Plötzlich wieder gehen
Mithilfe des Exoskeletts können Querschnittsgelähmte wieder gehen – eingespannt in einen bionischen Anzug. Gregor Demblin ist selbst seit 24 Jahren querschnittsgelähmt und hat nun ein Therapiezentrum eröffnet, in dem damit gearbeitet wird.
Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Schraubstock, in den man geklemmt wurde, wie eine schwere Last, die an einen drangehängt wurde und einen daran hindert, ein paar Schritte zu machen. Zumindest tut es das für Menschen, die gehen können.
Für jene, die das nicht können, weil sie querschnittsgelähmt sind, ist es das komplette Gegenteil. Für sie ist es eine Hilfe, die es ihnen ermöglicht, ein paar Schritte – oder nach gutem Training auch mehr – zu gehen, auch wenn sie dabei nicht selbst gehen, sondern vielmehr gegangen werden. Es ist aber mehr als das: ein Perspektivenwechsel, die Möglichkeit, aufrecht zu stehen, und sogar etwas, das „das ganze Leben verändert“. So formuliert es Gregor Demblin, der das Exoskelett nach Österreich gebracht hat.
Demblin sitzt seit seinem 18. Lebensjahr im Rollstuhl. Bei einem Unfall auf der Maturareise hat er sich den Halswirbel gebrochen und ist seitdem komplett querschnittsgelähmt. Ein Jahr lang war er danach in Rehabilitation. Nach zwei Jahren größter Anstrengung, wieder gehen zu lernen, musste er einsehen: Das wird nichts mehr. „Das Thema Gehen war damit abgehakt“, sagt Demblin, der dennoch betont, wie viel Glück er gehabt habe. „Ich habe ein Unternehmen mit 21 Mitarbeitern, My Ability. Ich bin verheiratet und habe vier Kinder. Ich bin glücklich und dankbar, was ich alles erreicht habe.“
Irgendwann sei das Thema Gehen dann aber doch wieder aufgetaucht, „nicht aus der medizinischen, sondern aus der technischen Ecke“. Vor ein paar Jahren ist er im Internet erstmals auf das Exoskelett gestoßen. Ein bionischer Anzug, der gehbehinderten Menschen angeschnallt wird und mit dessen Hilfe – und Unterstützung durch einen Physiotherapeuten – sie wieder gehen können. Wobei: Geheilt sind diese Menschen dadurch natürlich nicht, vielmehr ist es das Gerät, das den Körper bewegt.
Irgendwann habe er den deutschen Physiotherapeuten Dennis Veit kontaktiert, der mit dem Exoskelett arbeitet, und das Gerät im Juli 2017 auch ausprobiert. „Ich dachte zuerst, das wird nicht funktionieren, aber beim ersten Mal gehen nach 23 Jahren bin ich gleich 500 Schritte gegangen. Das Gefühl war schwer zu beschreiben.“Es war einerseits extrem anstrengend – noch Tage danach hatte er einen Muskelkater –, andererseits habe es sich so richtig angefühlt. „Ich habe gemerkt, im Körper tut sich etwas, es rutschen die Organe wieder dorthin, wo sie hingehören.“Und er habe gewusst, dass er das öfter machen will, sagt Demblin in einer Saturn-Filiale im Donauzentrum in Wien. Schlaganfallpatienten. Dort wurden nämlich das Exoskelett und auch das Therapiezentrum Tech 2 People, das Demblin gemeinsam mit dem Physiotherapeuten Dennis Veit und Michael Seitlinger gegründet hat, vorgestellt. Die Elektrofachkette hat das Unternehmen Tech 2 People bei der Anschaffung eines Exoskeletts finanziell unterstützt. Rund 150.000 Euro kostet das Gerät, das in den USA entwickelt wurde. Hinzu kommen die Kosten für einen Physiotherapeuten, der das Gerät bedient, sowie für die Erhaltung des Geräts. Sein Ziel war es, dass möglichst viele gehbehinderte Menschen die Möglichkeit bekommen, nicht nur ein Exoskelett einmal auszuprobieren, sondern damit zu trainieren, „zu Preisen einer normalen Physiotherapie“, wie Demblin sagt. Im Dezember des Vorjahres wurde das Therapiezentrum in Döbling gegründet, derzeit nutzen knapp 100 Menschen das Angebot.
