Ein Königreich für ein Elektroauto: Blick in die (mögliche) Zukunft
Nirgendwo hat sich das Elektroauto auf so breiter Basis durchgesetzt wie in Norwegen. Die Hauptstadt Oslo ist ein schillerndes Vorzeigemodell dafür, wie es gehen kann. Aber soll – und kann – der Rest der Welt dem Beispiel folgen? Eine Stromablesung vor Or
Wer im Landeanflug auf den Lufthavn Oslo-Gardermoen aufmerksam aus dem Fenster schaut, entdeckt eine merkwürdige Formation unten auf dem Boden: ein schnurgerades Asphaltband mit zwei Fahrbahnen, Anfang und Ende jeweils im Nirgendwo der Flughafenperipherie. Ohne Zweifel haben wir es mit einem Drag-RacingStrip zu tun – ausgerechnet!
Auf der sogenannten Quartermile, 400 Meter lang, werden monströse Vehikel mit einigen Tausend PS aus dem Stand auf über 500 km/h beschleunigt (die Bremszone nach dem Ziel misst nicht umsonst 700 Meter), nach wenigen Sekunden ist das Schauspiel auch schon wieder vorbei (norwegischer Rekord: 4.74 Sekunden). Für das ebenso ohrenbetäubende wie kurze Vergnügen werden erhebliche Mengen eines leicht entzündlichen Nitromethan-Methanol-Gemischs in großen V8-Motoren verbrannt. Ein denkbar unpassender Einstieg in diese Geschichte.
Andererseits: Man muss die Osloer Dragster-Rennbahn, ohnehin nur Pläsierchen einer kleinen, eingefleischten Fangemeinde, wohl als eine Art Denkmal sehen: als letzten nostalgischen Tusch auf das Zeitalter des Verbrennungsmotors, das in diesem Land früher zu Ende gehen soll als irgendwo sonst auf der Welt. Darauf scheinen sich Politik und Gesellschaft in Norwegen weitgehend verständigt zu haben – die Frage ist nur: als einsamer Sonderweg oder als Vorbild für uns alle?
Kohle. Immerhin hat Norwegen einige günstige, um nicht zu sagen: einzigartige Voraussetzungen für einen echten ökologischen Umbruch, wie er im Rest der Welt allenfalls rhetorisch stattfindet. Das Land versorgt sich komplett eigenständig mit Strom, hauptsächlich CO2-neutral in Wasserkraftwerken aller Arten und Größe gewonnen. Kohleund Atomkraftwerke gibt es keine. Norwegischer Strom ist damit nicht nur sauber, sondern auch billig, weshalb er für fast alle Zwecke verwendet wird, etwa zum Heizen von Gebäuden, was die Bilanz nochmals verbessert.
Gleichzeitig ist Norwegen durch eine entschlossene und effiziente Exploration seit den 1980ern zu einem der bedeutendsten Öl- und Gasförderländer aufgestiegen. Die Produktion wird fast zur Gänze exportiert, nichts davon für die Energiegewinnung im eigenen Land verwendet. Das wurde schon verglichen mit einem Drogendealer, der von der eigenen Ware schön brav die Hände lässt.
Aber warum sollte das Königreich seine Möglichkeiten nicht nutzen? Das Land gilt als eines der bestentwickelten weltweit, mit den höchsten Sozial- und Bildungsstandards bei geringster Korruption. Schon seit 1991 werden CO2Emissionen besteuert, und Incentives für Elektroautos gibt es seit den frühen 2000ern, also länger, als es ein ernst zu nehmendes Angebot dieser Fahrzeuge
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der norwegischen Pkw-Neuzulassungen entfielen 2018 auf Batterie-elektrische Autos (BEV).
