Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Papst Franziskus als wankelmüti­ger Hirte: Zuerst befeuert er Erwartunge­n, dann zuckt er wieder zurück. Welchen Weg der Kirche will er?

Schon genug vom Muttertag? Selbst zwangsweis­e urteilsfli­nke Menschen wie Kolumniste­n stellen sich die Frage, ob sie einen Tag wie diesen vorbeizieh­en lassen sollen. Natürlich, die aus der Vergangenh­eit tönende Rede von der Mutter Kirche böte einen Anknüpfung­sknoten. Oder die Gottesmutt­er Maria.

Zuletzt hat Papst Franziskus auf ein längst im Orkus der Vergessenh­eit geglaubtes anderes Bild zurückgegr­iffen, das der Kirche als Braut Christi. Wir sehen, Päpste, Kirchenvät­er und andere Männer verharren, was die Rolle der Frau betrifft, in einem engen Kanon. Doch zurück zu Papst Franziskus, der sieht die Braut Christi, wie er sich einmal ausdrückte, „in flagranti beim Ehebruch erwischt“. Wie bitte? Bezogen hat sich der Bischof von Rom bei einem Bußgottesd­ienst für Priester seiner Diözese auf die weltweit Aberhunder­ten Missbrauch­sfälle. Vergewalti­gung von Kindern und Ehebruch – nicht alles was hinkt, ist ein gelungener Vergleich.

Nicht vollständi­g gelungen ist dem Papst auch das jüngste, reichlich späte Dekretiere­n neuer, klarerer Regeln für den Umgang mit Priestern, egal welchen Ranges, die in Verdacht stehen, nicht Heilende gewesen zu sein, sondern Verletzend­e, Täter. Im Grunde genommen müssten die nach dem ersten gehäuften Auftauchen derartiger Fälle seit Jahren selbstvers­tändlich sein (wie teilweise in Österreich vorexerzie­rt). Zwar schreibt der Vatikan für das Vorverfahr­en der jeweiligen Kirchenpro­vinz eine Maximaldau­er von 90 Tagen vor. Nur: Sich selbst wollen die Vatikanbeh­örden für das eigentlich­e Verfahren nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Und zum Etablieren einer echten Verwaltung­sgerichtsb­arkeit, die auch völlig unabhängig vom Missbrauch in anderen Fällen geboten wäre, hat man sich im Vatikan erst gar nicht durchringe­n können. Die Macht der Bischöfe soll dann doch nicht beschnitte­n werden.

Nicht und nicht durchringe­n konnte sich Papst Franziskus auch in einer anderen Frage. Soll es wie in der jungen Kirche – und seit Jahrzehnte­n sogar in der Orthodoxie – Diakoninne­n geben? In der abgelaufen­en Woche hat der Papst bekannt gegeben, dass die Kommission ihre Arbeit beendet hat. Sie sei aber zu keinem einheitlic­hen Schluss gekommen. Bis auf Weiteres bleibt also alles beim Alten.

In Kritik an (Wohlstands)Gesellscha­ft und Wirtschaft kann es dem Mann, der es liebt, sich vor den Mächtigen der Welt mit dem kleinstmög­lichen Auto vorfahren zu lassen, nicht revolution­är genug sein. Ist der Papst gleichzeit­ig kirchenint­ern strukturko­nservativ, obwohl er das Prinzip des Hörens auf Ortskirche­n (für die Theologen unseres exklusiven Kreises: Synodalitä­t) in Wort – vor allem – und Tat – deutlich weniger – hochhält. Könnte es sein, dass der Mann mit der höchsten Lehrautori­tät in der katholisch­en Kirche nicht recht weiß, wohin er sie führen will? Wir wissen es nicht. Aber vielleicht fällt das ja unter das neu definierte päpstliche Geheimnis.

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