Was Sie in Venedig sehen müssen: der Biennale-Leitfaden
Wo kann man das beste Selfie machen? Wo sollte man es vermeiden? Und was ist politisch abzulesen aus den Beiträgen von Iran und den USA? Die Biennale Venedig in einigen Punkten. Natürlich unvollständig. Aber immerhin eine Orientierungshilfe in diesem Chao
Wo, verdammt, ist Simbabwe?“„Ganz woanders! Da war ich schon, ist eh nicht so toll. Aber Litauen ist großartig!“„Wo?“„Am anderen Ende.“So spult der seriöse Biennale-Veteran seine Kilometer über Brücken und Kanäle und Durchgänge und (Sack-)Gassen ab, um nur ja keinen der 91 Länderpavillons zu versäumen, um nur ja den ultimativen Geheimtipp nicht zu verpassen. Oder um sich allenfalls ein paar Ecken weiter rächen zu können beim nächsten Verzweifelten, auf den er mit Print-Biennale-Plan in der einen, Handy-Navigation in der anderen Hand stößt: „Litauen? Naja. Aber Simbabwe! Muss man gesehen haben!“
Der „Running Gag“mit Litauen ist gestern, Samstag, zumindest für das Land selbst gut ausgegangen (weniger für die, die den weiten Weg nicht auf sich genommen haben). Denn um die Balten zu finden, musste man einen weiten Bogen rund ums ganze Arsenale laufen, wo man sich in einem abgelegenen Eck im Militärsperrgebiet eingemietet hat. Dann aber! Wirklich! Welche Künstlerinnen, welche Künstler Sie unbedingt sehen sollten bei der Biennale, welche Wege sich tatsächlich lohnen, lesen Sie hier (natürlich von völlig subjektivem, ein wenig Österreich-lastigem Kritikerinnenstandpunkt aus):
Litauen. Ja, gefunden. Und der diesmal als bester Pavillon ausgezeichnete verdient die Anstrengung und den Preis durchaus. Von einer Art Balkon aus sieht man dann hinunter auf eine bühnenartige Situation, ein lebendes, singendes Bild. Ein paar Tonnen Sand haben Rugile˙ Barzdziukaitˇe,˙ Vaiva Grainyte˙ and Lina Lapelyte˙ hier auf
Länder
sind heuer mit Pavillons auf der Biennale vertreten.
Millionen Euro
betrug das Budget von Ralph Rugoff für die Hauptausstellung. schütten lassen, um darauf die von ihnen getextete, komponierte und inszenierte „Strandoper“aufzuführen. Ein gutes Dutzend Sänger und Statisten performen in Badekleidung, spielen Badminton, picknicken. „Sun and Sea (Marina)“handelt über die skurrile Atmosphäre eines faulen Strandtags, an dem jedem andere Gedanken durch den Kopf gehen – von Absurditäten der Globalisierung über Träume von sündigen Veganern bis zu Erinnerungen an den ertrunkenen Ex-Gatten. Calle de la Celestia 2737F, nur bis 31. Oktober. Österreich. Heuer erstmals von einer Frau allein bespielt, was langsam wirklich peinlich zu erwähnen wird, angesichts der langen Geschichte von SoloKünstlerinnen in anderen Länder-Pavillons. Wir bekommen daher, was wir verdienen: Eine eiskalte Abrechnung mit unseren Klischees über Frauen, Liebe, Wärme, Fürsorge, Mutterschaft und so. Renate Bertlmann, eine mittlerweile 76-jährige Kämpferin der feministischen Avantgarde, stellt im Garten hinter dem Pavillon 312 rote Glasrosen auf, aus denen spitze Klingen ragen. Blumen und Frauen sind eben eine Kombination, die viele Missverständnisse birgt, denkt man etwa ans Gomringer-Gedicht, das von einer Berliner Hochschulfassade entfernt wurde. An das Lied übers Heidenröslein. Oder den Muttertag. Bertlmann scheut sich nicht, uns das noch einmal überdenken zu lassen. Ist passe?´ Nicht in Zeiten, in denen in Polen feministische Kunst aus Bertlmanns Generation wieder abgehängt wird aus den Museen. Giardini. Gruselkabinette. Gibt es in diesem insgesamt eher schwachen Pavillon-Jahr einige. Negativbeispiel: Russlands Schleichwerbung fürs Hermitage-Museum mit einer pathostriefenden Inszenierung von Rembrandts Bild „Der verlorene Sohn“. Streiten übers Gruseln kann man sich bei Belgien, wo Joos de Gruyter und Harald Thys eine Gruppe mechanischer Handwerker-Puppen a` la Volkskundemuseum aufgestellt haben, als Horrorszenario von Heimat sozusagen. In Käfigen rundum dann die Außenseiter. Sag noch einmal wer, Bertlmanns Beitrag wäre platt. Subtile Gruselkabinette: England mit Cathy Wilkes verlorenen Kinderfiguren, umgeben nur von Fragmenten von Fürsorge und Geborgensein, wie eine schmerzhafte Erinnerung. Hat mit Brexit augenscheinlich nichts zu tun, am Ende gefühlt aber ganz viel. Daneben Frankreich, der Publikumsliebling. Stellen Sie sich an in der langen Schlange – das Fantasy-Set von Laure Prouvost mit dystopisch-zauberhafter Vagabundenfilmschau im Inneren eines OktopusBauchs muss man gesehen haben, um mitzureden. Giardini.
In Island darf man durch eine kunterbunte Höhle aus Haaren schreiten. Am besten schnell.
Selfiekulisse. Der Weg zu Island ist weit – man muss auf die Insel Giudecca fahren. Dort hat die sehr gehypte Künstlerin namens „Shoplifter“eine begehbare Raumflucht mit knallbuntem Kunsthaar ausgepolstert und ausgehängt. Eh nett. Und man ist auch recht schnell wieder draußen. Spazio Punch.