Die Presse am Sonntag

Nicht ganz von dieser Welt – oder doch?

Ihn umgAb ein Nimbus wie keinen sonst: Der SchAuspiel­er Bruno Ganz, ein großer Poet, ein Meister der SprAche, ein Publikumsl­iebling und ein Weggefährt­e der wilden 1968er-TheAter-Revolution­äre, stArb mit 77 JAhren in Zürich.

- VON BARBARA PETSCH

Ein Mann blickt im Feuerschei­n auf eine vornehme Dame herab. Er sieht aus wie ein Kavalier, und trotzdem hat er sie vergewalti­gt: 1976 spielte Bruno Ganz den russischen Grafen in E´ric Rohmers Verfilmung von Kleists Novelle „Die Marquise von O.“. Am Theater war der gebürtige Schweizer damals bereits ein Star. Er hatte Hamlet, Macbeth und das Scheusal Franz Moor in Schillers „Die Räuber“gespielt. Inmitten der rauen 1968er-Revolution im Theater, die alles Feine austrieb, blieb Ganz auf seinem Podest. Er beherrscht­e den hohen Ton. Er stand für die leise Poesie, sein Spiel war edel. Und doch hat er oft gefährlich­e, abgründige Charaktere verkörpert, etwa Adolf Hitler in seinen letzten Tagen im Bunker („Der Untergang“). Eine Prise Süden. Ganz wurde 1941 in Zürich geboren, seine Mutter war Italieneri­n, der Vater ein Schweizer Fabriksarb­eiter. In Deutschlan­d traf er früh auf einen wichtigen Förderer der damaligen junge Wilden, Kurt Hübner. In den 1960er-Jahren gewann er mit Peter Zadek und Peter Stein zwei Pioniere der Reform für sich. Ganz wurde zum bekennende­n Linken. Mit Stein arbeitete Ganz Jahrzehnte zusammen. Er prägte dessen Berliner Schaubühne mit und fand dort neue herausford­ernde Regisseure wie Claus Peymann, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy oder Dieter Dorn. Mit Peter Handke und Wim Wenders war Ganz befreundet. In Wenders’ Fantasy-Drama „Der Himmel über Berlin“war Ganz als Engel zu sehen. 1972 spielte er in Peymanns Re- gie bei den Salzburger Festspiele­n in der Uraufführu­ng von Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“den manischen Pathologen.

Am Burgtheate­r debütierte Ganz erst 2003. In Grübers Regie war er der greise Ödipus auf Kolonos, in einem desolaten Griechenla­nd abseits jeder Insel-Idylle (Bühne: Anselm Kiefer). Bei der Erinnerung an manche Aufführung­en taucht noch nach Jahren als Erstes das Gesicht von Bruno Ganz auf, auch wenn man die Stücke oft gesehen hat: Ganz als Torquato Tasso, als ent- geisterter Prinz von Homburg (Regie: Peter Stein) oder als Protagonis­t in Steins „Faust“-Marathon, der auch in Wien zu erleben war. In „Ithaka“von Botho Strauß spielte Ganz den Odysseus, in Salzburg sah man ihn als Prometheus an die Felsenreit­schule geschmiede­t. Ob Ganz toll oder weniger überzeugen­d war, die Aufführung begeistert­e oder weniger, der Nimbus dieses Künstlers blieb unangetast­et. In einer Zeit, da Schauspiel­er immer schneller dem Gedächtnis entschwind­en, ist es kaum noch vorstellba­r, dass jemand so lang und glühend verehrt wird wie Ganz. Dabei hatte der Künstler ein schweres Schicksal, Jahre kämpfte er gegen den Alkoholism­us, den er besiegte, sein Sohn erblindete mit vier Jahren. Als junger Mann beherrscht­e Ganz das Krasse, Böse. Die größte Begeisteru­ng aber weckte er als der milde Gute. Mit der gleichen Selbstvers­tändlichke­it, die ihn das Schauspiel erobern ließ, etablierte sich dieser charismati­sche Spieler beim Film. In „Brot und Tulpen“von Silvio Soldini sieht man Ganz, wie er sich gerade einen Strick um den Hals legt, um sich umzubringe­n, als eine schöne Frau an seiner Tür läutet. Surreale Szenarien waren seine Domäne. Geliebt von Generation­en. Alte und Junge liebten ihn, etwa als Schwyzerdü­tsch sprechende­n Opa in „Heidi“oder als weisen Tröster in der Verfilmung der Biografie des Journalist­en Tiziano Terzani („Das Ende ist mein Anfang“). „Der Tod ist wirklich das einzig Neue, was mir noch passieren kann“, sagt Ganz hier als Terzani. Wie wahr.

Die Geschichte des Theaters und des Films hat Ganz in einer wichtigen Epoche nach allen Richtungen abgeschrit­ten. Die Rolle des Großvaters in Mozarts „Zauberflöt­e“bei den Salzburger Festspiele­n musste er 2018 absagen, Klaus Maria Brandauer sprang ein. 77-jährig ist Ganz nun in Zürich gestorben. Er wirkte immer ein wenig wie nicht von dieser Welt. Und doch stand er mit beiden Beinen auf der Bühne, in seiner Kunst, ein gewissenha­fter Arbeiter und ein Fantast.

 ?? Reuters ?? Er konnte Auch heiter sein: Bruno GAnz 2015 beim Filmfestiv­Al in Venedig.
Reuters Er konnte Auch heiter sein: Bruno GAnz 2015 beim Filmfestiv­Al in Venedig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria