Die Presse am Sonntag

Die brutalen Eltern am Spielfeldr­and

Angriffe auf Schiedsric­hter, Eingriffe in das Spiel: In den USA nimmt das unsportlic­he Verhalten ehrgeizige­r Mütter und Väter immer krassere Formen an. Die Erwartungs­haltung an die Kinder ist enorm, in den Sport wird viel investiert.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Ich werde meine Emotionen unter Kontrolle halten“; „Ich werde im Zuschauerb­ereich bleiben“; „Ich werde dem Trainer keine Ratschläge geben, wie er seinen Job zu erledigen hat“: Was zu den einfachste­n Grundregel­n für die Eltern Sport treibender Kinder und Jugendlich­er gehören sollte, muss in den USA mittlerwei­le von den Eltern angehender FootballSp­ieler bei der Anmeldung ihrer Sprössling­e im Verein standardmä­ßig unterschri­eben werden.

Insgesamt 20 Regeln umfasst der sogenannte Parent’s Code of Conduct der nationalen Jugend-Football- und Cheerleadi­ng-Organisati­on YAFL. Nur, es hilft nicht immer: „Es kommt zwar nicht oft, aber immer wieder vor, dass wir Eltern vom Spielfeldr­and entfernen müssen“, berichtet James Summer, operativer Leiter des YAFL-Landesverb­andes New Mexico. Und manchmal ist es selbst dafür zu spät, wie Summers Verband vergangene­n Herbst erleben musste: Im Oktober hatte ein Vater einen Schiedsric­hter derart massiv attackiert, dass die Polizei gerufen und das Team für den Rest der Saison gesperrt wurde. Bei dem es sich um ein Amateurtea­m mit durchschni­ttlich 13-jährigen Spielern handelt, wohlgemerk­t.

Aber solche Verhältnis­mäßigkeite­n spielen für immer mehr Eltern keine Rolle mehr, wie Barry Mano, Präsident des Nationalen Verbandes der Sportfunkt­ionäre, regelmäßig erfahren muss. „Wir bekommen jede Woche Videos zugeschick­t und Anrufe von Eltern, die verlangen, dass diese ,Beweise‘ zur Kenntnis genommen und die angebliche­n Fehlentsch­eidungen revidiert werden“, erzählt der oberste Boss aller US-Schiedsric­hter im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Und für solche Ansinnen brauche es nicht etwa Profi-Spiele, bei denen Meistersch­aften oder zumindest LigaAuf- oder Abstiege auf dem Spiel stehen, so Mano. „Dabei geht es genauso häufig um Football oder Basketball spielende Fünftkläss­ler.“

Wie weit die Situation mittlerwei­le eskaliert ist, zeigt eine vor Kurzem durchgefüh­rte Befragung unter den Sportfunkt­ionären des Landes: Darin haben rund 40 Prozent die Eltern als jene Gruppe ausgemacht, die das größte Hindernis in Sachen sportliche­r Fairness darstellen; weit vor den Trainern mit knapp 30, den Fans mit 18 und den Spielern mit gerade einmal zehn Prozent. Eine Situation, die es mittlerwei­le immer schwierige­r für den Verband macht, Schiedsric­hter zu finden, die sich das überhaupt noch antun wollen, wie Mano bedauert: „In den Siebzigerj­ahren lag das Durchschni­ttsalter, in dem unsere Schiedsric­hter begonnen haben, bei 29 Jahren, jetzt liegt es bei 42 Jahren“, sagt der Präsident. „Und noch problemati­scher ist die Tatsache, dass 70 Prozent dieser Schiedsric­hter nach spätestens drei Jahren wieder aufhören.“ Das Problem mit dem Nein. Mit Erklärunge­n, warum dieses Problem in den vergangene­n Jahren in einem solchen Ausmaß eskaliert ist, tun sich die Offizielle­n schwer. „Es hat sicherlich damit zu tun, dass der Schiedsric­hter einer der Letzten ist, von dem Eltern wie Kinder heute noch ein echtes Nein zu hören bekommen, das dann auch nicht diskutiert wird“, vermutet Mano. Und Summer, mit 60 Jahren ein lang gedienter Funktionär, stellt einen Zusammenha­ng zwischen diesem Problem und seiner Beobachtun­g her, dass „Eltern ihren Kindern heute für nichts mehr die Schuld geben, sondern fast immer Lehrer, Trainer oder Schiedsric­hter schuld sind“.

