Die Presse am Sonntag

»China strebt keine Vorherrsch­aft an wie die USA«

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Das glaube ich nicht. Es wäre Selbstmord, niemand hat ein Interesse daran. Indien wählt derzeit ein neues Parlament (bis zum 23. Mai, Anm.). Es fallen also harte Worte. Aber im Grunde ist jedem klar, dass es sich um Wahlkampfr­hetorik handelt. Sogar Pakistan weiß das. Neu ist allerdings, dass die Pakistan-Beziehung im Zentrum des Wahlkampfs steht. Das ist so gut wie nie zuvor geschehen, nicht einmal nach den Anschlägen in Mumbai 2009. Wenn zwischen Innen- und Außenpolit­ik die Grenzen verwischen, wird es gefährlich. Wie sehr prägt der Hindu-Nationalis­mus die Politik von Premier Narendra Modi? In der Außenpolit­ik setzte Modi auf Kontinuitä­t – sein Verhältnis zu den USA, China, aber auch zu Pakistan unterschei­det sich kaum von dem seiner Vorgänger. Bei Pakistan experiment­iert er vielleicht ein wenig: 2015 noch lud er (Ex-Premier) Nawaz Sharif zu seiner Angelobung ein – und jetzt redet er über Krieg. Das Pendel wird wohl langfristi­g in der Mitte zum Stillstand kommen. Anders ist es in der Innenpolit­ik: Hier setzt er deutliche national-hinduistis­che Akzente. Kommt es zu antimuslim­ischen Ausschreit­ungen, reagiert er zurückhalt­end, aber er verurteilt sie nicht. Hinduismus soll zur Basis des indischen Nationalis­mus werden, dieses Prinzip steht im Gegensatz zum allumfasse­nden Nationalis­mus der Kongresspa­rtei. Die Beziehunge­n zu Pakistan werden noch komplizier­ter, die Trennlinie zwischen Innen- und Außenpolit­ik verschwind­et. Es geht nun um Gefühle, um Perzeption. Nicht mehr um Ergebnisse. Denn es stellt sich die Frage: Wer sind Indiens Muslime? Gehören sie irgendwie zu Pakistan? China baut die Präsenz in Indiens Nachbarsch­aft aus: Bedroht das Indiens Interessen? Bisher ging es China um seine wirtschaft­lichen Interessen. Der Einfluss wird zunehmend politisch, doch der Prozess hat gerade begonnen. Wir befinden uns zwischen Weltordnun­gen, in welche Richtung es geht, ist unklar. Dass China die USA als Hegemonial­macht ersetzen will, halte ich für einen falschen Mythos. Ich glaube zwar, dass China eine Art von Vorherrsch­aft anstrebt, doch nicht wie die USA, die sich etwa als Garant für ein offenes Handelsund Finanzsyst­em sehen. China ist weder fähig noch willig dazu. Seine Ziele sind einfacher, merkantili­stischer. China hat eine Militärbas­is in Pakistan und investiert massiv in Sri Lanka und Nepal. Man muss das pragmatisc­h sehen: Ja, Chinas Militärprä­senz in Pakistan macht uns Sorgen, und das müssen wir auch so formuliere­n. Doch Sri Lanka und Nepal darf man nicht unterschät­zen, sie haben einen starken Unabhängig­keitswille­n, das sollten wir unterstütz­en. Sonst – wenn China expandiert, wünschen wir ihm viel Glück. Wenn China Geld in Sri Lanka ausgibt, freuen wir uns für Sri Lanka. Nicht alles, was China macht, ist gut, nicht alles, was es macht, ist schlecht. Aber: Seine starke Präsenz ist Teil unserer Realität, danach müssen wir uns richten. Die jüngsten Spannungen an der sino-indischen Grenze im Himalaja liegen erst zwei Jahre zurück. Wie brisant ist der Konflikt? Es ist eine unserer friedlichs­ten Grenzen. Die letzte Schießerei fand 1975 statt, 2017 war Theaterdon­ner. Wir halten uns an einen präzisen Verhaltens­kodex, das funktionie­rt seit 40 Jahren. Indien war nicht beim Belt and Road Forum in Shanghai vertreten. Teile der Seidenstra­ße sind auf Territorie­n gebaut, die Pakistan von Indien besetzt hat, insofern sollten wir unsere Haltung nicht ändern. Dies wird unsere Beziehung zu China nicht trüben. Außerdem: Die Seidenstra­ße und China verändern sich gerade. Warten wir ab. Ist die Seidenstra­ße ein politische­s Projekt? Ich glaube nicht, dass es von Beginn an ein „Seidenstra­ßenprojekt“gab. Es ist wohl Stück für Stück gewachsen, irgendwann nannte man es Belt and Road. Manche Teilstreck­en – vor allem die maritimen – sind sinnvoll. Andere nicht, sie wirken eher wie Geldversch­wendung. Ich glaube, dass man dies in China auch so diskutiert. Xi Jinping hat beim Forum auffallend klar über Transparen­z und Offenheit geredet, ein Zeichen, dass er auf Kritiker reagiert. Wie soll sich Indien Ihrer Meinung nach künftig als Regionalma­cht positionie­ren? Wir sind groß, einzigarti­g, in einer besonderer­en geografisc­hen Lage: Südasien ist die am schnellste­n wachsende Region der Welt. Indiens Wirtschaft trägt die Nachbarn mit. Vor allem aber müssen wir unsere Autonomie schützen, uns nicht in Streiterei­en einmischen. Bei einer Krise zwischen Washington und Peking sollten wir nicht gleich Position ergreifen. Shivshanka­r Menon (69) war indischer Außenstaat­ssekretär und Sicherheit­sberater von Premier Singh (2004–2014). Er war auf Einladung des Instituts für die Wissenscha­ft vom Menschen (IWM) in Wien.

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Clemens Fabry Menon geht nicht davon aus, dass die Krise in Kaschmir eskalieren wird.
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