»Wir haben keinen Owetschkin«
Eishockey-Teamchef Roger Bader (54) spricht über den Unterschied zwischen Österreich und den Besten der Welt, die enorme Belastung bei einer WM und rot-weiß-rote Talente.
Herr Teamchef, Hand aufs Herz: Wie gut ist Ihre WM-Mannschaft? Roger Bader: Mir stehen nicht alle Spieler zur Verfügung, aber ich bin glücklich über jene, die hier sind. Im Vorfeld haben wir alles getan, was wir tun konnten, um für diese Weltmeisterschaft bereit zu sein. Ob eine gute Mannschaft auf dem Eis gestanden ist, lässt sich erst nach der WM beurteilen. Ich habe ein gutes Gefühl. Sie sind seit Oktober 2016 Teamchef. Hat das österreichische Eishockey seitdem einen signifikanten Aufschwung erlebt? Ich finde schon, ja, unabhängig vom Aufstieg 2017 und dem Klassenerhalt 2018. Das ganze Umfeld wurde professionalisiert, auch der Kandidatenkreis an Spielern wurde größer, nachdem ich das Team verjüngt hatte. Viele junge Spieler glauben jetzt daran, eine Chance im Nationalteam bekommen zu können. All das hat sicher dazu beigetragen, dass wir jetzt einen Schritt weiter sind als noch vor ein paar Jahren. In den vergangenen beiden Jahren wurden vor der WM jeweils 16 Spiele absolviert. Wir haben jetzt die Lücke zu A-Nationen wie Norwegen, Dänemark und Frankreich geschlossen, Topteams wie Finnland, Schweden oder Tschechien spielen aber 20, 21 Spiele, man kann also noch mehr spielen. Wir haben aber nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität gesteigert. Von diesen 16 Spielen war nur ein einziges gegen eine B-Nation dabei. Vor meiner Amtszeit haben wir vorwiegend gegen Slowenien, Ungarn und Italien gespielt, das ist jetzt völlig anders. Die Gegner waren vorwiegend hochkarätig, mit dem Spiel gegen Kanada als Krönung. Testspiele gegen Deutschland gab es früher nicht, gegen Tschechien hatten wir zuletzt vor rund 15 Jahren gespielt. Und wenn wir gegen die Slowakei in der Vergangenheit gespielt haben, dann nie wie jetzt gegen die „Big Boys“, sondern gegen die B- oder C-Auswahl. Wir gewöhnen uns langsam an diese andere Spielweise. Solche Spiele auf Topniveau fallen in die Kategorie „beschleunigtes Lernen“. Der große Unterschied, auch zu Spielen in der heimischen Liga, ist die Zeit, die ein Spieler hat. Wenn du gegen einen Topgegner die Scheibe annimmst, hast du keine Zeit mehr, dich umzuschauen. Wenn du die Scheibe bekommst, ist der Gegner schon da, man muss also schneller reagieren und agieren. Du must lernen, mit dem Druck des Gegners umzugehen, aber auch selbst Druck zu erzeugen. Je mehr Spiele wir gegen gute Gegner haben, desto eher werden meine Spieler das verinnerlichen. Und irgendwann wird das hoffentlich normal. Haben Österreichs Eishockeyspieler einen physischen Nachteil gegenüber der Konkurrenz? In anderen Sportarten ist das so. Wir haben physische Rückstände gegenüber den Topnationen, das ist ganz eindeutig so und hat mitunter damit zu tun, dass in Österreich nur ein achtmonatiger Betrieb herrscht. Die Spieler werden Ende März oder Mitte April von ihren Vereinen verabschiedet, Trainingsbeginn ist dann erst wieder am 1. August. Bis dahin muss praktisch jeder Spieler selbst auf seinen Fitnesszustand achten. Fakt ist: Viele Spieler trainieren während dieser vier Monate nicht gut genug, wenn ich den Vergleich mit Spielern in Schweden, Finnland oder der Schweiz ziehe. Das ist ein Riesenunterschied. Die Sommervorbereitung muss in Österreich viel besser werden, es braucht ein athletisches Training über zwölf Monate. Ich würde mir wünschen, dass die heimischen Klubs das ganze Jahr Betrieb haben. Österreich bestreitet seine sieben Gruppenspiele innerhalb von 10 Tagen. Eine Belastung an der Grenze der Zumutbarkeit? Das ist eine gewaltige Belastung, ja. Und die Ungleichheit unter den 16 Teams macht sie nicht besser. Viele Mannschaften haben ihre sieben Spiele in zwölf Tagen, einige in elf Tagen. Und dann gibt es eben ein paar wenige, die das Programm in zehn Tagen ab
Roger Bader
(54) ist seit Oktober 2016 Teamchef der österreichischen Eishockey-Nationalmannschaft. Unter dem Schweizer gelang 2017 der Aufstieg in die A-Klasse der 16 besten Nationen, im Vorjahr glückte mit Platz 14 der Klassenerhalt.
Die WM-Spiele:
12. Mai (12.15 Uhr): Österreich – Russland 14. Mai (20.15 Uhr): Österreich – Schweiz 16. Mai (16.15 Uhr): Österreich – Schweden 17. Mai (16.15 Uhr): Österreich – Norwegen 19. Mai (16.15 Uhr): Österreich – Tschechien 20. Mai (20.15 Uhr: Österreich – Italien Alle Spiele live in ORF Sport+. spulen müssen. Das Programm richtet sich nach den jeweiligen Weltranglistenplatzierungen. Für uns ist das sicher kein Vorteil, unsere Mannschaft hat während der WM keinen einzigen freien Tag ohne Match oder Training. Österreich stellt mit Michael Raffl von den Philadelphia Flyers nur einen NHL-Legionär bei dieser WM. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss. Wir haben viele gute bis sehr gute Spieler, aber wir haben keinen Alexander Owetschkin, wir haben auch keinen Erik Karlsson. Wir haben keine Spieler, die alleine ein Spiel entscheiden können, aber im Kollektiv sind wir eine gute Mannschaft. Was kommt im österreichischen Eishockey nach? Der 17-jährige Vorarlberger Marco Rossi, der in der kanadischen Juniorenliga spielt, wird in Übersee hoch gehandelt. Man sollte im Zusammenhang mit dem Nationalteam wirklich nicht über Marco Rossi reden. 90 Prozent der Journalisten, die über ihn reden und schreiben, haben ihn noch nie spielen gesehen. Rossi ist talentiert und gut, keine Frage, aber es gibt da auch einen Julian Payr (18, HC Davos) oder Benjamin Baumgartner (19, HC Davos). Baumgartner ist bei der WM mit dabei – und er spielt sensationell für sein Alter. Ich finde, man sollte über ihn sprechen, weil er jetzt dabei ist, und das Thema Rossi lieber ad acta legen. Rossi hat noch nie in einer Erwachsenenliga gespielt, das ist ein Junior. Baumgartner spielt hingegen in der Schweizer Profiliga. Rossi sollte die Lorbeeren dann bekommen, wenn er sie verdient. Wie sieht Ihre Vision aus? Kann Österreich mittelfristig vielleicht sogar zu den zehn besten Nationen der Welt gehören? Die Top 10 sind momentan weit weg, man muss schon realistisch bleiben. Wenn wir drei Jahre hintereinander die Klasse halten können, dann dürfen wir davon sprechen, eine echte A-Nation zu sein. Wir wollen uns erst in den Top 14 etablieren. Sollte das gelingen, können wir uns neue Ziele setzen.