Das Drehbuch für das »Projekt Ibiza«
Wie Gudenus und Strache in jene Videofalle tappten, die ein Wiener Anwalt und ein vorbestrafter Detektiv ausgelegt hatten.
Der Anfang vom Ende der türkis-blauen Koalition begann elf Monate vor ihrer Geburt. An einem Wintertag im Jänner 2017 läutete das Telefon bei Johann Gudenus, dem damaligen Wiener Vizebürgermeister der FPÖ. Eine befreundete Immobilienmaklerin rief an. Sie habe eine Interessentin für den 220 Hektar großen Grundbesitz der Familie nahe Krems gefunden. Der ihr bekannte Wiener Innenstadt-Anwalt M. habe sich gemeldet und von einer potenziellen Käuferin aus Lettland erzählt, einer Verwandten eines russischen Oligarchen.
Gudenus wurde hellhörig. Nach dem Tod seiner Vaters, John, im September 2016 hatte der Familienrat beschlossen, Teile der ausgedehnten Jagd-, Wald- und Fischereigründe zu veräußern. Die Hege und Pflege der Liegenschaften war mit den Jahren zu zeitaufwendig geworden und warf finanziell nur wenig ab. Gudenus willigte ein, die kaufkräftige Lettin und den Wiener Anwalt so bald wie möglich zu treffen. Er ahnte nicht, dass die Falle ausgelegt war, die ein paar Monate später, am 24. Juli 2017, in einer Finca auf Ibiza zuschnappen würde.
Reset-Knopf. Am Freitagabend der Vorwoche, bald zwei Jahre nach dem verhängnisvollen Abend auf der Baleareninsel, veröffentlichten „Der Spiegel“und die „Süddeutsche Zeitung“einen heimlich gefilmten Mitschnitt des sechsstündigen, alkoholgetränkten Gesprächs, das Gudenus, dessen Frau, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, die vermeintliche Lettin alias Aljona Makarowa und ein Mann führten, der sich als Detektiv aus München namens Julian Thaler ausgab. Seither liegt nicht nur Gudenus’ Karriere in Scherben. Strache musste als Vizekanzler zurücktreten, die türkis-blaue Regierung zerbrach. Die ganze Republik steht kopf.
Zu skandalös war, was Strache, auf einem dunkelbraunen Sofa lungernd, der vermeintlichen Verwandten des russischen Oligarchen Igor Makarow da antrug. Er stellte ihr, keine drei Monate vor der Nationalratswahl, unverblümt Staatsaufträge in Aussicht, würde sie vorbei am Rechnungshof an parteinahe Vereine spenden und die Hälfte der „Kronen Zeitung“erwerben, um dann die FPÖ zu pushen.
Im Kopf von Gudenus läuft seither ein Film ab. Immer wieder geht er die Schlüsselszenen durch. „Peinlicher geht es nicht mehr“, sagt er. Gudenus wirkt bei einem Treffen Mitte voriger Woche mitgenommen. Seine Augen wandern hin und her. Er hat Angst vor weiteren Enthüllungen. Deshalb ist er aus der FPÖ ausgetreten. Waren bei dem Ibiza-Exzess Drogen im Spiel? Bisher sind erst sieben Minuten aus dem Video gezeigt worden. Am liebsten würde der gefallene FPÖ-Star den Reset-Knopf drücken. Warum nur hat er die Falle nicht erkannt? Das fragt sich Gudenus nun ständig.
Es war Ende März 2017, als er die Frau, die sich Aljona Makarowa nann
Die Wiener Innenstadt als Schauplatz zwielichtiger Umtriebe mit Sprengkraft.
te, zum ersten Mal sah. Schlank, braunes Haar, Mitte 30, elegant gekleidet. Sie ließ sich, begleitet von Leibwächtern, in einem Luxuswagen zum Grand Hotel am Wiener Ring chauffieren. Der Wiener Innenstadt-Anwalt M. hatte ein Treffen im Le Ciel, dem Restaurant im Dachgeschoß der Nobelherberge, arrangiert. Am Tisch saß auch ein Mann, der sich als besagter Julian Thaler und Inhaber einer Sicherheitsfirma in München vorstellte.
Es entspann sich ein lockeres Gespräch. Die Fake-Investorin mimte nicht nur Interesse am niederösterreichischen Grundstück der Familie Gudenus, sondern auch an guten Schulen. Sie gab vor, mit ihrem Sohn nach Wien ziehen zu wollen. Vor allem aber ging es ums Geschäft, um Anlagemöglichkeiten in Österreich. Laut Gudenus zeigte sich die Dame gut informiert und fragte auch im Le Ciel schon nach den Anteilen der „Kronen Zeitung“, die damals auf dem Markt waren.
Das nächste Rendezvous fand nahe dem Stephansplatz in der Kanzlei des Anwalts M. statt. Und dort hat der Advokat, so erzählt es Gudenus, einen Reisepass vorgelegt, um die Identität der vermeintlichen Lettin nachzuweisen.