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an BEV-Neuzulassungen wurden bereits im ersten Quartal 2019 registriert. Es wird geschätzt, dass der Wert übers ganze Jahr 50 Prozent betragen wird. Nicht zufällig wählte Mercedes Norwegens Hauptstadt für die Weltpremiere: EQC 400 in der (ansonsten autofreien) Innenstadt Oslos. gibt. Nirgendwo werden neue E-Modelle sehnlicher erwartet als in Norwegen: Teslas Model 3 ging im März als bestverkauftes Auto hervor – nicht allein unter Elektroautos, sondern unter allen im Land neu zugelassenen Pkw. Schon werden mehr elektrische als konventionelle Autos zugelassen – und bis 2025 sollen Benzin- oder Dieselautos gänzlich aus den Neuzulassungen eliminiert sein, so das Ziel des Ministers für Umwelt und Klimaschutz. Dieser berichtet auch von der ersten im Dienst stehenden elektrischen Autofähre des Landes und von 63 weiteren, die in Bau sind und ab 2021 den Betrieb aufnehmen werden. Emissionsfreier Fährverkehr soll damit ebenso zum Standard werden wie Baustellen, auf denen kein CO2 produziert wird. Schwitzen. Die Hauptstadt Oslo dient einstweilen als Fenster in diese Welt. Zunächst staunt man noch auf dem Flughafen über Parkdecks, die für E-Autos reserviert und lückenlos mit Anschlüssen zum Laden ausgestattet sind. Wer nicht den Bahn-Shuttle ins Zentrum nimmt, registriert auf den Straßen die offenkundig hohe Disziplin der Autofahrer – diese braucht es auch bei einem allgemeinen Tempolimit von 80 km/h Überland, oft kilometerlang stur geradeaus durch unbewohnte Landschaft. Nur auf speziellen Schnellstraßen sind 100 km/h zulässig. Das erleichtert das Leben im Elektroauto, denn bei diesen Geschwindigkeiten bleiben Akkus in der Wohlfühlzone. Größer könnte der Kontrast zu unseren Verkehrswegen, auf denen mitunter legal 140 km/h gefahren wird, in der Realität mehr, nicht sein.
Indes pflegen auch die Osloer ihre kleinen Staus und den Stop-and-goVerkehr zu Stoßzeiten. Bewegung ist dann allein auf den Busspuren – hoch frequentiert, wie sie auch sind, denn sie dürfen von E-Autos benutzt werden. Mit den zwei, drei Kilometern, die wir bis zu unserer Ausfahrt an der Kolonne vorbeiziehen, vermieden wir sicherlich 20 Minuten Verzögerung. Das lässt man sich wohl erst recht im Alltag gern gefallen. Zwei Spuren Verbrenner, eine Spur Elektro, das entspricht schon in etwa dem Fahrzeugbestand auf den Straßen der Hauptstadt. Diese sind damit ein Märchenland für Aficionados des alternativen Antriebs: Alle, wirklich alle Elektrovehikel, die irgendein Hersteller hervorgebracht hat, sind munter in Betrieb befindlich anzutreffen.
Das Stadtzentrum ist auch für sie tabu. An diesem normalen Werktag wirkt es mitten in Oslo wie bei uns nur Sonntagfrüh. Nicht, dass nicht viele Menschen unterwegs wären – das sind sie, zu Fuß, auf Rädern und in Öffis –, bloß fehlt der gewohnte Indikator für
Der Verbrennungsmotor ohne Elektro soll 2025 aus den Neuzulassungen getilgt sein. Welche Probleme tauchen auf, wenn E-Mobilität zum Mainstream wird?
Betriebsamkeit, der Autoverkehr. Nirgendwo Hupen, kein Motorengeräusch, nur das Geratter der Straßenbahnen. Die frische Meeresluft inhaliert man in vollen Zügen – dem zuweilen irritierenden Brandgeruch sind wir auch noch auf die Spur gekommen: Er stammt aus den Holzöfen kleiner Saunas, die man am Hafenbecken spontan benutzen kann, Sprung ins eiskalte Wasser inklusive. So viel Folklore