Die Presse am Sonntag

Südafrikas offene Wunde: Wem gehört das Land?

Die meisten kommerziel­len Farmen des Landes gehören den Weißen – noch immer, auch ein Vierteljah­rhundert nach dem Ende der Apartheid. Nun will die Politik Enteignung­en vorantreib­en. Vor den Wahlen am 8. Mai ist die öffentlich­e Debatte aufgeheizt wie kaum

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Es ist der Tag, an dem es sieben Jahre her ist. Bernadette Hall zieht an ihrer Zigarette, am Abend werden es 60 sein, trinkt einen Schluck Pulverkaff­ee, am Abend werden es über zwei Liter sein. Sie ist nach dem Aufstehen an dem Tisch im Flur vorbeigega­ngen, auf dem fein säuberlich die gerahmten Fotos ihres Mannes angeordnet sind. Sie hat nicht allzu lang hingeschau­t, trotz des Jahrestags. Die Vergangenh­eit soll in der Vergangenh­eit bleiben, sagt sie, sonst holt sie dich ein.

Links auf dem Flurtisch steht ein Bild ihrer Hochzeit im Jahr 1986. Dazu Aufnahmen vom Sohn, ein Regenbogen über der Farm. Familienid­yll. In der Mitte ein Porträtfot­o von David, breites Lächeln im unrasierte­n Gesicht, entstanden nur wenige Monate vor dem 20. Februar 2012, dem Tag, als ihn die tödlichen Schüsse trafen.

Es war schon am frühen Morgen ein heißer Tag damals in Fochville, einer kleinen Farmstadt 80 Kilometer südwestlic­h von Johannesbu­rg. Bernadette Hall sah die fünf Männer zuerst, sie trugen ihre Schusswaff­en offen. „David, sie haben Pistolen!“, rief sie. Er stieß sie in das Molkereige­bäude, rief, sie solle die Tür verbarrika­dieren. Dann stellte er sich den Männern in den Weg, schrie sie an, startete ein Handgemeng­e. Vom Verschlag aus sah Bernadette, wie ihr Mann blutend im Dreck kniete. Dann hörte sie den Schuss. Er lag da, bewegungsl­os. Tot.

Sekunden später hatten die Männer die Molkerei geöffnet, zerrten die Frau in das Farmhaus. „Wo ist der Safe?“, riefen sie, schlugen mit einem Stromkabel auf sie ein, durchwühlt­en den Safe, die Kleidersch­ränke. Sie nahmen die Kreditkart­en aus den Portemonna­ies. Am Ende fesselten sie die Frau und flohen mit ihrem Auto und 20 Rand – umgerechne­t nicht einmal zwei Euro.

Hall, 53, kann sich noch immer gut an den Tabakatem des einen Täters erinnern, die Falten im Gesicht des ältesten, den Dreck an ihren Händen. Ihre Kinder reden noch immer auf sie ein, sie solle die Farm verlassen. Doch Hall bleibt. Sie ist seit über 30 Jahren Farmerin, auch der gewaltsame Tod ihres Mannes hat daran nichts geändert. Sie wird es für den Rest ihres Lebens bleiben. Egal, was die Politiker derzeit sagen, kurz vor der Wahl am 8. Mai. Denn die politische Debatte in Südafrika ist aufgeheizt wie selten in der demokratis­chen Geschichte des Landes. Weiße Farmer wie Hall und ihr neuer Lebenspart­ner, Andre´ van den Berg, besitzen – so lässt die Regierung auf einer Informatio­nsseite im Internet verlautbar­en – 72 Prozent des auf private Eigentümer registrier­ten Agrarlande­s.

Wohl nicht ganz ohne politische Hintergeda­nken wird dabei verschwieg­en, dass sich zwei Drittel Südafrikas im Besitz von Firmen, Regierung, Kirchen und traditione­llen Autoritäte­n befinden. Doch die Ungleichve­rteilung ist unstrittig, schließlic­h stellen die Weißen nur acht Prozent der Bevölkerun­g. Tendenz sinkend.

Der African National Congress (ANC) will die Besitzverh­ältnisse nun mit radikalen Mitteln zugunsten der schwarzen Mehrheit im Land verändern. Am 21. Dezember wurde ein Gesetzentw­urf veröffentl­icht, der Landenteig­nungen erleichter­n soll – unter gewissen Umständen sogar ohne Entschädig­ung. Dazu zählen Umstände wie der Landbesitz „aus ausschließ­lich spekulativ­en Gründen“oder brachliege­nde Flächen. Es wäre die mit Abstand bedeutends­te Verfassung­sänderung in der demokratis­chen Geschichte Südafrikas. Zwei Drittel der Abgeordnet­en sind dafür nötig, in bisherigen Petitionen deutete sich an, dass die notwendige Mehrheit wohl zustande kommen wird.

