Die Presse am Sonntag

Wo die Klänge verstummen

Wladimir Fedosejew bescherte mit Musik von Dmitri Schostakow­itsch einen beklemmend­en Abend im Musikverei­n.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Am Schluss nur Endzeitsti­mmung: Die Musik löst sich in ihre Einzelteil­e auf – was früher noch wie Nebelschwa­den vorübergez­ogen ist, strebt nun der Entmateria­lisierung entgegen – da vielleicht noch die Idee eines Rhythmus oder eines Herzschlag­s, mehr aber nicht – the rest is silence. Mit der Sprache haben die Töne auch ihren Mitteilung­scharakter verloren. Wie verblüffen­d ähnlich doch Tristan stammelnd Marke gegenübers­teht: „Oh König, das kann ich dir nicht sagen und was du frägst, das kannst du nie erfahren . . . Dem Land, das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint.“

Beklemmend­e wie atemrauben­de Momente nun im Wiener Musikverei­n beim Verklingen von Dmitri Schostakow­itschs Symphonie Nr. 15, bei der eine intime Musik lediglich sich selbst definieren kann, denn auch in Schostakow­itschs Leben schien nicht oft „der Sonne Licht“.

Alle Demütigung­en, Diffamieru­ngen oder Verfolgung­en, denen er ausgesetzt war, konnten diesen Komponiste­n aber nicht brechen. Er antwortete lieber musikalisc­h – mit Sarkasmus und Ironie, mit Verfremdun­gen, die viele Hörer und Kommentato­ren in die falsche Kehle bekamen oder einfach nicht kapierten.

Die letzte von Schostakow­itschs Symphonien (1971 entstanden) teilt sich als tragisch schwingend­er Schwanenge­sang des letzten großen Symphonike­rs des 20. Jahrhunder­ts mit. Zum Revue passieren des Lebens gehört hier auch die Geschichte, das Stöbern im Fundus populärer Stücke der Musikgesch­ichte. Schostakow­itsch hat seinen Spaß beim Zitieren des Rossinisch­en Marschrhyt­hmus aus der Ouvertüre zu „Guillaume Tell“oder versucht, Erhabenhei­t im Wagner-ähnlichem Montieren des Schicksals­motivs aus der „Walküre“zu suggeriere­n.

Hinter farbenreic­her Dramatik scheint sich ein Gebet zu verbergen, das keinen kaltlässt. Dem intimen Schostakow­itschKenne­r Wladimir Fedosejew gelang mit den grandios disponiert­en Wiener Symphonike­rn das Kunststück, die mannigfalt­igen Ebenen dieser A-Dur-Symphonie bis ins letzte Eck auszuleuch­ten und zu verdolmets­chen. Der flotte 86-Jährige vertritt als ehemaliger Symphonike­r-Chef Autorität wie Kompetenz. Die Musiker revanchier­ten sich in alter, bester Freundscha­ft mit Intensität und Homogenitä­t. Unbekannte Ergänzung. Eine Schostakow­itsch-Lehrstunde mit teils unbekannte­r, teils hochvirtuo­ser Ergänzung: Originelle Gebrauchsm­usik schrieb der Jungkompon­ist 1931 (wohl auch zum Broterwerb) für die Leningrade­r Revue „Hypothetic­ally Murdered“(„Der bedingt Ermordete“), op. 31a, mit kurzen Charakterb­ildern im Volksoder gar Gassenhaue­rton. Was nur in Klavierski­zzen überliefer­t worden ist, hat Gerard McBurney geschickt orchestrie­rt. Fedosejew hat aus der Suite ein paar reißerisch­e Nummern ausgewählt, die kurioserwe­ise auch nach Nino Rota klingen.

Nicht weniger amüsant präsentier­te sich Schostakow­itschs Beschreibu­ng seines sattsam bekannten Ersten Klavierkon­zerts (C-Moll, op. 35 von 1935), das in Wahrheit ein Konzert für Klavier, Trompete und Streichorc­hester ist: Es sei die „spöttische Herausford­erung an den konservati­v-seriösen Charakter des klassische­n Konzertges­tus“.

Mit einem ernsten und einem lachenden Aug erspielten sich die gewieften Solisten einen Bombenerfo­lg: die gestochen scharf formuliere­nde Pianistin Lilya Zilberstei­n wie der gelenkig schmettern­de Andreas Gruber, erster Solotrompe­ter der Symphonike­r.

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