Anatomie eines gescheiterten Umsturzes
Viel wird in Venezuela über die erfolglose »Operation Freiheit« spekuliert – und darüber, welche Rolle die USA und Russland dabei hatten.
Während die Außenwelt über die Hintergründe des gescheiterten Umsturzversuchs am 30. April spekuliert, hat Venezuelas Justiz die Aufarbeitung begonnen. Generalstaatsanwalt Tarek William Saab stellte 18 Haftbefehle aus. Der höchstrangige inkriminierte Militär ist ein Oberstleutnant, der bekannteste Zivilist ist der am Dienstagmorgen aus seinem Hausarrest befreite Oppositionsführer Leopoldo Lopez,´ seit Dienstagabend in Spaniens Botschaft geflüchtet.
Der oberste Strafverfolger drohte, es könnten noch weitere Haftbefehle folgen, „denn die bereits Verhafteten haben viele Namen genannt“. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch und Amnesty International werfen den venezolanischen Behörden den Einsatz von systematischer Folter vor. Die unter kubanische Kontrolle stehende Militärjustiz gilt als besonders grausam, was für das Regime einen doppelten Nutzen bringt: Informationen und Terror unter einer Truppe, deren niedrige Dienstgrade ebenso hungern wie die restliche Bevölkerung. Die Pfründe aus den legalen, halblegalen und illegalen Geschäften der Streitkräfte streichen allein deren Führer ein.
Am Dienstagabend, nachdem die „Operation Freiheit“niedergeschlagen worden war, kündigte Machthaber Nicolas´ Maduro „Strafe für alle Verräter“an. Es ist vor allem die Angst vor den brutalen Repressalien, die mittlere und niedrige Dienstgrade von einem Bekenntnis zu Guaido´ abhält. Das erklärt einen Teil des Scheiterns von dessen Operation. Aber über die anderen, tiefer liegenden Gründe kursieren wilde Spekulationen. Diese begann noch am Dienstag John Bolton, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten. Er gab – im krassen Kontrast zu allen üblichen diplomatischen Usancen – das Staatsgeheimnis preis, dass Guaido´ und die USA in monatelangen Geheimgesprächen mit drei zentralen Figuren des Regimes Maduros Absetzung am 1. Mai vereinbart hatten. Doch der Verteidigungsminister, der Präsident des Höchstgerichtes und der Chef der Leibgarde hätten kurz vor dem Stichtag die Kommunikation gekappt. Kurz darauf legte US-Außenminister Mike Pompeo nach und erklärte via CNN, ein aus Russland geschicktes Fluchtflugzeug für Maduro habe bereitgestanden, aber ein Anruf des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, hätte die Aktion gestoppt.
Padrino-Deal. Während Lopez´ und seine Familie ins Botschaftsexil flüchteten, erfuhren argentinische Medien, dass die gesamte Aktion überstürzt auf den 30. April vorverlegt werden musste. Denn der kubanische Auslandsgeheimdienst G2, der nach Aussagen von Überläufern das Telefonnetz in Venezuela systematisch überwacht, habe Teile der Kommunikation mit dem Verteidigungsminister Vladimir Padrino mitgehört. Sowohl Guaido´ als auch Lopez´ habe die Verhaftung gedroht.
Am Donnerstag schließlich brachte der in weiten Teilen Lateinamerikas populäre peruanische TV-Journalist Jaime Bayly eine ausführliche Version. Im US-Latino-Sender Mega-TV erklärte Bayly, der Verteidigungsminister Padrino hätte zugesagt, sich mit Guaido´ auf dem Luftwaffenstützpunkt La Carlota im Osten von Caracas zu treffen und von dort aus das Land von der Absetzung Maduros in Kenntnis zu setzen. Aber als Guaido´ schließlich verfrüht an der Airbase auftauchte, war von Padrino nichts zu sehen. Der Journalist Bayly, seit Jahren ein Sprachrohr der Castro- und Maduro-Hasser in Miami, behauptet, Padrino habe zuletzt von den Amerikanern gefordert, dass sie ihn und nicht Guaido´ als Übergangspräsidenten einsetzen sollten. Die USA hätten im Vorfeld Padrino Straffreiheit zugesichert, aber mit seiner Forderung habe der Militärführer den Bogen überspannt. Nach dem „impossible“aus Washington sei die Verbindung abgebrochen. Punta Cana. Bayly zeigte Fotos eines enormen Anwesens in einem Ressort nahe Punta Cana in der Dominikanischen Republik. In diese „tropische Datscha“habe Maduro fliehen wollen. Sie gehöre einem zwielichtigen venezolanischen Geschäftsmann. Die Maschine aus Moskau habe Maduros Ehefrau Cilia Flores nach Punta Cana gebracht. Tatsächlich ist die sonst zumeist an der Seite ihres Mannes auftretende Ex-Parlamentspräsidentin seit Dienstag nicht mehr in Caracas zu sehen gewesen. Ob Baylys Angaben dennoch stimmen? Sicher ist, dass Donald Trump und Wladimir Putin am Freitag mehr als eine Stunde telefoniert haben – und es dabei auch um Venezuela gegangen ist. Am Montag treffen sich die Außenminister beider Länder am Rande des ArktikGipfels im nordfinnischen Rovaniemi.