Gedacht ist das Angebot nicht nur für Querschnittsgelähmte, sondern auch für Schlaganfallpatienten oder Menschen mit Multipler Sklerose. „Das ist eigentlich die ideale Therapie für Schlaganfallpatienten, wir haben leider noch keine in unserem Zentrum. Aber die können massiv davon profitieren, weil sie das größte Potenzial haben, wieder gehen zu lernen“, sagt Demblin. Aber auch für jemanden wie ihn, der erst nach rund 23 Jahren wieder ausprobiert zu gehen, habe es enorme Vorteile. „Der unerwartete Effekt war der auf die Psyche. Ich war dadurch aktiver, motivierter, kreativer. Das macht etwas mit dem Gehirn“, sagt Demblin.
Aber auch sonst spürt er Fortschritte. Er trainiert derzeit drei bis vier Mal pro Woche jeweils knapp eine Stunde mit dem Gerät (und einem Therapeuten). Seit er das regelmäßige mache, müsse er keine Antibiotika mehr nehmen, und auch die Verdauung funktioniere besser. „Sitzen ist ja Gift für den Körper, das merkt jeder, wenn er einen 14-Stunden-Flug hinter sich hat. Menschen im Rollstuhl haben das aber andauernd.“Was unter anderem auch zu einem massiven Abbau der Knochen führe. „Ich habe heute, mit 42 Jahren, die Knochen eines 60- oder 70-Jährigen“, so Demblin. Seit er mit dem Exoskelett trainiere, ist der Knochenabbau immerhin gestoppt.
Es sei ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, nach 23 Jahren wieder zu gehen. Das Gerät biete keine Heilung, aber ein gutes Training für Körper und Psyche.
Er kann sich noch gut daran erinner, wie er den bionischen Anzug zum ersten Mal probiert hat. Es war natürlich kein Vergleich zum „normalen“Gehen vor seinem Unfall. Demblin vergleicht es mit einer extrem anstrengenden Bergtour oder dem Gehen über einen sehr schmalen Steg, bei dem es links und rechts steil in die Tiefe geht. Aber er hatte danach Tränen in den Augen, weil er so berührt war, wieder ein paar Schritte zu machen. Keine Heilung. Ihm sei aber auch wichtig zu betonen, dass das natürlich nichts mit einer Heilung zu tun habe. Wenn sich die Technik bei dem Gerät nur annähernd so rasch entwickle wie bei Smartphones, sei es aber bald eine Alternative zum Rollstuhl. „Nach meinem Unfall hat es geheißen, die Medizin ist in 15, 20 Jahren so weit, dass Querschnittsgelähmte wieder gehen können. Heute heißt es das auch, aber dazwischen liegen 23 Jahre.“Heute hält er das allerdings für realistischer. Das Exoskelett sei eine gute Hilfe, um sich darauf vorzubereiten.
Für Menschen, die gehen können, ist es, wie schon erwähnt, das Gegenteil einer Hilfe, eher eine Behinderung. Aber auch etwas, das, nachdem man es nach einer Proberunde abgelegt hat, einen daran erinnert, wie schön das Gehen eigentlich sein kann. Gregor Demblin, Michael Seitlinger und Dennis Veit haben Ende 2018 das Unternehmen Tech 2 People gegründet, das von Physiotherapeuten unterstützte Therapien mit dem Exoskelett anbietet. Das E-Health-Start-up richtet sich an Menschen mit Behinderung, aber auch Schlaganfallpatienten. tech2people.at