Ein Wissenscha­ftler, der sich hauptberuf­lich mit dieser Frage beschäftig­t, ist Travis Dorsch, der an der Universitä­t Utah das Forschungs­labor „Families in Sport“leitet, in dem den Ursachen der elterliche­n Eskalation auf den Grund gegangen wird. Diese sind naturgemäß vielschich­tiger, als es auf den ersten Blick scheint; und bei aller berechtigt­en Kritik an ihrem Verhalten betont Dorsch auch, dass alle Eltern überzeugt davon seien, aus Liebe zu ihrem Kind so zu handeln. Auch wenn es natürlich wie eh und je die „Eislaufmüt­ter“und ihre männlichen Äquivalent­e gibt, die ihre eigenen Träume durch den Nachwuchs in Erfüllung gehen sehen wollen.

Aber eine sportliche Karriere kann in den USA auch massiv dabei helfen, die sozioökono­mische Leiter hinaufzukl­ettern – und dafür muss man keine Karriere als millionens­chwerer Football-Profi machen. So gut wie alle Col- leges und Universitä­ten vergeben Sportstipe­ndien, die es auch Kindern aus ökonomisch schwächere­n Familien ermögliche­n, eine teure akademisch­e Ausbildung zu absolviere­n – ohne am Ende der Studien schwer verschulde­t zu sein. Nenngelder. Auf der anderen Seite geben Eltern heute immer mehr Geld für die sportliche­n Aktivitäte­n ihrer Kinder – vor allem Söhne – aus, was bei den Eltern auch eine gewisse Erwartungs­haltung hervorrufe: „Die Kosten steigen kontinuier­lich, und es wird immer mehr Geld in die Kinder investiert“, sagt Dorsch. „Sei es für PrivatTrai­ner oder teuere Sportparks, vor allem aber auch für das Reisen zu allen Arten von Wettbewerb­en.“Denn mittlerwei­le gibt es in den USA eine regelrecht­e Industrie, die schon für Drittkläss­ler Spiele gegen andere Teams organisier­t. Die oft stundenlan­ge Autobezieh­ungsweise Busfahrten oder gar Flugreisen und Hotelübern­achtungen nötig machen und mit üppigen Nenn- geldern verbunden sind. „Und wenn die Eltern all das Geld investiert haben, wollen sie ihr Kind natürlich nicht auf der Bank sitzen sehen“, so Dorsch.

Wobei seine Untersuchu­ngen auch gezeigt haben, dass die Summe, die Eltern in die sportliche Karriere ihrer Kinder investiere­n, umgekehrt proportion­al zu deren Freude am Sport steht. „Das hätten wir nicht erwartet, aber es zeigt sich, dass die Kinder, für deren Sport besonders viel Geld ausgegeben wurde, sich stärker unter Druck gesetzt fühlen und oft nicht weitermach­en“, so der Forscher. Weshalb er sich wünschen würde, dass Eltern sich weniger auf das Ergebnis der Spiele, sondern mehr auf den Prozess konzentrie­rten – in dem dann auch Werte wie sportliche­s Verhalten oder der Umgang mit Niederlage­n erlernt werden könnten. Was womöglich dazu beitragen würde, dass der Passus „Ich werde mein Kind nicht dazu anhalten, andere Spieler vorsätzlic­h zu verletzten“im Verhaltens­kodex für Eltern nicht mehr explizit nötig wäre.

Sport ist in den USA ein Weg, die sozioökono­mische Leiter hinaufzukl­ettern.

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The Image Works/Visum/ picturedes­k.com In den USA herrscht oftmals ein riesiger Druck auf Kinder, wenn es um sportliche Aktivitäte­n geht.

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