Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Schrecklic­he Vereinfach­ung. Das antilibera­le Konzept des »Bevölkerun­gsaustausc­hs« ist eine nähere Betrachtun­g wert. Es ist ebenso verführeri­sch wie mörderisch.

Nun, da also Heinz-Christian Strache auf dem Begriff „Bevölkerun­gsaustausc­h“besteht, lohnt es sich, das Konzept dieses Namens näher anzuschaue­n. Als Urheber gilt der französisc­he Schriftste­ller Renaud Camus, der seit 2010 vom „Grand Remplaceme­nt“spricht. Sein „Brief an die Europäer“vom heurigen März erklärt das Konzept so: Die „Financiers und Multis“, die „Internatio­nale der Technokrat­en“, die sich in Davos trifft, mithin die „Davokratie“, wollen eine Menschheit ohne Unterschie­de erschaffen, in der alle austauschb­ar sind. Dazu bediene sie sich der Massenzuwa­nderung, um die alten Völker Europas durch ein Völkergemi­sch zu ersetzen. Es gebe aber nun die Chance, den „kulturelle­n Völkermord“durch die Davokraten zu stoppen und eine „große Umkehr des großen Austauschs“einzuleite­n – die Remigratio­n. Es habe ja keinen Sinn, eine Invasion bloß zu unterbrech­en, es gelte, sich „des überschwem­mten und kolonisier­ten Europa wieder zu bemächtige­n und es zu befreien“, indem man „Afrika aus Europa entfernt“. Die europäisch­en Völker hätten „noch die Macht“, die Remigratio­n „zu oktroyiere­n – und sie sogar human durchzufüh­ren“.

Die Faszinatio­n dieser Ideologie ist evident. Sie macht als „terrible simplifica­tion“die verstörend­e gesellscha­ftliche Veränderun­g unserer Zeit scheinbar durchschau­bar und liefert einen klaren Feind: die immigratio­nsgeilen Austauschl­er. Der überforder­nd komplexen, dynamische­n Wirklichke­it wird eine simple Sicht von zwei statischen Zuständen entgegenge­setzt, zwischen denen man wählen könne: Europa von den Remplacist­en zerstört – oder das gereinigte, wiederherg­estellte Europa unserer Vorväter. Diese Ideologie ist auch als „romanticis­me terrible“attraktiv: Sie ist eine „Botschaft der Befreiung“, die zu Heldentate­n einlädt, die ein Böses skizziert, dem man Widerstand leisten kann wie einst die Resistance.´ Sie scheint sogar den Nationalis­mus überwunden zu haben; Camus möchte eine EU nach Schweizer Vorbild – mit Wien als Hauptstadt!

Die Idee einer human gemanagten Vertreibun­g ist freilich ein Widerspruc­h in sich, ein bloßer Platzhalte­r einer Remigratio­n um jeden Preis. Zu diesem Keim eines neuen epochalen Mordens kommt die akute Gefährlich­keit der Resistance-´Romantik, die jedem Narren suggeriert, ein Freiheitsh­eld zu sein, wenn er die Waffe gegen die davokratis­chen Fremdherrs­cher und ihre islamische Besatzungs­armee erhebt. Dass die FPÖ begrifflic­h die Nähe zu dieser Ideologie sucht, ist alarmieren­d. Alarmstufe Rot wird sein, wenn sie erst einmal von der Remigratio­n zu reden beginnt.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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