntlich am Kopf zu stinken an. Also hat Gian Franco Kasper, der oberste Skifunktionär, rechtzeitig zum Wintersport-Highlight des Jahres einmal mehr mit absurden Äußerungen aufhorchen lassen. Weil eine europäische Olympia-Kandidatur nach der anderen am jeweiligen Volkswillen scheitert, erklärte der langjährige Präsident des Internationalen Skiverbands (FIS), er gehe mit Titelkämpfen lieber in eine Diktatur, weil er sich dort beispielsweise nicht mit Umweltschützern herumstreiten müsse. Außerdem arbeitete sich der 75-jährige Schweizer am „sogenannten Klimawandel“ab, an den er so gar nicht glauben will („Haben sehr viel Schnee“).
Bemerkenswerte Aussagen für jemanden, der seinen Verband so gern als Werbeagentur für den Skisport bezeichnet. Eine solche hätte jedenfalls eine Menge zu tun, denn um den alpinen Rennlauf – und damit auch Österreichs Nationalsport Nummer eins – stand es schon einmal besser. Die heute zu Ende gehende Weltmeisterschaft im schwedischen Are ist dabei nur das jüngste Krisenkapitel. Dabei sollte eine WM doch eine Leistungsschau der jeweiligen Sportart sein. Skifahren kann kein Weltsport sein. Doch anstatt sich auf Kernländer in den Alpen, in Skandinavien und auf eine kleine, aber euphorische Anhängerschaft an der US-Ostküste konzentrieren zu können, mussten die Skifahrer die Olympia-Experimente des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mitmachen. Die Ausflüge nach Russland 2014 und nach Südkorea 2018 floppten. „Ich habe das furchtbar gefunden vor Ort in Pyeongchang“, erzählte Marcel Hirscher, obwohl er dort Doppel-Olympiasieger wurde. Besserung ist nicht in Sicht, die Winterspiele 2022 steigen in Peking. Das Skizentrum wird gerade aus dem Boden gestampft, das vorgeschriebene Gefälle für einen Abfahrtslauf dürfte zwar gerade so erreicht werden, Schnee fällt in den Hügeln von Yanqing aber keiner. Schneekanonen sollen es richten.
Doch auch die WM in A˚re ließ zu wünschen übrig – und wirft nun eine Frage auf: Wenn ein Wintersportland wie Schweden nicht gut genug ist, was dann? Selbst in der Heimat von Skistars wie Stenmark und Pärson oder amtierenden Olympiasiegern (Hansdotter, Myhrer) mangelte es an Kulisse. Erst das Anreisechaos (es gab eine zusätzliche Hangbefahrung für Athleten, die noch auf ihr Gepäck warteten), dann ein auch ob der unerschwinglichen Preise leerer WM-Ort. Und Rennen, die wegen Wind, Nebel oder Regen verschoben und zusammengestutzt wurden. Außerdem Pisten, die kaum auf Weltcupniveau präpariert werden konnten. So geriet mit den Abfahrten die Königsdisziplin zur Farce. „Ich würde gern glauben, dass es genug ist, eine freundliche Person zu sein und Erfolg im Sport zu haben, um ihn zu promoten. Aber das ist es nicht“, stellte Skistar Mikaela Shiffrin fest. Andererseits: „Typ sein“, markige Sprüche liefern, von Zeit zu Zeit über die Stränge schlagen – das alles erlaubt der Spitzensport nicht mehr.
Zu hoch ist die Leistungsdichte, zu sehr werden Topstars auf Schritt und Tritt beobachtet. Ganz nach oben zu kommen ist ohnehin schon schwierig genug. Alle Gesamtweltcupsieger der vergangenen sechs Jahre, Marcel Hirscher, Shiffrin, Lara Gut, Anna Veith, Tina Maze, hatten ein eigenes Team an Vertrauenspersonen an ihrer Seite, nur absolute Vollprofis können eine solche Verantwortung und Erwartungshaltung in Erfolge ummünzen.
