Die Presse am Sonntag

Kommissar-Bestellung im Vakuum

Im Juli muss Österreich sein künftiges Mitglied für die EU-Kommission nominieren. Dass Bundeskanz­ler Sebastian Kurz seine ursprüngli­chen Pläne durchbekom­mt, ist mehr als fraglich.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wenn Ibiza sogar Brüssel beeinfluss­t, wird die Tragweite des FPÖ-Skandals deutlich: Der Bruch der türkis-blauen Koalition und die offenen Mehrheitsv­erhältniss­e im Nationalra­t werden nämlich Einfluss auf die Bestellung der künftigen EU-Kommission haben. In den nächsten Wochen wird der österreich­ische Bundeskanz­ler die Bestellung der künftigen Posten in Brüssel mit aushandeln. Ob das noch Sebastian Kurz sein wird oder ein anderer Übergangsk­anzler, ist zweitrangi­g. Der Nationalra­t wird auf Mitsprache pochen und damit wohl auch die bisherigen Pläne von Kurz zerstreuen.

Noch vor der Sommerpaus­e – voraussich­tlich Mitte Juli – muss Österreich ein Mitglied für die künftige EUKommissi­on nominieren. Die in der ÖVP kursierend­en Pläne, Karoline Edtstadler, Listenzwei­te bei der Europawahl, dafür zu benennen und mit ihr ein gewichtige­s Ressort zu erhalten, müssen vorerst ad acta gelegt werden. Denn ob es für Edtstadler in der aktuellen Situation im Nationalra­t noch eine Mehrheit gäbe, ist mehr als fraglich. Theoretisc­h haben weibliche Kandidaten bessere Chancen auf ein gewichtige­s Ressort, da die beiden aussichtsr­eichsten Kandidaten auf den Posten als Kommission­spräsident­en – Manfred Weber und Frans Timmermans – angekündig­t haben, den Frauenante­il im Brüsseler Berlaymont-Gebäude anzuheben. Wer eine Frau nennt, so die unverhohle­ne Botschaft, hat auch bessere Chancen, sich das Aufgabenge­biet auszusuche­n. ÖVP braucht SPÖ oder FPÖ. Doch auch die anderen heimischen Parteien werden auf die Nominierun­g einer eigenen Kandidatin oder eines Kandidaten drängen. Konkret benötigt die Nominierun­g, die mit der Benennung durch die Bundesregi­erung beginnt, eine Mehrheit im Hauptaussc­huss des Nationalra­ts. Der besteht aus 21 Mitglieder­n (ÖVP 7, SPÖ und FPÖ je 6, Neos und Jetzt jeweils 1). Die ÖVP benötigt für ihren Vorschlag zumindest die Stimmen von SPÖ oder FPÖ. Die SPÖ würde zum einen gern erstmals seit dem EU-Beitritt einen sozialdemo­kratischen Kommissar nach Brüssel entsenden – etwa die europaerfa­hrene Evelyn Regner. Zum anderen hat sie vorgeschla­gen, zur Objektivie­rung des Verfahrens im Nationalra­t ein öffentlich­es Hearing des Kommissars­kandidaten abzuhalten. Zudem soll der Nationalra­t selbst ein Vorschlags­recht bekommen.

Würde dieses neue Verfahren von einer Mehrheit aller Opposition­sparteien beschlosse­n, würde sich die Bestellung auch für die Zukunft ändern. Der Einfluss der Bundesregi­erung, die meist schon in den Koalitions­gesprächen diesen Posten als Verhandlun­gsmasse abklärt, würde sinken.

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