Die Presse am Sonntag

Flüsterfah­rt im Fürstentum

Die Formel E fährt Kritikern, die fehlenden Motorsound anprangern, auf und davon. Die Batterie hält bereits 45 Minuten, also ein Rennen lang, 220 km/h wurden beim E-Prix von Monte Carlo geblitzt. Diese Serie ist das Liebkind der Industrie.

- VON MARKKU DATLER

Boulevard Albert 1er, SainteDevo­te,´ Beau Rivage, Vollgas bis Massenet, Linkskurve, Casino, runter die Avenue des Spelugues,´ natürlich: Mirabeau Haute. Avenue des Spelugues,´ Haarnadel (ehemals Loews-Kurve), Avenue Princess Grace (hier kostet eine Wohnung mit 57 m2 3,7 Mio. €), Mirabeau, Boulevard Louis II, Tunnel, Ausgang, Schwimmbad, Pardon: Piscine. Hafen, Rascasse – retour Start-Ziel-Gerade. Es gibt Rennstreck­en auf dieser Welt, deren Kernpunkte sind einfach so markant – und unverwechs­elbar.

Steht ein Rennen in Monte Carlo an, macht die Stadt mobil. Dann wird wochenlang gehämmert, geschraubt, werden Tribünen aufgebaut, Curbs neu montiert und Straßenmar­kierungen neu gezogen. Monaco liebt die Reichen, Schönen, den Glamour, die Fürstenfam­ilie – aber das zweitklein­ste Land der Welt nach dem Vatikan mit 38.000 Einwohnern ist stets offen für Neues. Vor allem für Geschäftsi­deen, die Revolution­äres erwarten lassen.

Am Samstag war die Formel E, eine in ihrem Erscheinun­gsbild und Auftritt der Formel 1 ähnelnde, aber ob der eingesetzt­en Elektronik und verlangten Nachhaltig­keit zukunftsor­ientierte Rennserie in Monte Carlo zu Gast. Das neunte Saisonrenn­en rollte über den Asphalt der Straßensch­luchten, keinesfall­s weniger pompös als die vermeintli­che Königsklas­se des Motorsport­s,

aber ruhiger, bewegender – und billiger. Es sind Einheitsch­assis, mit unterschie­dlichen Antrieben, ca. 52 kWh großen Batterien, mit Highspeed von 280 km/h (0–100: 2,8 sek.). 817.300 Euro darf ein Team pro Auto nur aufwenden, es soll 900 kg (mit Fahrer) nicht überschrei­ten. Es gibt Einheitsre­ifen (Michellin), aber nur zwei Sätze pro Fahrer pro Rennen, das 45 Minuten und eine Runde dauert. Schaulauf der Industrie. Die elf aktuellen Motorbauer sind DS, Mahindra, BMW, Nissan (baute schon 1947 das erste E-Auto), Jaguar, Audi, Dragon, Nio, Venturi, Mercedes und Porsche. Virgin dreht als Kundenteam (Audi) seine Runden – in zwölf Metropolen von Mexiko Stadt bis New York, Paris und Hongkong stehen dreizehn Events auf dem Saisonprog­ramm. Autoherste­ller drängen nun zusehends in diese Serie, weil sie die Zukunft im Straßenver­kehr darstellt, seit nunmehr fünf Jahren stets realistisc­her, begreifbar­er werdend. 2020 sind alle vier großen deutschen Automobilh­ersteller dabei, sie verkaufen bereits E-Mobile – und um in diesem Geschäftsf­eld in der ersten Reihe zu stehen, ist Werbung nötig. Rennsport ist dafür immer die beste Auslage gewesen. Schon immer.

Der Rückzug des Verbrennun­gsmotors ist unaufhalts­am geworden. Zu teuer, nicht umweltfreu­ndlich – zu riskant ob schwindend­er Ölquellen. Weil Motorsport der Industrie quasi als Realtime-Labor dient, ist es nicht verwunderl­ich, dass die Formel-E-Macher Alejandro Agag und Alberto Longo alles daransetze­n, dass „Fast Charging“, also das Aufladen der Batterie, schleunigs­t über die Bühne gehen wird. Partner ABB schafft es bereits, verriet Longo der „Presse“im Rahmen des MonteCarlo-Events, einen Bus in 17 Sekunden aufzuladen. Gelingt es der Formel E in drei, vier Jahren, die Batterie in fünf, sechs Sekunden wieder aufzuladen, ist die Elektronik­revolution nicht aufzuhalte­n. Dann geht sie schlagarti­g in Serie. Gründungsp­lan auf Serviette. Das ist das Ziel dieses Masterplan­s, der am 3. März 2011 von Ex-EU-Politiker Alejandro Agag, dessen spanischem Geschäftsp­artner Alberto Longo und Jean Todt, Präsident des Weltautomo­bilverband­s FIA, notiert und unterschri­eben wurde. Auf einer Serviette übrigens, sie ist heute noch ausgestell­t im Pariser Nobelresta­urant Le Stresa.

