Die Presse am Sonntag

Viele Frauen, keine Angst

Stimmige Revue zur Eröffnung der Wiener Festwochen.

- TK

„Lest mal wieder Theweleit, denn mit uns kommt die neue Zeit“: Wer hätte je gedacht, dass der alte deutsche Kulturtheo­retiker und Autor der „Männerphan­tasien“in einem Lied auftauchen wird, das über den Wiener Rathauspla­tz erschallt? Eva Jantschits­ch vulgo Gustav ist’s zu verdanken, die bei der Eröffnung der Wiener Festwochen zwar nicht selbst auf der Bühne stand, aber mit ihrem Song „Die Hälfte des Himmels“präsent war, im sicheren Versmaß interpreti­ert von Birgit Denk, Jelena Poprzanˇ und Katharina Straßer.

Letztere hatte davor eine Version von „Ham kummst“gebracht – und bewiesen, dass diese Strawanzer­Hymne ein Gender-Bending gut verträgt, vor allem wenn dazu männliche Cheerleade­rs ihre Reize vorführen. Und sie passt auch bestens zu Hugo Wieners „Aber der Novak lässt mich nicht verkommen“, das ja eine verhindert­e Strawanzer­in vorführt, die so gern statt Memphis einmal Marihuana rauchen und sich mit einem Walfisch vergessen würde. Straßer, charmant begleitet von Boris Fiala, sang auch das mit Verve.

Es war ein Abend voller solcher feiner Assoziatio­nen, gestaltet überwiegen­d von Frauen, an denen es ja in Wiens Musikszene nicht mangelt. „This is a woman’s world“, sang Marie Spaemann passend in Neneh Cherrys „Woman“. „Mädchen, die pfeifen, und Hähnen, die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen“, habe ihre Uroma stets gesagt, erzählte Birgit Denk, pfiff sich eins und pries ihre Cremeschni­tten. Böseren weiblichen Protest zelebriert­e Jelena Poprzan:ˇ So laut hat man noch nie eine Seeräuber-Jenny das Wort „Alle!“schreien gehört.

Leiser, subtiler, aber umso bedrohlich­er interpreti­erte Anja Plaschg alias Soap&Skin den uralten Blues „Me And The Devil“, Robert Johnsons Zeile „I’m going to beat my woman until I get satisfied“hat sie in „I’m gonna see my man until I get satisfied“umgedichte­t, offen bleibt, ob der Teufel noch immer ein Mann ist. Skero im Tröpferlba­d. Männerstim­men fehlten nicht völlig: Das energetisc­he Balkan-Rap-Duo EsRAP ist zur Hälfte männlich; Slavko Ninic´ von der Wiener Tschuschen­kapelle sang das rührende „Moja Mala“; der für seine „Kabinenpar­ty“berühmte Rapper Skero brachte gemeinsam mit Denk das alte Wienerlied „Tröpferlba­d“und allein das auf gewitzte Art kapitalism­uskritisch­e „Stur“, in dem sich u. a. Karl Marx auf Carl Barks reimt). Und er fügte sich auch ins vielleicht gewagteste Vorhaben des Abends: Hansi Langs „Keine Angst“seiner Hardrock-Kluft zu entkleiden und in ein orchestral­eres Kostüm zu stecken. Das gelang nicht ganz.

Auch rhythmisch waren wieder alle beisammen bei der Partisanen­hymne „Bella Ciao“, dem passenden Abschluss einer Revue, die politisch klar ausgericht­et, aber nicht plakativ war, wienerisch und zugleich weltoffen, populär, aber ohne sich einem vermeintli­chen Massengesc­hmack anzudienen. So lassen sich Wiener Festwochen gut eröffnen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria