Song Contest trotzt Raketengefahr
Trotz des jüngsten »Minikriegs« mit der Hamas und Aufrufen zum Boykott reisen alle 41 Bewerber nach Tel Aviv. Fans indes kamen weniger als erwartet. Grund sind wohl die extremen Preise.
Sommer, Sonne, Meer und Partys. Tel Aviv ist wie geschaffen als Austragungsort für den Eurovision Song Contest (ESC) vom 14. bis 18. Mai. Am Strand Dutzende Surfer, längs der Küste die Vorbereitungen für das Tel Aviver FoodFestival. Vegane Burger werden dort am Sonntag serviert, Dim Sum, tunesische Spezialitäten und Bier aus Bayern. Das große Fressen kommt gerade passend zum Start des ESC.
„Lundvik“, rufen vier Freunde aus Schweden wie aus einem Munde auf die Frage, wer Gewinner wird. John Lundvik vertritt Schweden heuer, er gilt als aussichtsreicher Kandidat für den ersten Platz. Die Vier sitzen mit nackten Oberkörpern beim Cocktail am Strand und genießen das Wetter. Die Temperaturen liegen bei 25 Grad, Himmel wolkenlos. „Teuer ist es hier“, sagt der 48-jährige Magnus Delien und will nicht darüber nachdenken, wann er als erkennbarer Tourist noch mehr zahlen muss als Locals. Umgerechnet 20 Euro soll ein Bäcker einem Ausländer für ein mit Salat, Hummus und Falafelbällchen gefülltes Pitabrot abgeknöpft haben, das sonst nur vier Euro kostet. Willkommen im Nahen Osten!
Wenige Tage vor dem großen Singen sind die Karten indes noch nicht ausverkauft. Ab 100 Euro kostet der Eintritt. Wer das Finale in den ExpoMessehallen im Norden Tel Avivs miterleben will, muss sogar 500 Euro blechen. Selbst für die Eurovisions-be
geisterten Israelis ist das zu viel. „Wir gehen sicher nicht hin“, sagen die Mittdreißigerinnen Jael und Ruth, zwei miteinander verheiratete Frauen aus Tel Aviv. Gefreut haben sich beide, als Netta Barzilai im Vorjahr mit ihrem Song „Toy“den ECS gewann. „Für Israel ein toller Erfolg“, sagt Jael, sie mag aber die Musik nicht so besonders und „den Glitter“der Veranstaltung.
„Trau dich zu träumen“, so heißt das Motto des diesjährigen Song Contest, der wegen Drohungen palästinensischer Islamisten fast ins Wasser gefallen wäre. Noch vor kaum zwei Wochen fochten Israel und die Hamas in Gaza einen Minikrieg miteinander aus. Sollte sich Israel nicht an den Waffenstillstand halten, so drohte die Hamas danach, werde „der (palästinensische) Widerstand“Israel „um kommende Vergnügen wie den ESC berauben.“
Sven Skaltelyvare, einer der vier Schweden am Strand, will sich von den Drohungen nicht beirren lassen. „Wir kommen aus Malmö“, sagt der 45-Jährige. Damit seien sie Nachfahren der Wikinger und „kennen keine Angst.“ Paenda ohne Furcht. Die österreichische Sängerin Paenda, die mit ihrem Titel „Limits“dabei ist, macht sich ebenso wenig Gedanken: „Ich bin kein ängstlicher Mensch“, sagt die Steirerin, die mit bürgerlichem Namen Gabriela Horn heißt. Sie habe sich über die Lage informiert und sei über Verhaltensmaßnahmen bei Raketenalarm instruiert. Tel Aviv hätte sie sich „nicht entgehen lassen wollen.“Und sie ist nicht enttäuscht von der „tollen, weltoffenen und multikulturellen“Stadt. Überrascht sei sie von den „krassen Gegensätzen“, wenn „direkt neben einem superschönen Neubau ein altes Haus zerfällt“. Israelis empfindet sie als „sehr liebe und intelligente Menschen.“ Druck aus (a)sozialen Medien. Außer der Sicherheitslage stand der ESC zeitweise wegen internationaler Boykottaufrufe auf wackligen Beinen. Die von Palästinensern initiierte BDS-Bewegung (Boykott, De-Investition und Sanktionen) appellierte an Künstler und Fans, Israel zu meiden. Der frühere Pink-Floyd-Musiker Roger Waters, Ankläger von Israels Besatzungspolitik, schloss sich dem Appell an und kritisierte Pop-Kaiserin Madonna, die im Finale auftreten soll, für ihre Zusage.
Auch Paenda sei vor allem über soziale Netzwerke unter Druck gesetzt worden, nicht nach Israel zu reisen. „Ich bin Musikerin“, sagt sie, und hält sich mit politischen Statements zurück. Nach Ansicht der Israelin Netta Barzilai sei bei dem Wettbewerb „kein Platz für einen Boykott.“Vor Korrespondenten in Jerusalem erinnerte die voluminöse Sängerin an die Ursprünge des ESC, der heuer zum 64. Mal stattfindet, und der nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden sei, um „die Wunden des zerfetzten Kontinents zu heilen.“Barzilai begrüßt, dass keiner der 41 Teilnehmer, die sich für das Halbfinale qualifizierten, abgesagt hat.
Für Israel bietet der ESC eine der wenigen Bühnen, wo es sich profilieren kann. Viermal schon holte Israel die meisten Punkte. Der blauhaarigen Österreicherin Paenda geht es nicht ums Gewinnen, aber sie möchte mit sich selbst zufrieden sein. Ansonsten wolle sie die Zeit in Israel genießen. Verlustgeschäft droht. Ab Sonntag dürfen Fans ihre Zelte am Strand aufstellen sowie im Hajarkon-Park, der direkt gegenüber vom Messegelände liegt. Insgesamt kommt wohl nur rund die Hälfte der erhofften 15.000 bis 20.000 Gäste aus dem Ausland. Für den Fernsehsender Kan, der die Kosten der Veranstaltung alleine trägt, dürfte es ein Verlustspektakel werden.
Wenn Schweden sagen, es sei teuer in Tel Aviv, muss es schon recht teuer sein.