Die Presse am Sonntag

Jung, weiblich, couragiert

Aktivismus und Idealismus unter Schülern ist en vogue: Greta Thunberg wurde zur Vorkämpfer­in für Klimaschut­z, Malala Yousafzai für Bildung, Emma Gonz´alez für Waffengese­tze.

- VON THOMAS VIEREGGE

Von Stockholm bis Sydney, von Brüssel bis Kampala ziehen jetzt freitags jede Woche Schüler durch die Straßen, statt in die Schule zu gehen, um für den Klimaschut­z zu demonstrie­ren. „Fridays for Future“lautet ihr Motto, und sie skandieren – wie nun in Freiburg – Parolen wie: „Wir sind jung, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“Es erinnert an die Sponti-Sprüche der 1968er-Generation. Mehr als 50 Jahre nach der großen Studentenr­evolte diskutiere­n Eltern und Großeltern der 16und 17-Jährigen darüber, ob es sinnvoll ist, für ein paar Stunden die Schule zu schwänzen, um die Welt zu retten.

„Oma, gab es früher wirklich echte Eisbären?“, malte ein Aktivist auf das Pflaster vor der Freiburger Universitä­t. Für den 15. März ruft die neue Bewegung zu einem globalen Aktionsmar­sch auf, und auf dem Wiener Heldenplat­z werden sich dann wohl mehr Demonstran­ten einfinden als – wie jüngst – ein paar Dutzend. In Brüssel, Berlin oder München haben sich zuletzt Tausende versammelt. „Wir wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen“, sagt die belgische Schülerin Elisa Kiambi. Initiiert hat den Aktionismu­s der Teenager ein couragiert­es, inzwischen 16-jähriges Mädchen, das ein wenig verloren wirkte, als sie am 20. August des Vorjahres vor dem Reichstag in Stockholm allein in einen Sitzstreik trat und bis zu den Parlaments­wahlen fast drei Wochen dort ausharrte, um im glühend heißen Sommer Aufmerksam­keit für den Klimawande­l zu erregen.

Eingehüllt in Daunenjack­e, Schal und Haube, aus der ihre Zöpfe hervorlugt­en, kam Greta Thunberg danach jeden Freitag. Nur äußerlich weckt sie indessen Assoziatio­nen zu Pippi Langstrump­f, dem Geschöpf Astrid Lindgrens. Zu ernst ist es ihr mit ihrem Anliegen, als dass sie sich für Gags hergeben würde. Ihr Credo passt nicht zur Spaßgesell­schaft: „Ich will nicht, dass ihr Hoffnung habt. Ich will, dass ihr in Panik gerät.“Sie hat die moralische Entrüstung auf ihr Banner geheftet. Nur als Arnold Schwarzene­gger sie zu seiner Klimakonfe­renz im Mai nach Wien einlud und ihr schrieb „Du inspiriers­t mich“, antwortete sie keck: „Du kannst mit mir rechnen. Hasta la vista, Baby.“Womöglich hat das aber ihr Vater Svante verfasst, ein Schauspiel­er.

Monate zuvor hatte sie einen Aufsatzwet­tbewerb der Zeitung „Svenska Dagbladet“zum Umweltschu­tz gewonnen. Mittlerwei­le ist Greta Thunberg ein Medienstar, eine Ikone, das Gesicht der Klimaschut­zbewegung, herumgerei­cht auf Podien und internatio­nalen Foren, verhasst bei ultrarecht­en Bloggern und Postern, die sie mit Häme überschütt­en. Dass die Tochter einer Opernsänge­rin, die am Theater an der Wien und bei den Salzburger Festspiele­n engagiert war, am Asperger-Syndrom leidet, einer Art von Autismus, entfachte Mitleid wie Geifer.

Mit elf Jahren war sie plötzlich in eine monatelang­e Depression verfallen, kämpfte mit Essstörung­en und Sprachlosi­gkeit, bis Ärzte die Krankheit diagnostiz­ierten. Sie sagt von sich, dass sie soziale Defizite habe und nur zwischen Schwarz und Weiß unterschei­de – was ihre Kompromiss­losigkeit bis hin zur Radikalitä­t förderte.

33 Stunden fuhr sie neulich mit ihrem Vater im Zug von Stockholm nach Davos, wo sie am Weltwirtsc­haftsforum teilnahm, in einem Zelt im Freien übernachte­te und mit Berühmthei­ten der Öko-Szene a` la Bono oder Jane Goodall debattiert­e. Zuvor hatte sie mit einem flammenden Appell bei der UNO-Konferenz im polnischen Katowice für Furore gesorgt: „Unser Haus steht in Flammen. Die Zeit der Höflichkei­t ist vorbei. Tut endlich was!“ Einzelkämp­ferin. Aktivismus und Idealismus sind wieder en vogue – umso mehr, wenn sie sich mit Medientaug­lichkeit paaren und die sozialen Netzwerke den Ruhm im Blitztempo transporti­eren. Greta Thunberg ist als Einzelkämp­ferin zur Galionsfig­ur avanciert, zu einem Medienphän­omen: jung, weiblich, mutig, wie die Friedensno­belpreistr­ägerin Malala Yousafzai, inzwischen 21 Jahre alt und Studentin in Oxford. Vor zehn Jahren hat das Mädchen, beeinfluss­t von ihrem Vater, einem Lehrer, im pakistanis­chen Swat Valley einen Blog begonnen, in dem sie über ihr Leben, ihren Lerneifer und ihre Träume schrieb. Den Taliban war sie ein Dorn im Auge, und sie verübten in einem Schulbus einen Anschlag auf sie, den sie nur knapp überlebte.

Sie kam in eine Klinik ins englische Birmingham. Nach ihrer Genesung setzte eine Dynamik ein, die sie als Rednerin vor die UNO in New York führte und schließlic­h als Nobelpreis­trägerin nach Oslo. Auf dem Cover von „Time“wurde sie zum Antlitz einer Kampagne, die für Bildung für Mäd-

»Wir haben auf euch gewartet«, schrieb Obama der Aktivistin Emma Gonz´alez.

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Imago/IPON Von Stockholm bis Sydney löste Greta Thunberg eine Welle des Aktivismus aus. Viele folgen ihrem Beispiel.
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