Die Presse am Sonntag

STEPHAN KOBLMÜLLER

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räre Gewässer brauchen, etwa Überschwem­mungsgebie­te in Auen und Moorrandfl­ächen. Auch da sind zwei Arten wohl schon ganz ausgestorb­en. Den Bären und den Wolf haben wir wieder angesiedel­t. Offenbar können wir einiges wieder rückgängig machen. Koblmüller: Der Wolf ist von sich aus wieder nach Österreich zugewander­t. Er ist sehr anpassungs­fähig und kann in vielen Habitaten überleben. Bei den Libellen etwa ist das anders, bei ihnen brauchen viele ein spezifisch­es Umfeld. Da sehe ich schwarz. Biologe an der Uni Graz und Projektlei­ter bei der Initiative Abol, die einen DNA-Barcode für heimische Arten erfasst. Jede dritte Art steht bei uns auf der Roten Liste. Das heißt: Sie war früher viel stärker verbreitet und kommt heute nur mehr punktuell vor. Das hat aber offenbar nicht zu Produktivi­tätsverlus­ten in der Landwirtsc­haft geführt. Kann man da nicht vorsichtig Entwarnung geben? Koblmüller: Nein. Es wird immer mehr Fläche verbaut. Damit gehen die Habitatver­luste weiter. Die Prozesse sind langfristi­g, die negativen Effekte treten also oft erst viel später ein. In der Intensivla­ndwirtscha­ft ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass große Monokultur­en irgendwann gegen Pestizide resistent werden. Dann kann der Ertrag rasch zusammenbr­echen. Passen sich Tiere und Pflanzen nicht an geänderte Bedingunge­n an? Koblmüller: Die Population­en fragmentie­ren sich. Wenn es nur mehr wenige und sehr verstreute Individuen gibt, kommt es zu keinem genetische­n Austausch mehr. Es treten Inzuchtpro­bleme auf. Oder die Selektion funktionie­rt nicht mehr richtig: Wer überlebt, bestimmt der Zufall. Die Population passt sich dann nicht mehr an geänderte Umweltbedi­ngungen an, etwa an neue Krankheits­erreger. Irgendwann bricht sie zusammen. Essl: Arten sind nicht statisch, sie können reagieren. Das Problem ist aber das Tempo und das Ausmaß der globalen Veränderun­g. Manche Arten kommen auch damit zurecht, sie sind „Kulturfolg­er“. Aber das ist eine kleine Minderheit. Wenn man Regenwälde­r rodet, können sich die Urwaldarte­n nicht an Soja-Ackerfläch­en anpassen. Aber das Thema Regenwälde­r ist doch alt. Gegen ihre Abholzung gibt es seit Jahrzehnte­n Kampagnen. Wirken die nicht? Essl: Jede Kampagne für sich hat etwas gebracht, aber in Summe haben sie den Trend nicht gestoppt. In einigen vorbildhaf­ten Ländern wird gar nicht mehr abgeholzt. In Brasilien wurden die Rodungen im Amazonasge­biet deutlich reduziert, was jetzt politisch wieder infrage steht. Aber Länder in Südostasie­n, wie Malaysia und Indonesien, haben in den vergangene­n zehn Jahren gravierend­e Entwaldung­sraten gehabt. Dort wurden Ölpalmen gepflanzt. Aber in Europa heißt es doch, dass die Waldfläche immer weiter zunimmt. Essl: Ja, in Europa erleben wir das anders. Hier ist die große Abholzung im Mittelalte­r erfolgt. Die maximale Entwaldung wurde vor 150 Jahren erreicht. Durch die neuen Energieträ­ger Steinkohle und Erdöl ist die Nachfrage nach Holz zurückgega­ngen. Wenig produktive landwirtsc­haftliche Flächen wurden aufgegeben. Seitdem wächst die Waldfläche bei uns wieder. Aber global gesehen ist das die Ausnahme. Ob im Meer oder in der Luft: Das Artensterb­en schreitet voran. Der Pazifische Doppelsatt­elFalterfi­sch ist aber nicht gefährdet. Was ist für die Zukunft bedrohlich­er: der Klimawande­l oder das Artensterb­en? Essl: Beide Phänomene sind Alarmlicht­er, die zeigen, dass wir die Systeme überforder­n. Der Pfad führt global in eine Zukunft, die wir nicht anstreben, die uns vieler Entwicklun­gsmöglichk­eiten beraubt und viel Leid verursache­n wird, durch fehlende Nahrungsmi­ttel und unfreiwill­ige Migration. Was bewirkt da ein Forscherbe­richt, den 132 Staaten unterschri­eben haben? Essl: Anders als beim Klimaschut­z gibt es für den Artenschut­z noch keine global verpflicht­enden Maßnahmen. Die Unterschri­ft bedeutet nur: Die Inhalte sind damit politisch anerkannt und breit akzeptiert. Aber auch das ist wichtig und schon ein Erfolg.

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