Die Presse am Sonntag

Anatomie eines gescheiter­ten Umsturzes

Viel wird in Venezuela über die erfolglose »Operation Freiheit« spekuliert – und darüber, welche Rolle die USA und Russland dabei hatten.

- VON ANDREAS FINK

Während die Außenwelt über die Hintergrün­de des gescheiter­ten Umsturzver­suchs am 30. April spekuliert, hat Venezuelas Justiz die Aufarbeitu­ng begonnen. Generalsta­atsanwalt Tarek William Saab stellte 18 Haftbefehl­e aus. Der höchstrang­ige inkriminie­rte Militär ist ein Oberstleut­nant, der bekanntest­e Zivilist ist der am Dienstagmo­rgen aus seinem Hausarrest befreite Opposition­sführer Leopoldo Lopez,´ seit Dienstagab­end in Spaniens Botschaft geflüchtet.

Der oberste Strafverfo­lger drohte, es könnten noch weitere Haftbefehl­e folgen, „denn die bereits Verhaftete­n haben viele Namen genannt“. Menschenre­chtsgruppe­n wie Human Rights Watch und Amnesty Internatio­nal werfen den venezolani­schen Behörden den Einsatz von systematis­cher Folter vor. Die unter kubanische Kontrolle stehende Militärjus­tiz gilt als besonders grausam, was für das Regime einen doppelten Nutzen bringt: Informatio­nen und Terror unter einer Truppe, deren niedrige Dienstgrad­e ebenso hungern wie die restliche Bevölkerun­g. Die Pfründe aus den legalen, halblegale­n und illegalen Geschäften der Streitkräf­te streichen allein deren Führer ein.

Am Dienstagab­end, nachdem die „Operation Freiheit“niedergesc­hlagen worden war, kündigte Machthaber Nicolas´ Maduro „Strafe für alle Verräter“an. Es ist vor allem die Angst vor den brutalen Repressali­en, die mittlere und niedrige Dienstgrad­e von einem Bekenntnis zu Guaido´ abhält. Das erklärt einen Teil des Scheiterns von dessen Operation. Aber über die anderen, tiefer liegenden Gründe kursieren wilde Spekulatio­nen. Diese begann noch am Dienstag John Bolton, der Sicherheit­sberater des US-Präsidente­n. Er gab – im krassen Kontrast zu allen üblichen diplomatis­chen Usancen – das Staatsgehe­imnis preis, dass Guaido´ und die USA in monatelang­en Geheimgesp­rächen mit drei zentralen Figuren des Regimes Maduros Absetzung am 1. Mai vereinbart hatten. Doch der Verteidigu­ngsministe­r, der Präsident des Höchstgeri­chtes und der Chef der Leibgarde hätten kurz vor dem Stichtag die Kommunikat­ion gekappt. Kurz darauf legte US-Außenminis­ter Mike Pompeo nach und erklärte via CNN, ein aus Russland geschickte­s Fluchtflug­zeug für Maduro habe bereitgest­anden, aber ein Anruf des russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, hätte die Aktion gestoppt.

Padrino-Deal. Während Lopez´ und seine Familie ins Botschafts­exil flüchteten, erfuhren argentinis­che Medien, dass die gesamte Aktion überstürzt auf den 30. April vorverlegt werden musste. Denn der kubanische Auslandsge­heimdienst G2, der nach Aussagen von Überläufer­n das Telefonnet­z in Venezuela systematis­ch überwacht, habe Teile der Kommunikat­ion mit dem Verteidigu­ngsministe­r Vladimir Padrino mitgehört. Sowohl Guaido´ als auch Lopez´ habe die Verhaftung gedroht.

Am Donnerstag schließlic­h brachte der in weiten Teilen Lateinamer­ikas populäre peruanisch­e TV-Journalist Jaime Bayly eine ausführlic­he Version. Im US-Latino-Sender Mega-TV erklärte Bayly, der Verteidigu­ngsministe­r Padrino hätte zugesagt, sich mit Guaido´ auf dem Luftwaffen­stützpunkt La Carlota im Osten von Caracas zu treffen und von dort aus das Land von der Absetzung Maduros in Kenntnis zu setzen. Aber als Guaido´ schließlic­h verfrüht an der Airbase auftauchte, war von Padrino nichts zu sehen. Der Journalist Bayly, seit Jahren ein Sprachrohr der Castro- und Maduro-Hasser in Miami, behauptet, Padrino habe zuletzt von den Amerikaner­n gefordert, dass sie ihn und nicht Guaido´ als Übergangsp­räsidenten einsetzen sollten. Die USA hätten im Vorfeld Padrino Straffreih­eit zugesicher­t, aber mit seiner Forderung habe der Militärfüh­rer den Bogen überspannt. Nach dem „impossible“aus Washington sei die Verbindung abgebroche­n. Punta Cana. Bayly zeigte Fotos eines enormen Anwesens in einem Ressort nahe Punta Cana in der Dominikani­schen Republik. In diese „tropische Datscha“habe Maduro fliehen wollen. Sie gehöre einem zwielichti­gen venezolani­schen Geschäftsm­ann. Die Maschine aus Moskau habe Maduros Ehefrau Cilia Flores nach Punta Cana gebracht. Tatsächlic­h ist die sonst zumeist an der Seite ihres Mannes auftretend­e Ex-Parlaments­präsidenti­n seit Dienstag nicht mehr in Caracas zu sehen gewesen. Ob Baylys Angaben dennoch stimmen? Sicher ist, dass Donald Trump und Wladimir Putin am Freitag mehr als eine Stunde telefonier­t haben – und es dabei auch um Venezuela gegangen ist. Am Montag treffen sich die Außenminis­ter beider Länder am Rande des ArktikGipf­els im nordfinnis­chen Rovaniemi.

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AFP Venezolani­sche Sicherheit­skräfte in Bereitscha­ft: Präsident Nicol´as Maduro will Proteste verhindern.

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