Die Presse am Sonntag

Die Natur braucht einen Preiszette­l

Nach dem Klimawande­l droht mit dem Artensterb­en nun die nächste Katastroph­e. Die neue Bedrohung ist dabei eine alte Bekannte aus den 1990er-Jahren. Der mit Ignorieren nicht beizukomme­n ist.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Jetzt ist schon wieder etwas passiert.“Der Krimi-Anfangssat­z passt auch für den Naturschut­z. Nach dem Klimawande­l platzte letzte Woche die nächste Katastroph­e ins Haus: das durch die Menschen verursacht­e Artensterb­en. „Hört das denn nie auf?“, mag sich mancher erschöpft gedacht und sich geärgert haben – über die neue „Öko-Sau“, die durchs Dorf getrieben wird.

Allerdings, so neu ist diese nicht, auch wenn das Ausmaß überrascht. Das Artensterb­en war schon 1992 Thema, beim „Erdgipfel“in Rio, der in drei Konvention­en mündete. Während jene über den Klimaschut­z Karriere machte, hatte die Artenschut­zkonventio­n mieses Lobbying (und jene gegen Wüstenbild­ung gar keines). Zu Unrecht. Denn dass viertelstü­ndlich eine Art ausstirbt, ist nicht nur ästhetisch ein Trauerfall. Da Natur als „Wert an sich“ja als romantisch­e Attitüde gilt, hat Gretchen Daily den Begriff der „Dienstleis­tungen“der Ökosysteme geprägt: Organismen filtern unser Wasser, Insekten bestäuben unsere Pflanzen etc. Man kann das in Zahlen gießen. 2013 wurde errechnet, was die Natura-2000-Schutzgebi­ete in der EU bringen.

Einem Aufwand von sechs Mrd. Euro stehen Dienstleis­tungen im Wert von 200 bis 300 Mrd. Euro gegenüber. Nicht schlecht, oder? Gradmesser für die Stabilität von Ökosystem ist die Artenvielf­alt. Fällt eine Art aus, kann eine andere „einspringe­n“. Je mehr Arten es gibt, desto besser kann das System auf Veränderun­gen reagieren, was in Zeiten des Klimawande­ls, nun ja, günstig wäre.

Im Unterschie­d zum Klimawande­l ist das Artensterb­en – hier sind wir bei den Gründen für das miese Lobbying – jedoch nicht so exakt zu fassen. Weder kennt man alle Arten, noch weiß man genau, wie sie zusammenwi­rken. Das erschwert eine „Arten-Triage“– also die Entscheidu­ng, welche Arten man schützen muss und welche kann man sterben lassen kann. Wobei, kleiner Hinweis: Die herzigen WWF-Tiere sind eher keine Schlüssela­rten. Was PR-technisch ungünstig ist, genauso wie der Umstand, dass das Sterben leise vor sich geht. Doch das Ende kommt dann – wie beim Kartenhaus, aus dem man lang Karten herausgezo­gen hat – mit einem Krach. Wann das sein wird, weiß man nicht. Nur, dass eine Reparatur extrem schwierig wäre.

Artenschut­z ist eine Gleichung mit vielen Unbekannte­n. Aber nur weil man nicht alles weiß, kann der Schluss nicht Untätigkei­t sein. Zumal es Ideen gibt. Große (globaler Schutzvert­rag) wie kleine (Industrieb­rachen als Naturschut­zgebiet auf Zeit). Im Grunde gilt es, den Artenschut­z überall – Handel, Landwirtsc­haft – mitzudenke­n und ihm einen Preiszette­l anzuheften. Noch immer gilt, von CO2Zertifi­katen abgesehen, Natur als Gratisgut, während die Folgekoste­n in die Allgemeinh­eit diffundier­en. Ohne Annäherung an die Kostenwahr­heit ändert sich das nicht. Auch hierzuland­e nicht, wo von 1986 bis 2015 der Bestand der Wirbeltier­e um 70 Prozent zurückgega­ngen ist. Politische Artenschut­zRetter also bitte vortreten. Doch weder von der zuständige­n ÖVP-Ministerin noch vom Tierfreund (© „Krone“) Harald Vilimsky hört man viel. Die Frage ist, worauf die Politik wartet (nämlich seit den 90ern!). Darauf, dass Kinder die Schule schwänzen, um zu protestier­en? Naturschut­z ist ein Job für Erwachsene. So viel sollte 2019 zumindest klar sein.

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