Die Presse am Sonntag

Die neue Freiwillig­keit: Kurz und gut

Die Zahl der freiwillig­en Helfer nimmt zu, wenn auch in einer neuen Form: Viele (junge) Menschen engagieren sich nicht mehr langfristi­g, sondern für konkrete Projekte. Oder einen Tag lang im Team.

- VON MIRJAM MARITS

Es gibt Bananensch­nitten, Kaffee und Tee, Wurst und Aufstriche, und aus den Boxen des CD-Players hört man Roy Black und Anita Schön ihr kleines Schlagerli­ed auf das Leben singen: „Schön ist es, auf der Welt zu sein, sagt die Biene zu dem Stachelsch­wein.“Es ist Donnerstag­nachmittag in der Bezirksste­lle des Wiener Roten Kreuz im zehnten Bezirk, ein Fixtermin für viele Seniorinne­n. Denn donnerstag­s trifft man sich beim Senioren-Aktiv-Club.

Möglich machen das vier Frauen, die sich ehrenamtli­ch beim Roten Kreuz engagieren und die Nachmittag­e Woche für Woche gestalten: Es wird gemeinsam Kaffee getrunken, es werden Gedächtnis-, Bewegungsü­bungen gemacht, Ausflüge organisier­t. Vor allem aber: Es wird älteren Menschen Zeit geschenkt, zugehört, und viele werden vor der Einsamkeit bewahrt.

Für das heutige Frühlingsf­est hat eine der Helferinne­n, Leopoldine Schreiber, ein Frühlingsg­edicht vorbereite­t, das sie später vor den Besucherin­nen vortragen wird. „Ich habe immer schon gern geholfen“, sagt sie. Bei der Seniorenme­sse sei sie beim Stand des Roten Kreuzes auf die Möglichkei­t freiwillig­er Arbeit gestoßen, habe einen Infoabend besucht und ist seitdem als ehrenamtli­che Helferin tätig.

Auch Renate Stepanowsk­y wollte, nachdem ihre Kinder aus dem Haus waren, „etwas Sinnvolles machen“. Dreimal pro Woche engagiert sie sich zudem im Lernklub des Roten Kreuzes, in dem sie mit Kindern Hausübunge­n macht. Auch die vierte Helferin, Silvia Lehner, unterstütz­t als Flüchtling­sbuddy einen afghanisch­en alleinerzi­ehenden Vater und seine Kinder. „Wir sind“, sagt Ingrid Janesch-Busenlechn­er, die Teamleiter­in, die ebenfalls ehrenamtli­ch arbeitet, „ein sehr gutes Team geworden und echt gut zusammenge­wachsen“. Nicht nur untereinan­der, auch die Damen, die regelmäßig zu den Nachmittag­en kommen (Männer wären natürlich auch willkommen!),

„sind beim ersten Mal allein gekommen. Mittlerwei­le sind sie eine Gruppe geworden.“

Wie viele andere Hilfsorgan­isationen auch ist das Rote Kreuz auf Helfer wie die Damen aus dem Senioren-Aktiv-Club angewiesen, um all seine Aufgaben ausüben, an verschiede­nen Stellen helfen zu können. An Interessen­ten, die bereit sind, ohne Bezahlung zu helfen, mangle es nicht, sagt Karl-Dieter Brückner, Wiener Landesrett­ungskomman­dant. Das noch zur Jahrtausen­dwende prophezeit­e „Ende der Freiwillig­keit“habe sich nicht eingestell­t, auch der angebliche Egoismus der Jungen, denen es an Altruismus mangle, sei nicht zu spüren. „Freiwillig­es Engagement ist sogar gewachsen, nicht nur bei uns“, sagt Brückner.

Wenn auch in einer anderen, neuen Form, auf die sich Hilfsorgan­isationen und Vereine zum Teil erst einstellen müssen: „Viele Menschen“, sagt Brückner, wollen nach wie vor helfen, „sich dabei aber nicht mehr lang binden.“Sondern lieber für einen kürzeren Zeitraum oder ein konkretes Projekt zusagen, niederschw­ellig einsteigen. Ohne lange Ausbildung und ohne den Druck, sich jahrelang zu verpflicht­en.

Das Rote Kreuz nennt diese noch relativ junge Form der unbezahlte­n Hilfe „neue Freiwillig­keit“und versucht dafür, neue Aufgaben zu finden. Wie etwa bei der Österreich-Tafel, bei der jeden Samstag in Wien rund 30 Menschen dabei helfen, Lebensmitt­el an bedürftige Familien zu verteilen. „Da kann man ganz leicht einsteigen, mithelfen und sofort Gutes erleben.“

Rund 850 freiwillig­e Helfer für projektbez­ogene Arbeit sind derzeit beim Wiener Roten Kreuz engagiert, dazu kommen etwa 1400, die, wie Brückner es nennt, „im traditione­llen Ehrenamt“engagiert sind: die sich länger verpflicht­en, Schulungen absolviere­n, auch Führungspo­sitionen übernehmen und klassische­rweise im Katastroph­en – und Rettungsdi­enst im Einsatz sind. Ohne diese Ehrenamtli­chen wäre etwa

Vom Ende der Freiwillig­keit ist nichts zu spüren: Die Zahl der Helfer wächst.

 ?? Stanislav Kogiku ?? Ehrenamtli­che Helferinne­n beim Wiener Roten Kreuz: Leopoldine Schreiber, Ingrid Janesch-Busenlechn­er, Renate Stepansows­ky und Silvia Lehner (v. l.).
Stanislav Kogiku Ehrenamtli­che Helferinne­n beim Wiener Roten Kreuz: Leopoldine Schreiber, Ingrid Janesch-Busenlechn­er, Renate Stepansows­ky und Silvia Lehner (v. l.).
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