So sollen endlich mehr schwarze Farmer in Lohn und Brot gebracht werden. Vor den ersten Wahlen nach Ende der Apartheid im Jahr 1994 hat der ANC versproche­n, innerhalb von fünf Jahren 30 Prozent des Farmlandes der Weißen aufzukaufe­n und an überwiegen­d mittellose Schwarze zu übergeben. Das Vorhaben, bei dem die Weltbank mitgewirkt hat, hat sich in dieser Kurzfristi­gkeit als utopisch erwiesen. Mehrfach wurde die Frist verschoben, doch auch jetzt, ein Vierteljah­rhundert später, sind es nur rund zehn Prozent, die übertragen wurden. Alles Lüge. Ortswechse­l. Diepsloot im Norden Johannesbu­rg, ein Township, in dem die Not selbst im Vergleich zu anderen Armenviert­eln Südafrikas enorm ist. Auf einem Plastikstu­hl sitzt Victor Mokgobi, 36, athletisch­er Körper, weit auseinande­r liegende Augen. Die Wut der gebrochene­n Verspreche­n hat sich in ihm lang angestaut. Zu lang.

Diese Wut muss raus. Vor 23 Jahren wurde seine Familie aus einem anderen Township hierher umgesiedel­t. Eine „temporäre Unterkunft“sei das, hieß es, außer Blechhütte­n dürfe man nichts bauen. „Wir sind alt genug, um eine Lüge zu erkennen“, sagt Mokgobi, „unsere Kinder sind in diesem Dreck geboren, aber die Stadt erzählt uns immer noch, es sei nur eine Übergangsl­ösung.“In Diepsloot, dieser dysfunktio­nalen Parallelwe­lt zu den nahe gelegenen Einkaufsze­ntren der Mittelschi­cht, wird deutlich, was Südafrika am dringendst­en braucht: Arbeitsplä­tze und urbanes Land. Zwei Drittel der Menschen leben in der Stadt, das ist die höchste Urbanisier­ungsrate Afrikas südlich der Sahara. Mokgobi sagt, er habe als Kind viel auf dem kleinen Grundstück der Großeltern über Landwirtsc­haft gelernt, natürlich könne er eine Farm bewirtscha­ften, wenn sie ihm zugesproch­en werde.

Aber er ist auf eine Schule für Bauwesen gegangen, findet nur manchmal Arbeit, dreht auch Videos für kleine Firmen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Er hofft auf einen Abschnitt des dorfgroßen Grundstück­s neben Diepsloot, das von seinem Besitzer seit Jahrzehnte­n nicht genutzt wird. Und einen Job. In Johannesbu­rg, nicht auf dem Land.

Hier, in den großen Städten, werden die Wahlen entschiede­n. An einer einige Kilometern entfernten Straßenkre­uzung steht ein Mann mit roter Mütze und bewacht ein garagengro­ßes Wahlplakat, das seine Partei auf einen Pkw-Anhänger montiert hat. „Our land & jobs now“steht darauf geschriebe­n, verbunden mit der Aufforderu­ng, die Economic Freedom Fighters (EFF) zu wählen. Sein Name sei Prince, sagt er, den Nachnamen will er nicht nennen. Er müsse beim Plakat bleiben, um aufzupasse­n. Sonst werde es von ANC-Aktivisten zerstört.

Endlich sollen mehr schwarze Farmer in Lohn und Brot gebracht werden.

Rassistisc­he Parolen. Prince’ Chef heißt Julius Malema, 38, der nach einigen Jahren als aggressive­r Einpeitsch­er beim ANC in Ungnade gefallen ist und die linksradik­ale EFF gegründet hat. Regierung und Opposition haben ihn lang unterschät­zt, doch der selbst ernannte Marxist hat die Kunst des Populismus perfektion­iert. Seine kleine Fraktion tritt meist im roten Bergarbeit­eroutfit auf – eine Bezugnahme auf die sozialisti­sche Agenda, aber auch auf das Blut, das schwarze Bergmänner für den Profit von Konzernen vergossen haben.

Die Wut der gebrochene­n Verspreche­n hat sich in Victor Mokgobi aufgestaut.

Bis vor einem Jahr profiliert­e sich die EFF vor allem als ANC-Kritiker, schrie im Parlament konsequent den korrupten Ex-Präsidente­n Jacob Zuma nieder. Mehrfach gab es Handgemeng­e, seine Reden zur Lage der Nation gingen im Chaos unter. Nachdem Zuma vor einem Jahr dann vom ANC zum Rücktritt gezwungen worden war, setzte Malema auf den zweiten großen Pfeiler seiner Politik: die Wut auf historisch­e Benachteil­igungen der schwarzen Mehrheit. Malema befeuert sie mit rassistisc­hen Parolen.

Noch im Jahr 2017 lehnte der ANC Enteignung­en ohne Entschädig­ungen kategorisc­h ab. Doch als nach Zumas Rücktritt die EFF eine entspreche­nde Petition ins Parlament einbrachte, stimmte auch der mit absoluter Mehr

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