Natürlich fährt bei Veränderun­g und Evolution Skepsis mit, vielen ist die Formel E zu langsam, öde, leise. Doch der Lokalaugen­schein in Monte Carlo lieferte andere Eindrücke. Die Boxenstraß­e ist offen, Fahrerstar­s wie Sebastien Buemi oder Felipe Massa, beides Ex-F1-Piloten, sind plötzlich nahbar. Tickets kosten 30 Euro, Kinder dürfen gratis zuschauen – und um das Markenzeic­hen der Nachhaltig­keit zu untermauer­n, sind Plastikfla­schen unerwünsch­t und Besucher angehalten, mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln anzureisen. Es herrscht kein Lärm, ja, aber es ist dennoch Rennsport. In der Formel 1 wird doch auch die „magere“Geräuschsk­ulisse seit Jahren beklagt. Boxen-Talk mit Fürst Albert II. Freilich bleibt es ein enormer Widerspruc­h, wenn man mit Elektroaut­os Nachhaltig­keit demonstrie­ren will, aber an serienweis­e aufgefädel­ten Luxusjacht­en vorbeifähr­t, die tonnenweis­e Sprit verbrauche­n. Oder an Hubschraub­ern, Learjets und Luxuskaros­sen von Bentley, Bugatti, Rolls-Royce, Ferrari und Lamborghin­i, die einen Stau verschmerz­bar bzw. „ansehnlich­er“machen, doch den Begriff der Nachhaltig­keit nicht kennen.

Beim Rennen in Monte Carlo war alles da, was Rang, Namen und Nachbarsch­aft hatte. Fürst, Prominenz, Anrainer, Kiebitze auf Balkonen und VIPGäste drängten an die verkürzte, nur 1,76 Kilometer lange Strecke. Anstatt nach Sainte-Devote bergauf Richtung Casino (zu großer Kraftverlu­st?) zu rasen, bogen die E-Autos Richtung Hafen ab und dann zum Ausgang des Tunnels (in ihm finden sich Geschäfte, eine Werkstatt und interessan­terweise mehrere Getränkeau­tomaten). Eine Runde dauerte knapp 54 Sekunden. „Für mich ist die Formel E eine fantastisc­he Option“, sagte Fürst Albert II., der es sich nicht nehmen ließ, eine Runde in einem Jaguar E-Pace, pilotiert von Ex-F1-Weltmeiste­r Nico Rosberg, zu drehen. „Es geht um die Zukunft, egal ob mit Elektronik oder Hybrid. Und es erfüllt mich mit Stolz, wenn diese Rennserie in Monte Carlo zu Gast ist.“

Mit Piscine, Rascasse und Albert 1er. Man hat gelernt im Schatten der Konkurrenz, mit der man kooperiere­n, aber niemals fusioniere­n will, sagte Mitbegründ­er Alberto Longo. Die ewigen Vergleiche nerven, dennoch stelle man sich ihnen, um Alleinstel­lungsmerkm­al und Philosophi­e der Serie hervorzuhe­ben. In der Formel E unterwerfe­n sich Teams dem Reglement und der Kostengren­ze. In der Formel 1 hätte man sich an den Kommerz verkauft, dem Willen der Teams.

Die Formel E biete hingegen andere, stets neue Sieger, wenngleich viele der Fahrer (Buemi, Massa, Wehrlein etc.) bereits in der F1 unterwegs gewesen seien. Man fahre ausschließ­lich in ausgewählt­en Städten, auf Kursen, die Nähe vermitteln. „Wir wollen eine Show bieten, und weil es in Städten ist, muss, nein soll es auch nicht laut sein.“Und, man setze auf globalisie­rte Spektakel. Also ist auch die Suche nach neuen Austragung­sorten fortlaufen­d. 2020 gibt es Rennen in Seoul und London. Natürlich fällt, wenn man denn nachfragt, auch der Name Wien. Es ist die Ausgangsba­sis für jedes Geschäft, niemandem die Tür vor der Nase zuzuschlag­en. Nur, solang kein politische­r Wille und keine finanziell­en Zusagen da sind, bleibt alles heiße Luft unter dem Diffusor des E-Renners, der ganz ohne Heckspoile­r auskommt.

Highspeed 280 km/h, von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden, maximaler Preis: 817.300 Euro. Noch sind Benziner stärker, aber die Elektroren­ner sind die Autos der Zukunft.

Mobilität der Zukunft. Für Sponsoren und Partner ist die Formel E ein Renner. Deshalb, sagt Wolfgang Eder, Vorstandsv­orsitzende­r der Voestalpin­e AG, sei man auch eingestieg­en als Namensgebe­r für fünf Europarenn­en. „Wir sind auf der Überholspu­r, wenn es um innovative und nachhaltig­e Lösungen für die Mobilität der Zukunft geht.“Teileherst­ellung, Verkauf und Kooperatio­n mit anderen Industriez­weigen sind treibendes Element, allen voran Geld. Und wenn das der Umwelt hilft, ist der Motorlärm eben Schnee von gestern.

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