Als Folge davon ist die Kreativität abhandengekommen. Kaum jemand geht noch eigene Wege, sinnbildlich herrscht auch auf der Piste in Sachen Linienwahl Einheitsbrei. Bode Miller galt als eine der größten Persönlichkeiten im Skizirkus, inzwischen sagt er: „Heute machen alle immer nur dasselbe und hoffen, dass sie am Ende schnell genug sind.“ Ein gängiges Verletzungsmuster, wie es in anderen Sportarten auftritt, ist im alpinen Rennlauf nicht zu erkennen. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat die Ursachenforschung für die unzähligen Kreuzbandrisse zur Chefsache erklärt, ein Expertenteam arbeitet daran. Noch aber verliert der Sport pro Rennen zwei Läufer wegen Verletzungen, wie FIS-Renndirektor Markus Waldner in Kitzbühel vorrechnete. Das Problem liegt wohl irgendwo in der Materialentwicklung, das Set-up (Ski, Platte, Bindung, Schuh) ist bei Weitem noch nicht ausgereizt, der menschliche Körper aber so gut wie. Schon in Jugendjahren reißen den Läufern reihenweise die Bänder, selbst Marcel Hirscher, der neue Maßstäbe bei Training und Athletik setzt, ist nicht gefeit, wie die vergangene Saison zeigte (Knöchelbruch in der Vorbereitung, ohne Sturz wohlgemerkt). Auch weil die Bedingungen im Training oft ganz andere sind, passieren viele Verletzungen ohne Stürze und werden erst im Nachhinein diagnostiziert. Wie bei Anna Veith (erneuter Kreuzbandriss vor fünf Wochen) reicht ein einfacher Schlag schon aus.
Das Preisgeld ist relativ zum Risiko der Athleten verschwindend gering, 45.000 Schweizer Franken (39.632 Euro) erhält der Sieger eines Weltcuprennens, für Platz 30 bleiben nur noch 500 Franken (440 Euro). Ex-Profi Ivica Kostelic sprach unlängst von einer „Epidemie falscher Entscheidungen“im Skisport und bezog sich vor allem auf den Umgang mit den ein- Viel Landschaft, wenig Spektakel: Die WM in Are war keine Sternstunde des Skisports. zelnen Disziplinen. An den oftmals als Zukunft des Skisports angepriesenen Parallelrennen lässt der Kroate kein gutes Haar, tatsächlich hält sich der sportliche Wert in Grenzen. Das ToreUmhauen steht im Vordergrund, große, schwere Läufer sind dadurch im Vorteil, die Laufzeiten betragen gerade einmal gut 20 Sekunden. Dennoch sind sie an Weltcuppunkten gleichbedeutend mit den Hahnenkamm-Rennen.
Auch in A˚re gab es mit dem Teambewerb ein Parallelrennen. Vor allem der Zwei-Meter-Hüne Ramon Zenhäusern sicherte der Schweiz den Sieg. Von den Topstars stand keiner am Start, die USA verzichteten freiwillig.
Dafür wird die völlig vernachlässigte Kombination weiter mitgeschleppt, sie zu streichen, was nur den aktuellen Entwicklungen im Skisport entspräche, oder wieder aufzuwerten traut sich niemand. Die Startliste bei der WM-Kombi in Are sagt alles über ihre Wertigkeit: Mit Marcel Hirscher und Mikaela Shiffrin haben der amtierende Olympiasieger in dieser Disziplin und die haushohe Goldfavoritin verzichtet. Während die Athleten immer professioneller werden, die Leistungen immer spektakulärer, hinkt das Marketing des Skiverbands hinterher. Design und Aufbau der FIS-Homepage vermitteln einen gewissen Retrotouch, und mit gerade einmal 150.000 Followern der Facebook-Seite wird das Potenzial nicht annäherend ausgeschöpft. Dass die offizielle Seite zu dieser WM in Are im sozialen Netzwerk unter schwedischem Namen firmiert, zeugt von den verpassten Chancen im digitalen Zeitalter. Wenig verwunderlich, dass der Altersschnitt der TV-Zuseher bei 60 Jahren liegt, wie der Ex-Profi und langjährige TV-Experte Marco Büchel beklagte. Auch Ex-Profi Ivica Kostelic sagt: „Die Rennen sehen immer gleich aus und können schnell langweilig werden.“In Sachen TV-Bilder war die