»Die Matura ist vor allem ein Ritual«
Von gemeinsam schummelnden Lehrern und Schülern bis zu konsequenzlosen Noten: Schulentwicklerin Christa Koenne erzählt.
Die Schüler müssen mindestens zwölf Jahre lang beweisen, dass sie den Stoff beherrschen, um bis zur Reifeprüfung zu kommen. Weshalb braucht es dann noch eine Matura? Christa Koenne: Die Matura ist vor allem ein Ritual, eine Feier. Man entlässt die Jugendlichen in die Eigenverantwortung. Die Botschaft lautet: Du bist ab jetzt viel mehr für dich selbst zuständig, und kannst dich nicht mehr darauf verlassen, dass dich Eltern und Lehrer liebevoll an der Hand führen. Ist die Matura mehr ein symbolischer Akt als ein verlässlicher Nachweis des Wissens? Bei uns schon. Hier, in Österreich, hat die Matura einen großen symbolischen Wert. In Deutschland ist das anders. Dort haben Noten aufgrund des Numerus clausus Konsequenzen. Bei uns ist es hingegen so, dass sich die weiterführenden Institutionen, etwa die Universitäten, oft gar nicht auf die Zeugnisse verlassen, sondern selbst prüfen, wen sie aufnehmen. Die Maturanoten sind vergleichsweise konsequenzenlos. Sind Maturanoten also unerheblich? Das ist zu hart formuliert. Egal sind sie nicht. Die Noten wirken auf das Selbstwertgefühl. Bin ich gut oder nicht so gut? Das ist eine Botschaft, die man ins weitere Leben ja mitnimmt. Machen die vielen Aufnahmeverfahren an den Hochschulen die Matura nicht obsolet? Nicht als Ritual. Aber sehr wohl als Dokument darüber, was der Wert dessen ist, was ich da kann. Die Angst vor der Matura scheint – auch unter den Eltern – seit der Einführung der zentralen Reifeprüfung gewachsen zu sein. Teilen Sie diesen Befund? Die Eltern sind jetzt sicher nervöser. Das hat auch seine Richtigkeit. Weil sie selbst – so sie maturiert haben – eine andere Erfahrung gemacht haben. Sie wurden von ihren eigenen Lehrern geprüft, und auf die konnten sie sich mehr oder minder gut einstellen. Da wurde – in einer scharfen Formulierung würde ich sagen – gemeinsam immer wieder ein bisschen geschummelt. Wie meinen Sie das? Ich war 18 Jahre lang Maturavorsitzende. Fragen Sie nicht, was ich da erlebt habe. Wehe du fragst bei der mündlichen Matura irgendetwas nach. Da muss man als Vorsitzende sehr vorsichtig sein. Die Schüler wussten schon sehr gut, was sie gefragt werden. Wenn du die Kandidaten und die Lehrer nicht blamieren willst, bist du herausgefordert, dich zurückzunehmen. Nun werden die Fragen bei der mündlichen Matura gezogen. Da ist das ausgeschlossen.
Christa Koenne
war 18 Jahre lang Gymnasialdirektorin in Wien. Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Prüfungskultur und Schulentwicklung. Völlig natürlich nicht. Aber man kann sich nicht mehr so darauf vorbereiten. Ist die Zentralmatura ein Erfolgsprojekt? Ja, und zwar deshalb, weil es jene Beunruhigung ausgelöst hat, die wir dringend gebraucht haben. Es ist unter den Lehrern und in der Öffentlichkeit eine Debatte darüber, was wir prüfen sollen, entstanden. Ein solcher Diskurs über Bildungsziele ist dringend notwendig. Denn die sind in einem Ausmaß antiquiert, das einen erschrecken kann. Hat sich die Zentralmatura die richtigen Bildungsziele gesteckt? In den Fremdsprachen ja. In Deutsch sehe ich schon Defizite. In Mathematik haben wir die Debatte darüber, ob das Richtige geprüft wird, an die Experten der Mathematik delegiert, und denen kann es nie genug sein. Mir sind die Ansprüche nicht immer geheuer.