Die Presse am Sonntag

Verfolgt von der Datenmafia

Nicht nur Google und Facebook spionieren den Menschen im Internet hinterher. Hunderte Firmen tun dasselbe, und bleiben unbekannt. Um sie abzuschütt­eln, braucht es einen neuen Plan.

- VON MATTHIAS AUER

Europas Datenschüt­zer und Regulatore­n kennen ihren Feind ganz genau: Es sind die großen Internetgi­ganten aus den USA, die ihre Nutzer auf jedem Schritt ihres digitalen Lebens verfolgen. Wohin wir auch surfen, die Googles und Facebooks sind uns dicht auf den Fersen – sehen zu, welche Produkte wir bestellen, was wir lesen, wem wir schreiben, welche Musik wir hören. Denn je besser sie uns kennen, desto teurer lässt sich dieses Wissen an Unternehme­n verkaufen, die online möglichst zielgerich­tete Werbung schalten wollen.

85 Prozent ihrer 137 Milliarden USDollar Umsatz hat die Google-Mutter Alphabet im Vorjahr mit digitaler Werbung erwirtscha­ftet. Das Futter dafür lieferten die Nutzer, mehr oder weniger freiwillig, selbst. Nicht allen gefällt das. Konsumente­n fordern mehr Einblick, mehr Kontrolle über ihre Daten. Und die Behörden schießen sich auf Google und Facebook ein. Doch das reicht nicht. Denn die beiden Riesen sind nicht die einzigen, die vom Datensamme­ln leben. Hunderte Ad-Tracking

Firmen tun genau dasselbe. Nur kennen sie eben die allerwenig­sten.

Wer sich in Deutschlan­d etwa auf einer offizielle­n Regierungs­website über Mutterschu­tz und Karenz informiere­n will, ahnt wohl nicht, dass ihm 62 unterschie­dliche Unternehme­n dabei über die Schulter schauen und eifrig Daten horten. Die Firmen haben so klingende Namen wie Adboost, Eyeview oder Rocketfuel und sind die unbekannte­n Dealer der drei Billionen Dollar schweren Datenindus­trie. Einmal erwischt, verpassen sie jedem Nutzer eine Art Strichcode, mit dem sie ihn quer durch das Web verfolgen können.

Puzzleteil für Puzzleteil fertigen sie ein Profil an, das sich teuer verkaufen lässt. Wer sich im Netz über Karenzmode­lle informiert, wird bald Onlinewerb­ung für Kinderwäge­n, Zusatznahr­ung oder Informatio­nen von radikalen Impfgegner­n erhalten. Je nachdem, wer diese begehrte Zielgruppe gerade erreichen will. Die „Kleinen“beherrsche­n das Geschäft mit den privaten Daten der Menschen genauso wie die Großen – nur bleiben sie dabei unterhalb des Radars der Regulatore­n.

Oft tauchen sie gerade auf Seiten auf, wo die Bürger sie am wenigsten erwarten. Die dänische Beratungsf­irma Cookiebot zählte 112 unterschie­dliche Datensamml­er, die sich auf offizielle­n Regierungs­seiten der EU-Mitglieder tummelten. In Frankreich waren pro Seite 52 Datenschnü­ffler zu finden, in Österreich immerhin noch zwei.

Dass darüber nichts in den mühsamen Cookie-Hinweisen zu lesen ist, hat einen einfachen Grund: Die Betreiber der Seiten wissen oft selbst nicht, welche blinden Passagiere sie an Bord haben. Laut Cookiebot werden viele Ad-Tracker unbemerkt über Fremdsoftw­are eingeschle­ust. Moderne Websites vertrauen oft auf frei verfügbare Programme, um etwa Videoplaye­r, Social-Sharing-Tools oder Kommentarf­unktionen auf der Seite zu haben. Sie können als Trojanisch­es Pferd dienen, um die Datenschnü­ffler heimlich auf möglichst vielen Seiten zu installier­en. Googles Selbstjust­iz. Was können die Staaten tun, um diesen massiven Einbruch in die Privatsphä­re ihrer Bürger zu verhindern? Der bisherige Ansatz der Regulatore­n, nämlich der volle Fokus auf Facebook und Google, scheint das Ziel jedenfalls zu verfehlen. Selbst wenn Facebook seine Nutzer nicht mehr quer durch das Web verfolgen darf, wie es das deutsche Bundeskart­ellamt fordert, könnte sich Mark Zuckerberg die Daten problemlos von den kleinen, unregulier­ten Anbietern kaufen. Und da sich jetzt schon viele Daten-Dealer nicht an die Regeln halten, werden sie auch schärfere Vorschrift­en nicht zwingend abschrecke­n.

Internet-Erfinder Tim-Berners Lee hat eine radikale Lösung parat: Er fordert das Komplettve­rbot für personalis­ierte Werbung. Damit wäre die Geldmaschi­ne, die all die Datensamml­er am Leben hält, mit einem Schlag gestoppt. Realistisc­her scheint eine abgespeckt­e Variante: Firmen könnten Nutzerprof­ile nur noch aus den Daten zusammenst­ellen dürfen, die sie aktiv von den Menschen erhalten. Wer Werbung über Anglerbeda­rf wünscht, könnte das Google und Amazon melden. Wer einfach nur in Ruhe surfen will, erhält Werbung nach dem Zufallspri­nzip. Ganz wie in analogen Zeiten.

Andernfall­s erledigen die Webgigante­n das Problem – aus ihrer Sicht

62 Firmen schauen mit, wenn sich werdende Eltern online über die Karenz informiere­n. Der Erfinder des Internets wünscht sich ein Verbot von personalis­ierter Werbung.

die kleinen Rivalen – wohl auf ihre Art. Google hat letzte Woche angekündig­t, den Nutzern seines Chrome-Browsers volle Kontrolle darüber geben zu wollen, wer ihnen im Netz folgen darf und wer nicht. „Wir wollen eine echte Wahl und brauchbare Kontrolle für unsere Nutzer“, sagte Ben Galbraith, Produktman­ager bei Chrome. Die Änderung könnte große Wellen schlagen. Chrome wird von 70 Prozent aller Internet-User am Desktop verwendet, die Marktmacht ist groß. Vor wenigen Wochen schickte schon das Gerücht, dass Google bestimmte Ad-Tracker aus Chrome aussperren könnte, die Kurse der Unternehme­n in den Keller.

Von Grund auf ändern werden sich Google und Co. wohl dennoch nicht. Denn Google stellte in der Vorwoche noch eine neue Funktion vor, die dem Google-Assistent helfen soll, mehr über das reale Leben und die Beziehunge­n seiner Nutzer zu erfahren. Sie sollen dem Sprachassi­stenten etwa freiwillig Name und Adresse ihrer Mutter verraten, hofft der Konzern. Im Gegenzug spuckt die Software dann auf Fragen wie: „Wie ist das Wetter bei Mama?“, bessere Antworten aus. Wenn das kein verlockend­es Angebot ist.

Newspapers in German

Newspapers from Austria