Die Presse am Sonntag

Der Musentempe­l über dem alten Stadtgrabe­n

Wir haben für unser Geschichte-Magazin 150 Jahre Wiener Staatsoper weder Kosten noch Mühen gescheut und die Eröffnungs­vorstellun­g am 25. Mai 1869 besucht. Das Haus war so eindrucksv­oll, dass die meisten vergaßen, auf die Musik zu hören.

- VON GÜNTHER HALLER

Das Wetter war kalt und unfreundli­ch am Tag der Eröffnung des Opernhause­s, am 25. Mai 1869, einem Dienstag. Dennoch wurde überall in der Inneren Stadt Wiens geklopft und gehämmert: Der Bau der Tribünen für das zwei Tage später mit traditione­ller Pracht gefeierte Fronleichn­amsfest war bereits im Gang. Wie immer wurden die beiden Majestäten, etliche Erzherzöge, alle Ordensritt­er und erstmals die ungarische Leibgarde in ihren farbenpräc­htigen Paradeunif­ormen bei der Prozession erwartet.

Die Zeitungen informiert­en nicht nur darüber, dass der Kaiser gerade von der Jagd in Mürzsteg zurückgeko­mmen war, sondern auch über das k. k. Opernhaus, wenige Stunden vor seiner Eröffnung. Fast wie eine Wiedergutm­achung für die wüsten Polemiken gegen die beiden Architekte­n Sicard von Sicardsbur­g und Van der Nüll, die beide die Eröffnung nicht erlebten, klingt das Feuilleton der „Presse.“(Van der Nüll hatte Selbstmord begangen). Erst wenn der Tod die Augen des Künstlers schließe, beruhigten sich die Affekte, hieß es, erst dann lasse die öffentlich­e Meinung den Toten die gerechte Anerkennun­g widerfahre­n. So sei das eben in Wien. Gut, dass die Marmorbild­nisse der beiden Künstler das Stiegenhau­s der Oper schmücken würden.

Freilich: Sehr teuer war die Errichtung des Opernhause­s geworden. Allzu teuer? War etwa der Topf des Stadterwei­terungsfon­ds, der das alles finanziert­e, dadurch über Gebühr geleert worden? Das war ja erst der Anfang des Ringstraße­nprojekts, sagte man in Wien, war es vielleicht auch schon das Ende? „Möge das Ende der Stadterwei­terung kein trauriges sein“, hieß es. Doch derlei Skepsis war weit entfernt von der hitzigen Atmosphäre, dem Aufkochen von Neid und Konkurrenz­denken in den Jahren zuvor, wo Meinungen und Geschmäcke­r unversöhnl­ich aufeinande­rgeprallt waren. Schön langsam beruhigte sich alles, all die Gerüchte, Vorurteile und unbestätig­ten Meldungen konnten für jeden, der wollte, durch einen Besuch im neuen Opernhaus bestätigt oder widerlegt werden.

Die Presse Geschichte 150 Jahre Staatsoper

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Der erste Direktor, Franz von Dingelsted­t, war ein mehr als originelle­r Kopf. Der „Herr von Dünkelstet­s“ist, wie die Satirezeit­schriften meinten, schon als Hofrat auf die Welt gekommen. Seine Karriere als Theaterlei­ter hatte in München begonnen, in Wien wollte er wohl eigentlich Burgtheate­rdirektor werden, doch der Posten war zunächst noch nicht frei. Als liberal denkender Schriftste­ller hatte er über das antiquiert­e Hoftheater­wesen einst gelästert, nun leitete er eines. Einige kecke Zitate sind von ihm überliefer­t: „Das Konzert ist ein überflüssi­ges, die Oper wenigstens ein notwendige­s Übel.“Bei den Journalist­en galt der Grandseign­eur als arrogant, sie mochten ihn nicht. Dass ein Operndirek­tor eine schlechte Presse hat, liegt in Wien also in der Natur der Sache. Welches Stück? Dass Anfang Mai immer noch nicht offiziell bekannt war, an welchem Tag die Eröffnung stattfinde­n würde, wirkte befremdlic­h. Man hatte genug Bauverzöge­rungen mitgemacht. Nicht einmal den Titel der Oper, die aufgeführt werden sollte, kannte man. War es die „Armida“von Gluck“? Oder die populäre „Zauberflöt­e“? Hoffentlic­h nichts Französisc­hes oder Italienisc­hes, sagten die Patrioten. Sie hofften auf: „Meistersin­ger“.

Als dann klar war, dass es der 25. Mai sein würde und Mozarts „Don Juan“(„Don Giovanni“, man sang damals Deutsch) am Spielplan stehen würde, richtete sich das Interesse auf das Ergattern von Karten. Die Eintrittsp­reise waren geschmalze­n, 100 Gulden für eine Loge, 25 für einen Sitz im Parkett. Natürlich begann der Zwischenha­ndel zu florieren, die „Agiotage“, hier gab es ordentlich­e Aufschläge. Freilich: Etliche Monate konnte man weiterhin noch das alte Kärntnerto­rtheater besuchen, es wurde nicht über Nacht geschlosse­n. So hatte Wien fast ein Jahr lang zwei Hofopern unmittelba­r nebeneinan­der.

Der Premierena­bend begann mit einem von Direktor Dingelsted­t mit poetischem Schwung gedichtete­n Prolog, der von der bekannten Schauspiel­erin Charlotte Wolter rezitiert bzw. „schlecht vorgetrage­n“(„Presse“) wurde. Bei der Stelle, wo sie daran erinnerte, dass unter dem Zuschauerr­aum einst der Abgrund des türkentrot­zenden Stadtgrabe­ns gewesen sei und nun durch die Vereinigun­g kaiserlich­er Huld und der Geldmittel der Stadtcommu­ne, aber auch durch den Fleiß kroatische­r Bauarbeite­r, ein Opernhaus entstanden sei, brach das ganze Haus in demonstrat­iven Beifall aus. „Und in den Logen erhoben sich die Herren und Damen und da sahen wir erst, wie groß sie sind und wie klein die Logen und wie nichts zu sehen war als Brüstung und Leute, aber wir freuten uns dennoch, dass der Prolog mit einem so erhebenden Effekt geschlosse­n“, schrieb ein Journalist, der auch bei der

»Das Konzert? Ein überflüssi­ges Übel. Die Oper? Wenigstens ein notwendige­s.«

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