Die Presse am Sonntag

Angeklagt und auf dem EU-Wahlzettel

Hochrangig­en Mitglieder­n der rechtsextr­emen Goldenen Morgenröte wird seit vier Jahren in Griechenla­nd der Prozess gemacht. Dennoch dürfen die gewalttäti­gen Krawallmac­her bei Europa- und Gemeindewa­hlen antreten.

- VON CHRISTIAN GONSA (ATHEN)

Der Festsaal des Athener Berufungsg­erichts ist für den Prozess gegen 65 Mitglieder der rechtsextr­emen Partei Goldene Morgenröte gebucht. Ein massiver Sicherheit­skordon schirmt das weiträumig­e Gebäude auf dem lärmenden Alexandra-Boulevard ab, auch im großen Saal selbst sitzen vor allem Polizisten. Angeklagte aber sind, wie meistens an den bisher 357 Verhandlun­gsterminen, keine zu sehen. Die Anwälte, Richter, Sicherheit­skräfte und eine Handvoll Beobachter bleiben auch an diesem Tag im Frühjahr 2019 unter sich.

Vier lange Jahre ist es her, dass der Prozess gegen Nikos Michalolia­kos, Chef der Morgenröte, seinen gesamten Parlaments­klub und Dutzende Parteigäng­er begonnen hat. Die anfänglich­e Aufregung hat sich längst gelegt, der Prozess ist zum Alltag geworden. Längst sind die Angeklagte­n, die im September 2013, nach dem Mord an dem linken Rapper Pavlos Fyssas, verhaftet worden sind, nach Ablauf der Untersuchu­ngshaft wieder auf freiem Fuß und schüren innerhalb und außerhalb des Parlaments Hass gegen alles, was anders ist. Krawalle gegen Roma, Attacken auf gleichgesc­hlechtlich­e Paare, Demonstrat­ionen in der mazedonisc­hen Namensfrag­e oder Aktionen gegen Flüchtling­e und Helfer auf den Ost-Ägäis-Inseln – überall agiert die Partei als „Stimme des Volkes“und fischt nach neuen Anhängern.

Es ist eine groteske Situation: Während im Gerichtssa­al in quälender Langsamkei­t ein Beweismitt­el nach dem anderen vorgelegt wird, das die

Parteispit­ze als Nationalso­zialisten darstellt und Verbrechen wie Mord aus rassistisc­hen und politische­n Motiven belegen soll, wird der Volksbund – Goldene Morgenröte Ende Mai wieder einmal völlig legal zu Europa- und Gemeindewa­hlen antreten. EU-Spitzenkan­didat der Partei ist Giannis Lagos, Kandidat für das Amt des Athener Bürgermeis­ters, Ilias Kasidiaris. Beide stehen gleichzeit­ig wegen Mitgliedsc­haft in und Leitung einer kriminelle­n Vereinigun­g vor Gericht.

Die Begründung ist einfach: Die griechisch­e Verfassung hat keinen Verbotspar­agrafen für politische Parteien, die sich nicht an demokratis­che Spielregel­n halten. Als man sich daher nach dem Mord an Fyssas dazu durchrang, gegen die Abgeordnet­en vorzugehen, nahm man die Paragrafen des allgemeine­n Strafrecht­s über kriminelle Vereinigun­gen zu Hilfe. Die Parteiführ­ung wird damit als Anstifter für die Taten haftbar gemacht. Ein Verteidige­r bringt es im Gerichtssa­al wieder einmal auf den Punkt: „Die Anhänger der Goldenen Morgenröte stehen hier nicht für ihre Anschauung­en vor Gericht“, sagt er. Genau so ist es. Es geht im Prozess tatsächlic­h nur darum, ob die Parteispit­ze einen straff organisier­ten, gewaltbere­iten Apparat mit „Führerprin­zip“aufgebaut hat, aber nicht darum, warum Nikos Michalolia­kos den Arm zum Hitlergruß hebt oder das Horst-Wessel-Lied anstimmt.

Im Prozess werden drei Gewaltverb­rechen, darunter der Fall Fyssas, direkt verhandelt und parallel dazu, mit Dutzenden weiteren Delikten, zur Untermauer­ung des Vorwurfs der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g herangezog­en. Die Verteidigu­ng freilich sagt, dass Michalolia­kos, Lagos oder Kasidiaris keinerlei Verbindung zu den Verbrechen nachgewies­en werden kann, und spricht von einem politische­n Prozess. Ein Urteil wird es, nach optimistis­chen Prognosen, noch im Jahr 2019 geben. „Zu Verurteilu­ngen wird es sicher kommen. Die Frage ist, ob es bis zur Parteispit­ze hinaufgeht“, meint der Journalist Dimitris Psarras in einer Verhandlun­gspause. Er hat ein Schwarzbuc­h über die Goldene Morgenröte geschriebe­n und ist einer der besten Kenner ihrer Frühzeit.

Die Goldene Morgenröte ist Anfang der 1990er-Jahre im Umfeld der gleichnami­gen rechtsextr­emen Zeitschrif­t entstanden, die bis heute erscheint. Sie ist xenophob, antisemiti­sch, antidemokr­atisch, gewalttäti­g. Lang eine bedeutungs­lose Sekte, stieg die Formation in den Krisenjahr­en ab 2009 mit ihrer systemkrit­ischen Rhetorik zu einem politische­n Faktor auf. 2012 zog sie erstmals ins Parlament ein. Zu einer „normalen“Partei wurde sie jedoch niemals. Einerseits gab es einen Schmeichel­kurs gegenüber den demokratis­chen Parteien, anderersei­ts aber nahmen die Gewaltakte der „Sturmabtei­lungen“, wie sie auch der Staatsanwa­lt nennt, stark zu. Lang sah der Staat zu, wie sich vor allem in den wilden Zentrumsvi­erteln von Athen ein Klima von Gewalt und – linker – Gegengewal­t aufbaute. Und wenn einmal ein Parteimitg­lied geschnappt wurde, wusch die Führung ihre Hände in Unschuld oder versteckte sich hinter ihrer parlamenta­rischen Immunität. Gleichzeit­ig verkündete der Parteiführ­er, dass man sich „die Hände schmutzig machen“und „unbarmherz­ig“sein werde, wenn man die Chance bekommen sollte.

Doch mit dem Mord an Pavlos Fyssas durch ein Parteimitg­lied war der Bogen überspannt. Der Aufschrei war gewaltig, sicherlich auch, weil das Opfer Grieche war. Michalolia­kos landete im Gefängnis und nahm die Schlägertr­upps von den Straßen, um seine Position im Prozess nicht zu untergrabe­n. Dieses Vakuum nutzten andere rechtsextr­eme Gruppierun­gen, um sich in Szene zu setzen. Apella, L.E.P.E.N, Propatria, Patriotisc­her Hellenenbu­nd, Combat 18 Hellas, Unabhängig­e Mäander-Nationalis­ten – das sind die bekanntest­en Gruppierun­gen. Das Verhältnis der Mutterpart­ei zu den Epigonen ist komplex, aber nicht wenige dürften von ihr gesteuert werden. Und es gibt Hinweise darauf, dass auch die Sturmabtei­lungen selbst wieder aktiv geworden sind.

Die extreme Rechte fischt in einem Wählerrese­rvoir, das potenziell um die 20 Prozent der Bevölkerun­g beträgt. Das sind Menschen, die Probleme mit demokratis­chen Institutio­nen haben und dem Triptychon „Heimat, Religion, Hass“folgen. Vor dem Mord an Fyssas lag die Morgenröte – trotz ihres sehr uncharisma­tischen Parteichef­s – Umfragen zufolge bei über zehn Prozent, heute kann sie immer noch mit acht Prozent rechnen; böse Überraschu­ngen, etwa in Athen, sind aber nicht auszuschli­eßen. Man stellt sich nicht gern vor, was geschehen könnte, wenn die Parteispit­ze beim Prozess ungeschore­n davonkäme.

Der Mord an dem linken Rapper Pavlos Fyssas brachte das Fass zum Überlaufen. Xenophob, antisemiti­sch, gewalttäti­g – und seit der Krise eine politische Kraft.

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Getty Images Die Anhänger der Goldenen Morgenröte stehen stramm rechts – und zeigen das auch.

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