Verfolgt von der Datenmafia
Nicht nur Google und Facebook spionieren den Menschen im Internet hinterher. Hunderte Firmen tun dasselbe, und bleiben unbekannt. Um sie abzuschütteln, braucht es einen neuen Plan.
Europas Datenschützer und Regulatoren kennen ihren Feind ganz genau: Es sind die großen Internetgiganten aus den USA, die ihre Nutzer auf jedem Schritt ihres digitalen Lebens verfolgen. Wohin wir auch surfen, die Googles und Facebooks sind uns dicht auf den Fersen – sehen zu, welche Produkte wir bestellen, was wir lesen, wem wir schreiben, welche Musik wir hören. Denn je besser sie uns kennen, desto teurer lässt sich dieses Wissen an Unternehmen verkaufen, die online möglichst zielgerichtete Werbung schalten wollen.
85 Prozent ihrer 137 Milliarden USDollar Umsatz hat die Google-Mutter Alphabet im Vorjahr mit digitaler Werbung erwirtschaftet. Das Futter dafür lieferten die Nutzer, mehr oder weniger freiwillig, selbst. Nicht allen gefällt das. Konsumenten fordern mehr Einblick, mehr Kontrolle über ihre Daten. Und die Behörden schießen sich auf Google und Facebook ein. Doch das reicht nicht. Denn die beiden Riesen sind nicht die einzigen, die vom Datensammeln leben. Hunderte Ad-Tracking
Firmen tun genau dasselbe. Nur kennen sie eben die allerwenigsten.
Wer sich in Deutschland etwa auf einer offiziellen Regierungswebsite über Mutterschutz und Karenz informieren will, ahnt wohl nicht, dass ihm 62 unterschiedliche Unternehmen dabei über die Schulter schauen und eifrig Daten horten. Die Firmen haben so klingende Namen wie Adboost, Eyeview oder Rocketfuel und sind die unbekannten Dealer der drei Billionen Dollar schweren Datenindustrie. Einmal erwischt, verpassen sie jedem Nutzer eine Art Strichcode, mit dem sie ihn quer durch das Web verfolgen können.
Puzzleteil für Puzzleteil fertigen sie ein Profil an, das sich teuer verkaufen lässt. Wer sich im Netz über Karenzmodelle informiert, wird bald Onlinewerbung für Kinderwägen, Zusatznahrung oder Informationen von radikalen Impfgegnern erhalten. Je nachdem, wer diese begehrte Zielgruppe gerade erreichen will. Die „Kleinen“beherrschen das Geschäft mit den privaten Daten der Menschen genauso wie die Großen – nur bleiben sie dabei unterhalb des Radars der Regulatoren.
Oft tauchen sie gerade auf Seiten auf, wo die Bürger sie am wenigsten erwarten. Die dänische Beratungsfirma Cookiebot zählte 112 unterschiedliche Datensammler, die sich auf offiziellen Regierungsseiten der EU-Mitglieder tummelten. In Frankreich waren pro Seite 52 Datenschnüffler zu finden, in Österreich immerhin noch zwei.
Dass darüber nichts in den mühsamen Cookie-Hinweisen zu lesen ist, hat einen einfachen Grund: Die Betreiber der Seiten wissen oft selbst nicht, welche blinden Passagiere sie an Bord haben. Laut Cookiebot werden viele Ad-Tracker unbemerkt über Fremdsoftware eingeschleust. Moderne Websites vertrauen oft auf frei verfügbare Programme, um etwa Videoplayer, Social-Sharing-Tools oder Kommentarfunktionen auf der Seite zu haben. Sie können als Trojanisches Pferd dienen, um die Datenschnüffler heimlich auf möglichst vielen Seiten zu installieren. Googles Selbstjustiz. Was können die Staaten tun, um diesen massiven Einbruch in die Privatsphäre ihrer Bürger zu verhindern? Der bisherige Ansatz der Regulatoren, nämlich der volle Fokus auf Facebook und Google, scheint das Ziel jedenfalls zu verfehlen. Selbst wenn Facebook seine Nutzer nicht mehr quer durch das Web verfolgen darf, wie es das deutsche Bundeskartellamt fordert, könnte sich Mark Zuckerberg die Daten problemlos von den kleinen, unregulierten Anbietern kaufen. Und da sich jetzt schon viele Daten-Dealer nicht an die Regeln halten, werden sie auch schärfere Vorschriften nicht zwingend abschrecken.
Internet-Erfinder Tim-Berners Lee hat eine radikale Lösung parat: Er fordert das Komplettverbot für personalisierte Werbung. Damit wäre die Geldmaschine, die all die Datensammler am Leben hält, mit einem Schlag gestoppt. Realistischer scheint eine abgespeckte Variante: Firmen könnten Nutzerprofile nur noch aus den Daten zusammenstellen dürfen, die sie aktiv von den Menschen erhalten. Wer Werbung über Anglerbedarf wünscht, könnte das Google und Amazon melden. Wer einfach nur in Ruhe surfen will, erhält Werbung nach dem Zufallsprinzip. Ganz wie in analogen Zeiten.
Andernfalls erledigen die Webgiganten das Problem – aus ihrer Sicht
62 Firmen schauen mit, wenn sich werdende Eltern online über die Karenz informieren. Der Erfinder des Internets wünscht sich ein Verbot von personalisierter Werbung.
die kleinen Rivalen – wohl auf ihre Art. Google hat letzte Woche angekündigt, den Nutzern seines Chrome-Browsers volle Kontrolle darüber geben zu wollen, wer ihnen im Netz folgen darf und wer nicht. „Wir wollen eine echte Wahl und brauchbare Kontrolle für unsere Nutzer“, sagte Ben Galbraith, Produktmanager bei Chrome. Die Änderung könnte große Wellen schlagen. Chrome wird von 70 Prozent aller Internet-User am Desktop verwendet, die Marktmacht ist groß. Vor wenigen Wochen schickte schon das Gerücht, dass Google bestimmte Ad-Tracker aus Chrome aussperren könnte, die Kurse der Unternehmen in den Keller.
Von Grund auf ändern werden sich Google und Co. wohl dennoch nicht. Denn Google stellte in der Vorwoche noch eine neue Funktion vor, die dem Google-Assistent helfen soll, mehr über das reale Leben und die Beziehungen seiner Nutzer zu erfahren. Sie sollen dem Sprachassistenten etwa freiwillig Name und Adresse ihrer Mutter verraten, hofft der Konzern. Im Gegenzug spuckt die Software dann auf Fragen wie: „Wie ist das Wetter bei Mama?“, bessere Antworten aus. Wenn das kein verlockendes Angebot ist.